Mikaela Shiffrin im Interview:"Die Last der Erwartungen hat mich erdrückt"

27 10 2018 Rettenbach Ferner Soelden AUT FIS Weltcup Ski Alpin Soelden Riesenslalom Damen Si; Mikaela Shiffrin

Ski-Rennläuferin Mikaela Shiffrin.

(Foto: imago/Eibner Europa)

Mikaela Shiffrin ist die beste Skifahrerin der Welt. Im SZ-Interview erzählt die Amerikanerin, warum sie sich vor Rennen schon übergeben musste - und wie ihr nun ein Ritual hilft.

Interview von Matthias Schmid

Bei den großen Erfolgen von Mikaela Shiffrin vergisst man leicht, dass die Ski-Rennläuferin erst 23 Jahre alt ist. Mit 17 gewann sie ihren ersten von bisher drei Weltmeisterschaftstiteln im Slalom. Mittlerweile hat sie alle wichtigen Wettbewerbe gewonnen, die ihr Sport zu bieten hat: außer den drei WM-Titeln noch zweimal Olympia-Gold und zweimal den Gesamt-Weltcup. Im Interview vor dem ersten Weltcup-Slalom des Winters im finnischen Levi spricht sie über die großen Erwartungen an sie - und über eine Begegnung, die sie schwer beeindruckt hat.

SZ: Frau Shiffrin, Sie haben im Sommer Tennisspieler Roger Federer getroffen und hinterher davon geschwärmt, wie er Sie inspiriert hat. Was hat Sie denn am meisten an ihm beeindruckt?

Mikaela Shiffrin: Das Treffen mit Roger war eines der coolsten Dinge, die ich bisher in meinem Leben erfahren durfte. Er ist schon seit Kindheitstagen mein großes persönliches Idol. Ich habe viele seiner Matches im Fernsehen verfolgt und bewundere vor allem, wie er mit seinen Kollegen umgeht und was für ein großer Wettkämpfer er ist - ein Athlet, der immer anmutig rüberkommt, höflich und von allen, wirklich allen respektiert wird. Ich finde auch andere Sportler cool, aber Roger übertrifft alle Erwartungen. Er redet mit allen Menschen gleich und interessiert sich für sie. Das machte es auch für mich so leicht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er ist wirklich ein total bodenständiger Kerl.

Ähnlich wie von Federer erwartet auch von Ihnen jeder Siege, am besten noch mit zwei Sekunden Vorsprung. Haben Sie mit ihm über die besonderen Drucksituationen geredet und ihn gefragt, wie er damit in all den Jahren umgegangen ist?

Ich habe mit ihm nicht so viel über Druck geredet. Aber er hat erwähnt, wie er mit seinem jüngeren Ich spricht, was er ihm und anderen jüngeren Athleten raten würde.

Zum Beispiel?

Sie sollen die Siege mehr genießen und sich auch danach mehr Zeit für sie nehmen, um sie zu feiern und zu reflektieren. Er war so gefangen in seinem eng getakteten Turnierkalender, er sei rastlos von Turnier zu Turnier, von einem ins nächste Match gehetzt. Mittlerweile spiele er viel weniger Turniere. So könne er die Siege viel mehr wertschätzen als früher und sie auch mit seinem Team besser teilen. Ein Turnier zu gewinnen sei eine Bestätigung für die harte Arbeit von einem selbst und dem Team, das dich täglich unterstützt. Verlierst du nach einem Triumph allerdings gleich darauf früh beim nächsten Turnier, beschäftigst du dich nur noch mit der Niederlage. Der schöne Erfolg ist plötzlich weit weg und wird überlagert von Traurigkeit und großer Enttäuschung.

Teilen Sie diese Erfahrung?

Ich fand das alles sehr interessant, weil ich es ähnlich erlebe und erlebt habe. Ich merke selbst, dass ich aus den Siegen gar keinen großen Vorteil für mich ziehen und sie angesichts des Terminkalenders gar nicht richtig feiern kann. Aber würde ich das tun und nicht sofort wieder trainieren, hätte ich beim nächsten Rennen keine Chance und würde nur hinterherfahren. Das ist ein echtes Dilemma, und hier die richtige Balance zu finden, ist eine Kunst für sich. Ich muss versuchen, die unglaublichen Momente nach einem Sieg so zu verarbeiten, dass ich schon beim nächsten Rennen wieder unglaubliche Momente erleben darf.

"Sonst werde ich noch ganz verrückt"

Sie arbeiten seit einiger Zeit mit einer Sportpsychologin zusammen. Liegt einer der Gründe darin, dass Sie sich vor Rennen sogar übergeben mussten, weil Sie sich selbst so unter Druck gesetzt haben?

Yep. Es hat Rennen gegeben, in denen ich so viel Angst aufgebaut habe, dass das auf meinen Magen geschlagen hat. Vor allem in Killington ist mir das passiert, vor meinem Heimpublikum oder zuletzt auch vor dem Slalom bei den Winterspielen in Pyeongchang. Ich habe nie zuvor diese große Nervosität, diese innere Anspannung gespürt. Die Last der Erwartungen hat mich erdrückt, aber ich bin gerade dabei zu lernen, wie ich damit am besten umgehen kann, wie ich es schaffe, die Erwartungen zu ignorieren und den Wettkampf zu genießen. Wenn ich weiter darüber nachdenke, was jeder da draußen von mir erwartet, ruiniert das meine Leistung und ich werde noch ganz verrückt.

Was tun Sie genau?

Ich versuche mir jetzt vor jedem Rennen eine Minute der Ruhe zu verordnen, in der ich wertschätze, warum ich eigentlich Skifahrerin geworden bin.

Könnte es sein, dass Sie eines Morgens mitten in der Saison aufwachen und sich sagen: Das war's, ich trete sofort zurück?

Wenn ich ehrlich bin, kann das schon passieren. Es könnte gut sein, dass ich eines Tages aufwache und feststelle, dass ich alles getan habe, was mich angetrieben und motiviert hat, und dass es jetzt an der Zeit ist, mit dem Sport aufzuhören. Aber es wird nicht bald passieren. Es geht mir bei dieser Entscheidung nicht darum, wie viele Titel ich gewonnen habe, sondern ob ich mich weiter motivieren kann, mich als Skifahrerin zu verbessern. Wenn ich weiter dieses Feuer, diese Leidenschaft und Motivation in mir spüre, wenn ich jeden Tag von Neuem die Lust habe aufzustehen, um hart im Kraftraum und auf Skiern im Schnee daran zu arbeiten, eine komplettere Skifahrerin zu werden, mache ich weiter. Aber wenn ich diese Motivation verlieren und merken sollte, dass ich lieber etwas anderes machen würde, dann wird es mit Sicherheit nicht lange dauern, bis ich zurücktrete.

Haben Sie sich nach dem Treffen mit Federer eigentlich auch zum Tennisspielen mit ihm verabredet?

Ich habe leider noch nichts ausgemacht. Ich habe ihm aber erzählt, dass ich ein großer Tennisfan bin und auch gerne selber spielen würde. Aber er ist ein viel beschäftigter Mensch und ich kenne das ja von mir selbst, wie das ist, wenn jemand zu dir sagt, dass er gerne mal mir dir Skifahren würde. Habe ich dann mal einen Tag frei und nichts vor, dann gehe ich lieber an den Strand oder mache etwas ganz anderes. Ich würde sehr gerne mal mit Roger Tennis spielen, aber er wird sich wohl denken, klar gute Idee, aber lass' uns lieber irgendwo Mittagessen gehen. Ich habe ihn deshalb auch nicht danach gefragt, aber es bleibt schon ein Traum von mir, mit ihm eines Tages ein paar Bälle schlagen zu dürfen.

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