Serie: Die Aufsteiger (I):Der Anderthalbtligist

Bloß nicht zu viel erwarten: Alemannia Aachen will in der neuen Umgebung erst mal lernen, zu verlieren haben sie beim Abenteuer Bundesliga nichts.

Ulrich Hartmann

Vor dem Eingang zu den Spielerkabinen haben die Aachener einen Walk of Fame gepflastert. Zwei Dutzend Sterne mit den Namen ihrer Aufstiegshelden glänzen in der Sonne, und diesen Pfad der Huldigung müssen demnächst auch die Gästemannschaften beschreiten: 360 Bundesligafußballer, die sich dann in alten Kabinen auf antik anmutenden Holzbänken umziehen und unter alten Duschen in ehrwürdigen Sanitäranlagen jenen Schweiß abspülen müssen, der im 78 Jahre alten Stadion fließt.

Auf dem Tivoli ist die Zeit stehen geblieben, doch die Alemannia hat sich in vier Jahren so rasant vom Pleiteklub zum Bundesligisten gemausert, dass sich 17 Erstligavereine in der neuen Saison auf eine Zeitreise in die Vergangenheit freuen dürfen.

Der alte Tivoli mit seinen 3500 Sitzschalen und den 180.00 Stehplätzen versprüht historischen Charme. Dem Stadion aus dem Jahr 1928 fehlt jeglicher Komfort, und der ersten Aachener Bundesligamannschaft seit 36 Jahren fehlt jegliche Spielerprominenz.

"Irgendwelche bekannten Fußballer?", fragte am Samstag ein britischer Reporter vor dem Testspiel zwischen der Alemannia und den Blackburn Rovers (2:3), und als er die Aachener Aufstellung studiert hatte, sagte er kopfschüttelnd: "No!"

Geschichte vom hässlichen Entlein

Aachens Aufstieg in die Bundesliga ist die kurioseste Geschichte seit dem Aufstieg der Mainzer vor zwei Jahren. Auch die 05er haben ein altes Stadion, wenig Geld und ein Team ohne Prominenz, doch in Aachen wirkt die Geschichte vom hässlichen Entlein im Protzpalast Bundesliga noch spektakulärer.

Mit einem Etat von 8,5 Millionen Euro haben die Alemannen die Zweitligasaison bestritten, und wenn Sportdirektor Jörg Schmadtke verdeutlichen will, wie besonders dieser Aufstieg ist, dann sagt er: "Nie ist in jüngster Zeit ein Klub mit einem einstelligen Etat in die Bundesliga aufgestiegen."

Der ehemalige Torwart Schmadtke, 42, und der Trainer Dieter Hecking, 41, aber haben das bewältigt, und mit einem kaum veränderten Kader wollen sie nun die Liga halten. "Der Klassenerhalt wäre eine Riesengeschichte", sagt Hecking, "wir können in dieser Saison nur gewinnen."

Niemand erwartet, dass die Aachener in der Bundesliga verweilen, kaum jemand wäre böse, wenn die Mannschaft wieder absteigt. "Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten müssen wir nicht in der ersten Liga bleiben", sagt Schmadtke.

"Unser eigentliches Zuhause bleibt die zweite Liga", sagt der Präsident Horst Heinrichs. Aachen ist für die zweite Liga zu stark und für die erste womöglich zu schwach, Schmadtke sagt: "Wir sind Anderthalbtligist."

Die Aachener haben gelernt, sich mit wenig zu begnügen. Vor vier Jahren, als Schmadtke seinen Job bei der Alemannia antrat, stand der Klub vor dem Bankrott. Schmadtke nannte sich lakonisch "Insolvenzverwalter" und jonglierte mit Personal, das wenig kosten durfte und viel wollen sollte.

Der Sportdirektor, der sich bei der Alemannia auf eine Stellenanzeige im kicker hin mit Lebenslauf und Lichtbild beworben hatte, avancierte zum Schnäppchenjäger, und diese Kompetenz kam ihm nun wieder zugute. Nur 900.000 Euro haben die Aachener zur Verstärkung des Kaders ausgegeben, 900.000 Euro für den Mittelfeldspieler Matthias Lehmann vom TSV 1860 München.

Die Summe wird in drei Raten überweisen. Die anderen fünf Neuen waren ablösefrei. Nur zum Vergleich: Bayern München hat 24 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben, der Hamburger SV 14 Millionen, der VfB Stuttgart 10.

Auch in Aachen hätten sie gerne mehr investiert. Christian Tiffert vom VfB Stuttgart war ein Kandidat. Spielerisch hätte Tiffert gut gepasst, fand Hecking, finanziell war er nicht zu bezahlen, fand das Präsidium, und so ging der Stuttgarter für 1,3 Millionen Euro nach Salzburg.

Jetzt geht die Alemannia mit einem Etat von 20 Millionen in die Saison sowie mit einem Kader, in dem die Stützen Moses Sichone, Laurentiu-Aurelio Reghecampf, Sascha Rösler sowie Jan Schlaudraff heißen. In diesem Kader haben nur elf der 23 Spieler Bundesliga-Erfahrung, und selbst diese elf kommen zusammen nur auf 301 Einsätze .

Weniger Erstliga-Erfahrung hat kein Team in der Liga. "Dieser Lernprozess ist unsere größte Herausforderung", sagt Hecking, "die Spieler müssen erst mal lernen, wie der Hase in der Bundesliga läuft."

Diesbezügliche Erkenntnisse hat die Vorbereitung nicht gebracht. Gegen den RSC Anderlecht gewannen die Aachener 4:1, dafür verloren sie gegen den Zweitliga-Aufsteiger Koblenz 1:4. Fehlende Qualität macht sich vor allem an ausgeprägter Wechselhaftigkeit fest. Das befürchten sie in Aachen auch für die Ligaspiele.

"Unser Faustpfand ist der Tivoli", sagt Schmadtke. "Vielleicht irritiert den Gegner ja, dass der Gestank von 80 Jahren in der Kabine hängt", sagt Erik Meijer, der seine Karriere beendet hat und im Marketing des Klubs arbeitet.

So sehr sie aber am Tivoli hängen, in drei Jahren will die Alemannia in einer neuen Arena spielen. "Dieses alte Stadion frisst uns auf", sagt Schmadtke. 200000 Euro verdient der Klub pro Heimspiel. Andere Klubs machen das Fünffache mit Zuschauereinnahmen.

"Wir sind gezwungen, ein neues Stadion zu bauen", sagt Schmadtke. Die Alemannia muss sich ihrer Konkurrenz strukturell annähern. Dass sie dann kein subversives Element mehr bilden würde im Profifußball, das nähme Jörg Schmadtke gerne in Kauf.

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