Serie Olympiadörfer Teil 6:Seele statt Emil

Das Fechtzentrum Tauberbischofsheim hat seinen Schöpfer respektabel überlebt - doch der Schatten von Übervater Beck ist immer noch nicht abgeschüttelt.

Von Volker Kreisl

Jetzt war er schon wieder da. Eben hatte das Gespräch zurück gefunden auf sicheren Boden, es ging um die Zukunft, die solide finanziert ist, in der der Fechtclub Tauberbischofsheim seine Spitzenstellung behaupten wird, und um die Frage, woher die Gelder kommen in diesen unsicheren Zeiten. Die Antwort: Es gibt hier eben einen ganzen Pool von Sponsoren, seit langem, und sogar eigene Autos, seit Jahrzehnten, und zwar die mit dem Stern auf der Haube.

Und die gibt es, weil man hier im Taubertal schon ganz früh viel moderner war als anderswo. Weil man jemanden hatte, der visionär dachte, und das war, klar, das war schon wieder - Emil Beck. Er ist zurück im Raum, obwohl nur von ihm erzählt wird.

Emil Beck beherrscht die Erinnerung und nimmt Gestalt an in Anekdoten: "Der Emil hat sich nicht mit halben Sachen zufrieden gegeben", sagt Helmut Schmidt, 82, früher Vorstandsmitglied bei Daimler-Chrysler und seit bald 17 Jahren Präsident des FC Tauberbischofsheim. Einmal gab es ein Funktionärs-Treffen, und wie immer ging es auch ums Geld. Jemand habe Beck ein paar Wagen vom nationalen Sponsor angeboten, und Schmidt erinnert sich, wie Beck antwortete: "Wir sind die Besten, und wir brauchen keine anderen Autos, denn wir haben schon die besten."

Eine nette Geschichte ist das, sie handelt von Stolz und ist auch etwas humorig, doch Schmidt lacht nicht, seine Stimme klingt körnig und rau und seine Augen werden manchmal feucht, wenn es um Emil Beck geht. Denn Beck ist für das große, berühmte Fechtzentrum Tauberbischofsheim seit ein paar Jahren so ziemlich alles, nur nicht ein Anlass, um fröhlich zu sein.

Grünkern, Kartoffeln, Medaillen

Aber jetzt ist er ja schon wieder weg, und bis die nächste Anekdote erzählt wird, ist Zeit für ein paar aktuelle Zahlen und Fakten, und da hört man nur Stolz in den Stimmen. Das Auto-Kennzeichen TBB zum Beispiel - sagt Vizepräsident Karl-Friedrich Schönleber, das verbindet man automatisch mit Fechten, das sei ein Symbol für Leistung.

Früher gab es in Tauberbischofsheim höchstens zwei erwähnenswerte Produkte: den Grünkern und die Kartoffel. Heute sind es Medaillen, oft sogar goldene. Und selbst wenn sich einer nicht für Sport interessiert, wenn einer nicht die 21 Olympiamedaillen, die 228 WM- und EM-Medaillen kennt, die TBB-Sportler errungen haben, dann weiß er doch, dass dort gefochten wird. Schönleber leitet auch die Sportmarketing Tauberbischofsheim (SMT), er ist in diesen Dingen ein Profi, und deshalb geizt er nicht mit klaren Zuordnungen: "Dies hier ist weltweit das beste Fechtzentrum."

Tauberbischofsheim ist tatsächlich ein einzigartiges Olympiadorf, es hat nur 13500 Einwohner, aber 300 Fechter, junge und gereifte. Die anderen Zentren in Bonn, Heidenheim und Koblenz sind stärker geworden, doch an der Tauber ist immer noch am meisten Potenzial versammelt. Für die Olympiamannschaft in Athen stellt der FC mindestens sechs Teilnehmer, wieder mit guten Medaillenchancen.

Bekannt sind die Namen des Teilinternatsleiters Matthias Behr und des Degentrainers Alexander Pusch, beide in den Siebzigerjahren Weltklassefechter. Endgültig legendär wurde Tauberbischofheim bei Olympia 1988 in Seoul mit drei Florettfechterinnen auf den Medaillenrängen. Gold: Anja Fichtel; Silber: Sabine Bau; Bronze: Zita Funkenhauser.

Einzigartig ist das alles vor allem deshalb, weil der Erfolg mit einem einzigen Mann verbunden ist, der der Kleinstadt nicht nur ein neues Produkt nach dem Grünkern vermacht hat, sondern fast ein Stück klassischen Mythos, der an Oktavian erinnert oder auch an Helmut Kohl. Es gibt kein deutsches Olympiadorf, das nur deshalb bekannt wurde, weil ein Einziger mal einen Beitrag über eine Sportart in der Wochenschau gesehen hatte und es selber ausprobieren wollte.

Emil Beck hat das Fechten hier aufgebaut, ganz alleine, er hatte streckenweise unglaubliche Energien in sein Lebenswerk gesteckt, die es später fast zerstört hätten, die immer noch die Staatsanwaltschaft beschäftigen und denen die Erben seit mehr als drei Jahren trotzen müssen.

Und schon ist er wieder da, obwohl er das Fechtzentrum seither so gut wie nicht mehr betreten hat, auch wenn man versucht, sich mit gehörigem Respekt zu begegnen. Dazu gehört auch, dass trotz aller Verletzungen die Vergangenheit nicht geleugnet wird.

"Wir haben nichts abgehängt, keine Erinnerungsstücke, keine Bilder", sagt Schmidt. Ein berühmtes Bild im Eingangsbereich stammt von den ersten Lektionen Becks, nachdem er das Fechten im Kino gesehen hatte. Sie fanden Anfang der Fünfzigerjahre im Heizungskeller der Festhalle statt, und in den Rohrverkleidungen sind bis heute Einstiche zu sehen.

Die ersten Tauberbischofsheimer Fechter hatten nichts außer Ehrgeiz, auch das gehört zum Mythos. Sie schneiderten sich ihre Anzüge aus Sackleinen, sie wurden auf Wettkämpfen als Bauern belächelt und besiegten bald trotzdem alle. Beck erteilte Lektionen damals auch mit Gipsfuß, er erwies sich als genialer Trainer, und als ein Manager, der den Konkurrenten stets einen Schritt voraus war.

Gelder vom Gesamtverein erzwang er durch starke regionale Leistungen in den Fünfzigern, in den Sechzigern entwickelte er als erster einen Fecht-Olympiaplan für die nächste Dekade, in den Siebzigern beschaffte er Sponsoren und den Status als Leistungszentrum und in den Achtzigern als Olympiastützpunkt, er baute ein Teilinternat, erweiterte die Hallen - und schließlich war er nur noch der Medaillenschmied aus dem Taubertal.

Materieller Mangel bestand also nie, das war nicht das Problem. Beck hatte alles im Griff, und er taucht auch in den Erinnerungen von allen erfolgreichen Tauberbischofsheimer Athleten auf, Anja Fichtel zum Beispiel nennt ihn "Übervater", er habe für jeden wirklich das Beste gewollt. Das Beste, Höchste, Meiste, Einzigartige - Tauberbischofsheim war ein Gral für Superlative, und darin haben Widersprüche keinen Platz.

Ende der Neunziger begann die Zeit der Brüche. Beck wollte Fichtel in ihre Eheplanung hineinreden, Fichtel ging nach Wien. Alexander Pusch und Matthias Behr vertraten zunehmend ihre eigene Philosophie, doch Beck erinnerte sie gerne daran, dass sie ohne ihn nichts wären. Überall entstanden kleinere Brände, und zum Jahrtausendwechsel implodierte Becks Reich.

In einem Tribunal bezichtigte er seine Erben der Faulheit, doch das Vorhaben, diese auszuschließen, schlug fehl. Behr und Pusch blieben, letztlich musste Beck gehen. Wirtschaftsprüfer und Staatsanwälte interessierten sich nun fürs Fechtzentrum.

In einem kleineren Betrugsverfahren wegen des Verdachts auf Fehlverwendung von Fördermitteln kam Beck mit einer Geldbuße davon, 2001 folgte ein Ermittlungs-Verfahren der Staatsanwaltschaft in größerem Stil. Heraus kam, dass die Familie Beck aus dem Fechtzentrum jährlich gut 760000 Mark bezog. Davon 250000 Mark allein von der Sportmarketing Tauberbischofsheim für die Verwendung seines Namens und die Betreuung von Sponsoren.

Präsident Schmidt sagt, Beck sei sein Freund gewesen, und es habe ihn sehr enttäuscht, davon aus der Zeitung zu erfahren. Niemand habe von dem Deal gewusst, außer Beck und seinem Sohn René, damals Leiter der SMT. Es gab Vernehmungen, Ärger mit dem Bundesverband, ungemütliche Sitzungen und ziemlich laute Mitgliederversammlungen.

Drei Jahre ist das nun her, seit die Unruhen sich gelegt haben. Im Fechtzentrum sieht es wieder aus wie in einem Werbefilm für Spitzensporteinrichtungen. Am Tauber-Ufer singen Vögel, joggen Sportler. In den Trainingshallen klappern die Klingen, am Eingang stellt ein Sponsor futuristische Elektro-Geräte aus, ein Stockwerk darüber strampeln verdrahtete Körper auf Belastungs-EKGs. Daneben prüft ein Florett-Trainer Einzelergebnisse, und unten, im Nebentrakt, sitzen Zwölfjährige über dem Hausaufgabenheft.

Beck hatte die Solidarität unter den Jüngeren unterschätzt, die Beliebtheit von Matthias Behr, der das Teilinternat geleitet hatte, und auch die Fachkompetenz seiner Nachfolger. "Die Atmosphäre, der Führungsstil haben sich geändert", sagt Schmidt, wieder wirkt er sehr angestrengt, Beck ist zurück. "Natürlich", erklärt Schmidt gequält, "er hatte eine harte Hand, die auch streicheln konnte."

Und Behr erinnert sich: "Wenn der Emil gesagt hat: Setzen!, da hast du dich gesetzt, ob ein Stuhl hinter dir stand oder nicht." Aber mit solchen Methoden könne man kein modernes Unternehmen führen. Seit drei Jahren sind die Kompetenzen auf vielen Schultern verteilt, und Schmidt resümiert: "Im Grunde sind die Dinge gesund."

Das schwebende Verfahren

Tauberbischofsheim stellt fast die komplette Männer-Degen-Mannschaft und viele weitere Fechter für Athen, und dem Präsidium des FC gehören nun auch drei jüngere Sportler an. Die Nachfolger heißen Jörg Fiedler, Daniel Strigel oder André Weßels. "Auch wir haben viel geleistet" sagt Schmidt. Früher hatte das Zentrum Emil Beck, heute, könnte man sagen, es hat eine eigene Seele. In jedem Fall aber ist es reifer geworden, Tauberbischofsheim hat seinen eigenen Schöpfer überlebt, und das ist bei großen Institutionen keine Selbstverständlichkeit.

"Wenn nur dieses Verfahren nicht wäre, und diese Ungewissheit, was man Beck vorwirft", sagt Schmidt. Er hofft auf einen Abschluss, am liebsten wäre ihm natürlich eine Einstellung. "Dann käme die Zeit, wo man sagen könnte: Jetzt setzen wir uns zusammen, trinken ein Glas Wein und spülen alles runter."

Dann wäre Beck ein gewöhnlicher Zeitgenosse, hätte seinen Platz in der Tauberbischofsheimer Geschichte, und die emsigen Fechter hätten ein reines Gewissen und müssten nicht bei jedem Erfolg den Beitrag des Übervaters erwähnen.

Und es ist komisch. Denn Schmidt hatte gerade ausführlich von der Zukunft gesprochen, von der Befreiung und dem Ende der Zerrissenheit, er wirkte jetzt erleichtert, und obwohl dabei von Emil Beck die Rede war, hatte der Übervater in diesem Moment den Raum verlassen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: