Serie: Wechsel und Wandel (8):Alles außer Leberkäs

"I würd nie mehr hoam geh": 1992 kam Jason Dunham mit 22 aus Kanada nach Niederbayern, um ein Jahr lang Eishockey zu spielen. Er ist bis heute geblieben.

Von Johannes Kirchmeier

Ob ein Sportler den Verein wechselt, das Land, seine Ausrüstung, gleich die ganze Sportart oder einfach nur die Perspektive: Wechsel prägen den Sport, und immer bedeuten sie auch einen Wandel. In dieser Serie erzählt die SZ gewöhnliche und außergewöhnliche Wechselgeschichten.

Am Anfang kam der Anruf. Jason Dunham, ein 22-jähriger Eishockeyspieler, nahm den Telefonhörer ab. Sein Trainer war dran und fragte ihn, ob er denn nicht Lust habe, nach Europa zu gehen, dort ein wenig Geld zu verdienen. In Deutschland suche gerade eine Mannschaft nach einem ausländischen Stürmer, berichtete der Coach, und Dunham erfülle die Anforderungen. Er nahm sich zwei Tage Bedenkzeit, um noch mit seinen Eltern zu reden. Der Vater fragte ihn, ob er ein Rückflugticket habe. Das hatte er. "Gut, dann schauen wir uns das mal ein Jahr lang an", sagte der Vater.

Er wusste es da noch nicht, aber mit diesem kurzen Satz hatte der Kanadier die geplante Nachfolgeregelung seiner Immobilienfirma in Edmonton erst einmal zerstört. Sein Sohn Jason sollte nach dem Studium den Familienbetrieb übernehmen. Doch aus dem einen Jahr wurden immer mehr Jahre, aus dem jungen, ledigen kanadischen Eishockeyspieler wurde ein älterer, verheirateter deutsch-kanadischer mit zwei Kindern, später ein Co-Trainer und Team-Manager, 2011 schließlich der sportliche Leiter der Straubing Tigers in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Bis heute bekleidet Dunham diese Position. "I würd nie mehr hoam geh", sagt er in bairischem Dialekt mit nordamerikanischem Akzent, einer oft hörbaren Sprachmischung im Eishockey. "I lieb des hier, hab mit meinem Schwiegervater selber mein Haus gebaut. I bin mehr Deitsch als Kanadier." Und noch ein Stück mehr Bayer.

Nur: Wann kam der Anruf, der sein Leben in zwei Hälften teilte, gleich wieder? Dunham denkt kurz nach, aber so ganz kann er sich nicht erinnern. Er schnappt sich sein Smartphone, tippt eine Nummer ein, ein paar Sekunden ist es still in seinem Büro. Dann sagt er: "Gitti, guten Morgen. Ich habe eine Frage. Ich weiß gerade selbst nicht, wann ich hergekommen bin. Da habe ich gesagt: 'Es gibt eine Frau in ganz Deutschland, die wird das wissen. Und das bist du.'" Es ist noch einmal kurz still, dann wiederholt er: "In 92, danke Gitti, gell." Womit bewiesen wäre, dass sein Eintrag im Internet-Lexikon Wikipedia nicht stimmt. Das schreibt, dass Dunham 1993 nach Deutschland wechselte. Aber das kümmert ihn wenig. Der mittlerweile 48-Jährige mit der Brille und den Stiftelhaaren - zumindest dort, wo noch welche wachsen - grinst. Seine Erinnerung trog nicht: Er hatte vermutet, dass er im August 1992 erstmals deutschen Boden betreten hat.

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Grund zur Freude: Diese Saison läuft es gut in Straubing, die Tigers (im Bild Maximilian Renner, rechts, und Thomas Brandl) sind auf dem Weg in die Playoffs.

(Foto: imago / Beautiful Sports)

Menschen wechseln ihre Wohnorte wegen ihrer Berufe, das ist völlig normal - im Eishockey noch eher als anderswo. Jahr für Jahr ziehen unzählige Spieler aus Nordamerika nach Europa, die Plätze in den heimischen Profiligen sind eben begrenzt, nirgendwo ist das Niveau so hoch. Der Wechsel Dunhams zum EV Dingolfing war vor etwas mehr als 26 Jahren einer von Hunderten - aber nicht immer gelingen diese für beide Seiten zufriedenstellend. Dass der Stürmer einen Lexikon-Eintrag bekommen würde, war da noch nicht klar. Das ist sogar eher eine Ausnahme, wenn man bedenkt: Der EVD spielte damals in der vierthöchsten deutschen Liga, und nur Nerds kennen alle Regionalliga-Spieler.

Gitti war Dunhams erste Bezugsperson in Deutschland, "Ersatzmama" nennt er sie. Täglich musste ihr Dunham die Zeitung vorlesen, "brutal anstrengend" sei das gewesen, "aber letztendlich hat es was gebracht". Schließlich konnte er anfangs kein Wort Deutsch.

Das große Geld und viel Ruhm ließen sich in Dingolfing, Miesbach oder Amberg zunächst nicht erwirtschaften. Daher flog Dunham jedes Jahr im März nach Edmonton und arbeitete für die Immobilienfirma. Irgendwann auf der Rückreise merkte er: "Ich habe mich gefreut, wenn ich heimgekommen bin. Aber ich habe mich mehr gefreut, wenn ich wieder nach Deutschland zurückgekommen bin."

Die Immobilienfirma führt inzwischen sein Bruder, weil Dunham, anders als fast alle Kanadier, nach der Spielerkarriere in Europa blieb. Was auch damit zusammenhing, dass er sich fernab der Heimat stetig verbesserte - sprachlich und sportlich: 2002/03 spielte er für die Frankfurt Lions in der DEL, 2004 kam er nach Straubing in die zweite Bundesliga, zwei Jahre später stieg er auf. Nach dem Rücktritt 2009 eröffnete ihm der damalige Sportleiter Jürgen Pfundtner die Chance, einen reibungslosen Wechsel vom Eis hinter den Schreibtisch zu schaffen: Dunham wurde Co-Trainer und Team-Manager, 2011 übernahm er Pfundtners Job, er ist bis 2021 gebunden.

Jason Dunham

Jason Dunham, 48, wurde 2009 Assistenztrainer und Teammanager bei den Straubing Tigers in der Deutschen Eishockey Liga. 2011 übernahm er den Job als Sportdirektor.

(Foto: oh)

Jetzt ist Dunham also für eben jene Wechsel zuständig, die ihm dieses Leben erst ermöglichten. Interessiert hat es ihn schon immer, wie man einen Kader zusammenbaut, am kleinsten Ligastandort in Straubing hat er dafür jährlich beschränkte Mittel. Helfen muss ihm sein Netzwerk, das teilweise noch aus Kanadiern besteht: Sein Nachbar in Edmonton war der Manager des NHL-Klubs Oilers, zu ehemaligen Tigers-Mitspielern hält er Kontakt: Niklas Hede coacht die Salzburger Jugend, Mike Bales ist Torwarttrainer der Pittsburgh Penguins, Aaron Fox war Manager von Medvescak Zagreb.

Diese Saison läuft es gut in Straubing, die Tigers sind auf dem Weg in die Playoffs, weil die Zugänge Jeff Zatkoff und Sena Acolatse überzeugen und sich die Top-Angreifer Jeremy Williams, Mike Connolly und Stefan Loibl noch mal verbesserten. Zwölf Scouts aus der stärksten Profiliga NHL schauten daher schon zu. "Wenn mir das vor 15 Jahren wer gesagt hätte, hätte ich gesagt: Hör mal zu, du hast einen kompletten Dachschaden", sagt Dunham und lacht. Für eine Spitzenplatzierung dürfte es wohl trotzdem nicht reichen. Hätte er also nicht mal Lust, ein Meisterteam zusammenzubauen, bei einem Klub, bei dem das möglich ist? Er wehrt die Frage mit einer Gegenfrage ab: "Wir träumen alle von Meisterschaften. Aber wie wäre es denn, wenn wir eine Meisterschaft hier gewinnen? Man muss nicht immer allem hinterher laufen." Recht viel bayerisch-verwurzelter hätte er nicht antworten können.

Er fühlt sich einfach wohl dabei, in dieser 50 000-Einwohner-Stadt zu arbeiten, in der noch alle mit Stolz ihren bairischen Dialekt pflegen. Bei einem Wechsel nach Köln oder Berlin müsste er sich vielleicht noch mehr umstellen als vor 26 Jahren. Auch beim Essen, er schwört auf bayerische Schmankerl: "Das einzige, was ich da nicht mag, ist Leberkäs." Als er nach ein paar Jahren auch die Sommer in Deutschland verbrachte, half er einem benachbarten Metzger beim Schlachten und Wursten. "Das war immer a Gaudi für mich", sagt Dunham. "Nur letztendlich weiß ich daher, was im Leberkäs alles drinsteckt." Er geht nicht näher darauf ein. Aber frisch nach Straubing gewechselten Kanadiern empfiehlt er das Fleischbrät nicht.

Bisher erschienen Beiträge über Multitalent Benedikt Huß (27. 12.), 1860-Stadionsprecher Stefan Schneider (29.12.) Fußballer Burhan Bahadir (2.1.), Journalist Tobias Barnerssoi (3.1.), Hockey-Trainer Norbert Wolff (9.1.), Fußball-Bezirksligist Türkspor Nürnberg (16.1.) und über die Bedeutung des Materials im Skisport (21.1.).

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