Fußball-WM:Shaqiri und Xhaka provozieren Serbien

WM 2018 - Serbien - Schweiz

Granit Xhaka (l) und Xherdan Shaqiri zeigten bei der WM den "Doppeladler-Jubel".

(Foto: dpa)
  • Die Schweizer besiegen Serbien mit 2:1 und gewinnen ihr erstes Turnierspiel nach dem 1:1 gegen Brasilien.
  • Der frühere Bayern-Profi Xherdan Shaqiri und der ehemalige Gladbacher sind die umjubelten Figuren - doch sie leisten sich auch böse Provokationen.
  • Hier geht es zum Spielplan der Fußball-WM.

Von Tobias Schächter, Kaliningrad

In seinen allerbesten Momenten ist Xherdan Shaqiri ein genialer Fußballer. So wie Freitagnacht in Kaliningrad, als der Schweizer Nationalspieler mit Tempo und Raffinesse im Abschluss eine Partie entschied, die sein Land dem Achtelfinale bei der WM sehr nahe bringt. 90 Minuten waren gespielt, es stand 1:1 zwischen Serbien und der Schweiz, bevor Shaqiri das Spiel mit seinem Treffer zum 2:1 bog. Der 26-Jährige schilderte diesen Moment nachher mit jenem Lausbuben-Charme, den viele an ihm mögen. Man sehe ja nicht so oft von Mario Gavranovic, dass dieser einen so guten Pass spiele, wie in dieser entscheidenden Szene, sagte Shaqiri kichernd: "Als ich dann losgesprintet bin, habe ich gewusst, dass ich ein Tor machen kann. Und dann habe ich auch mit Instinkt ein Tor geschossen."

Kurz vor Schluss enteilte Shaqiri der serbischen Abwehr und spitzelte die Kugel am heranstürmenden serbischen Torwart Vladimir Stojkovic vorbei. Jenen Instinkt, der ihn als Fußballer auszeichnet, ließ er dann aber beim Jubeln ebenso vermissen wie zuvor Granit Xhaka, der in der 52. Minute mit einem grandiosen Schuss aus 20 Metern den 1:1-Ausgleich für die Schweizer erzielt hatte. Beide Spieler haben albanisch-kosovarische Wurzeln und kreuzten beim Torjubel ihre Arme vor ihrer Brust als Symbol für den Doppeladler auf der albanischen Flagge.

Sport soll verbinden, die Gesten von Shaqiri und Xhaka sind aus ihrer Lebensgeschichte und der ihrer Familien zu erklären. Aber zur Versöhnung tragen sie nicht bei. In Albanien und im Kosovo werden die beiden dafür gefeiert, in Serbien verurteilt. Dort wird die Geste als politische Provokation empfunden. Serbien erkennt die Republik Kosovo nicht an. Die Verwerfungen nach den Kriegen auf dem Balkan in den 90er-Jahren zwischen Serben und Albanern sind nicht ausgestanden. Die Familien von Xhaka und Shaqiri sowie die anderer Schweizer Nationalspieler mit Wurzeln auf dem Balkan sind damals aus dem Kriegsgebiet geflohen.

Das Spiel war schon vor dem Anpfiff politisch extrem aufgeladen, in der Schweizer Startelf standen neben Shaqiri und Xhaka in Blerim Dzemaili und Valon Behrami zwei weitere Spieler mit albanischen Wurzeln. Xhaka, der nach dem Spiel der schreibenden Presse nicht Rede und Antwort stehen wollte, verschwand mit einer Flasche Cola schnell in den Mannschaftsbus. Zuvor hatte er im TV-Interview erklärt: "Der Jubel war keine Message an den Gegner. Ganz ehrlich, die waren mir scheißegal. Das war für die Leute, die mich immer unterstützen. Jene, die mich nie links liegen ließen, in meiner Heimat, wo die Wurzeln meiner Eltern sind. Das waren einfach pure Emotionen."

Der Schweizer Verband verbot die Doppeladler-Jubelgeste seinen Spielern 2014

Auch Shaqiri erklärte die Geste aus der Gefühlslage heraus, er wollte keine Politik in seinem Handeln erkennen. Aber der Profi von Stoke City war es auch, der im Vorfeld mit dem Post eines Bildes in einem sozialen Netzwerk für harsche Reaktionen auf serbischer Seite gesorgt hatte. Das Bild zeigte ein paar Fußballschuhe, auf einem war die Flagge der Schweiz zu sehen, auf dem anderen die des Kosovo. Als Lausbubenstreich geht weder dies noch der Jubel durch, zu unversöhnlich stehen sich die Parteien auf dem Balkan noch gegenüber.

Der Schweizer Verband verbot die Doppeladler-Jubelgeste seinen Spielern 2014 nach einer Debatte in der Schweizer Öffentlichkeit. Und weil die Fifa politische Gesten während Turnieren verbietet, könnten auf Xhaka und Shaqiri noch Strafen zukommen. Der Schweizer Trainer Vladimir Petkovic, der ebenso wie sein serbischer Kollege Mladen Krstajic im Vorfeld der Begegnung sehr bemüht war, die politische Note aus dem Spiel zu halten, kritisierte nach dem Abpfiff: "Zu der Aktion von Xhaka und Shaqiri kann ich nur sagen, dass man den Sport nicht mit der Politik mischen sollte, man soll Respekt haben und fair bleiben."

Auch in der Schweiz kommt der Jubel bei vielen nicht gut an, eine längst überwunden geglaubte Debatte um die "Secondos", also die Nachfahren von Immigranten in der "Nati", könnte wieder aufbrechen. Dies alles führt zu einem bitteren Beigeschmack nach einem großartigen Fußballspiel, in dem die Schweiz ihren Anspruch gerecht wurde, bei diesem Turnier endlich wieder einmal über das Achtelfinale hinauszukommen. Das letzte Mal gelang dies 1954 bei der WM im eigenen Land. Und es waren Xhaka und Shaqiri, die in der zweiten Halbzeit zu den besten Spielern ihrer Mannschaft mutierten.

Wortgefechte bei den Schweizern

In den ersten 45 Minuten hatten die Serben ihre Gegenspieler mit einer extrem physischen Spielweise beeindruckt. Besonders am wuchtigen Mittelstürmer Aleksandar Mitrovic prallten die Schweizer Abwehrspieler immer wieder ab wie an einer Mauer. Der Profi vom englischen Zweitligisten FC Fulham köpfte seine Elf nach sechs Minuten auch in Führung. In der Halbzeit habe es dann "Wortgefechte" in der Schweizer Kabine gegeben, erzählte hinterher Dzemaili, der zwei große Chancen vergeben hatte und später gegen Breel Embolo ausgetauscht wurde (72.).

Alleine dieser Wechsel zeigt das Selbstvertrauen, das Trainer Petkovic in seinem vierten Amtsjahr auch auf seine Mannschaft übertragen hat. Er wechselte beim Stand von 1:1 einen zweiten Stürmer ein, nachdem er direkt nach der Pause den schwachen Haris Seferovic durch Gavranovic ersetzt hatte. "Wir haben in der Halbzeit eine Reaktion gezeigt und wollen Spiele immer gewinnen, auch, wenn wir in Rückstand geraten", erklärte Petkovic. Seine Elf sei schon beeindruckt gewesen von der Kulisse, glaubte er. Weil die russischen Zuschauer die Mannschaft des befreundeten Landes Serbien bei dieser WM unterstützen, fühlte sich die Atmosphäre wie ein Auswärtsspiel für die Schweizer an.

Die Serben beschweren sich über den deutschen Schiedsrichter Felix Brych

Vor allem Xhaka und Shaqiri wurden bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. "Aber das mit den Pfiffen wussten wir, das hat uns nichts ausgemacht", meinte Shaqiri, der so gut spielte und trickste wie seit langem nicht mehr. Nach einer schwachen Saison in England mit Stoke City, die mit dem Abstieg endete, spielt sich der dynamische Dribbler mit Leistungen wie am Freitag wieder in den Fokus großer Vereine. Gerüchten zufolge soll der FC Liverpool Interesse an einer Verpflichtung des ehemaligen Bayern-Profis haben.

Doch zunächst will Shaqiri mit der Schweiz an dieser WM weit kommen. Er sagt: "Man sieht seit Jahren, dass wir eine sehr gute Entwicklung haben. Wir sind ruhig geblieben und haben das Spiel noch gedreht. Das hätten wir vor ein paar Jahren nicht geschafft." Schon beim Auftakt gegen Brasilien lag diese Elf zurück und trotzte dem Favoriten doch noch das 1:1 ab. Durch einen Sieg zum Vorrundenabschluss gegen Costa Rica am Mittwoch in Nischni Nowgorod könnte die Schweiz die Gruppe sogar als Gruppenerster abschließen. Die Serben, die mit dem deutschen Schiedsrichter Felix Brych wegen eines vermeintlich zu Unrecht nicht gegebenen Strafstoßes wegen Foul an Mitrovic (66.) haderten - "Der brutale Diebstahl von Brych", titelte die Zeitung Sportski zurnal -, müssen nun gegen Brasilien gewinnen, um sicher im Turnier zu bleiben.

Ein Remis würde dafür nur genügen, sollte die Schweiz gegen das schon ausgeschiedene Costa Rica verlieren und Serbien am Ende das bessere Torverhältnis haben. Aber im Schweizer Team ist das Selbstvertrauen nach diesem tollen Sieg in Kaliningrad riesig. Bisher ist diese Mannschaft mit jeder Herausforderung bei dieser WM gewachsen.

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