Süddeutsche Zeitung

Start der Serie A:Anpfiff für Heldentenöre

  • In einem Sommer politischer Konfusionen in Italien kann wenigstens der Fußball noch Gewissheiten bieten.
  • In der Serie A will Juventus Turin plötzlich schönen Fußball spielen. Inter Mailand und der SSC Neapel wittern deshalb ihre Chance auf den Titel.
  • Franck Ribéry duelliert sich mit seinem Ex-Trainer Carlo Ancelotti.

Von Birgit Schönau, Rom

Italien hat mal wieder keine Regierung, aber die Serie A wird trotzdem angepfiffen. Am Samstag um 18 Uhr beginnt im Stadio Ennio Tardini die Partie Parma gegen Juventus mit dem Triumphmarsch aus Giuseppe Verdis "Aida". Verdi stammt aus Parma wie der Parmesan und der Schinken, weltberühmte Köstlichkeiten, die seit Jahrhunderten nach dem gleichen Rezept hergestellt werden, egal, wer gerade als Regent den Ton angibt. Selbst in Zeiten, da die italienische Politik, wie jetzt gerade wieder, einer Operette gleicht, in der schmierige Finsterlinge gegen wenig kampferprobte Ehrenmänner antreten, kann sich der Fußball Kraft seiner Darsteller noch zur großen Oper aufschwingen.

Der Direktvergleich ist in der Tat verstörend, man muss nur einen selbsternannten "Capitano" wie Matteo Salvini gegen einen Heldentenor wie Cristiano Ronaldo stellen. Und schon laufen Spaghettiwestern gegen Hollywoodkino, Provinzcharge gegen Weltstar, italienische Netzhetzer gegen eine globale Internetgemeinde von 180 Millionen. Salvini kann nicht mal Englisch, CR7 beherscht neben seiner Muttersprache weitere drei Idiome, zudem kennt er die Bedeutung von Spielregeln.

Überhaupt erscheint der Fußball ja derzeit, verglichen mit der Politik, als moralische Anstalt wie das Theater von Federico Schiller. Auf böse Grätschen folgt die rote Karte, auf Rassistengegröle hagelt es saftige Geldstrafen, und bei zuviel Gegentoren kann man die Niederlage auch mit viel Gekreische nicht mehr abwenden. Überdies findet ein Fußballspiel immer noch in einem Stadion statt, während die Politik aus dem Parlament auf dubiose Internetplattformen (die Amateure von den Fünf Sternen) oder in Strandbars an der Adria (der Ultrà Salvini) verlegt wurde.

Buffon ist zurück

Nach einem Sommer voller zersetzendem Gezeter kann Italien den Anpfiff für die höchste Spielklasse kaum erwarten. Der Fußball wenigstens bietet noch Gewissheiten. Die erste und wichtigste: Der Meister heißt immer Juventus. Bei den Männer seit acht Jahren in Serie, bei den Frauen immerhin auch schon seit zwei Jahren. Die Börse zu erobern, ist allerdings Neuland. Dort hat die Aktiengesellschaft Juventus Football Club S.p.A. in den vergangenen fünf Jahren den größten Wertzuwachs aller italienischen Unternehmen verzeichnet und sogar den Mutterkonzern Fiat Chrysler auf den vierten Platz verwiesen. Juve erringt also spielend, was die Firma Italien seit gefühlten Ewigkeiten nicht hinkriegt - Solidität, beständiges Wachstum, ein gutes Image.

Gelingen kann so etwas nur mit einem diszipliniert arbeitenden, international hervorragend vernetzten Management, das weiß, dass man sich auf Lorbeer nicht ausruht. Und so steckt Juventus auch in diesem Herbst voller Überraschungen. Im Tor steht nach einem Jahr am Pariser Hof des Thomas Tuchel tatsächlich wieder Gigi Grandezza Buffon, als Nummer zwei hinter dem Polen Wojciech Szczesny.

Neben dem Abwehrveteran Giorgio Chiellini, einziger italienischer Profi mit Universitäts-Masterabschluss, agiert das erst 20-jährige Talent Matthijs de Ligt, ein 70-Millionen-Euro-Einkauf von Ajax Amsterdam. Vom fünfmaligen Meistertrainer Massimiliano Allegri hat man sich ziemlich sang- und klanglos verabschiedet. Der Neue ist ausgerechnet Maurizio Sarri, der als Napoli-Coach einst den Turinern Pest und Cholera wünschte, mit dem FC Chelsea die Europa League gewann und jetzt mit dem ebenso ehrgeizigen wie geschichtsvergessenen Ziel antritt, der Juve das schöne Spiel einzutrichtern. Ein apartes Ansinnen, gilt die "Verlobte Italiens" doch als Hohepriesterin des Effizienzfußballs. Die Konkurrenz ist jedenfalls von Sarris Ideen begeistert. Sollen die Turiner doch Schleifen drehen, dann können endlich auch mal die anderen gewinnen.

Die stärksten Rivalen sind der SSC Neapel und Inter Mailand. In Neapel startet Carlo Ancelotti in sein zweites Jahr mit einer bewährten, kaum verstärkten Mannschaft. Ganz anders Inter: Hier ist vieles neu, angefangen mit dem Trainer Antonio Conte. Der 50-jährige Süditaliener ist eigentlich ein eingefleischtes Juve-Gewächs, hat fast seine gesamte aktive Karriere in Turin absolviert und als Trainer zwei Titel für Juventus geholt. Es folgten die Nationalmannschaft und zwei Jahre bei Chelsea, eine Premier-League-Meisterschaft inklusive. Bei Inter Mailand hat Conte den früheren Juve-Manager Giuseppe Marotta wieder getroffen. Für 65 Millionen Euro wurde von Manchester United der Belgier Romelu Lukaku geholt - ein klares Zeichen dafür, dass Inter sich auf Augenhöhe mit Juventus hangeln will. Insgesamt haben die Mailänder mit chinesischen Besitzern bislang 155 Millionen Euro auf dem Transfermarkt gelassen, die Turiner 188 Millionen. Mit welchem Resultat, wird man sehen.

Juventus, Napoli und Inter spielen in der Champions League. Die größte Überraschung dort heißt Atalanta Bergamo. Erstmals in 112 Jahren Geschichte wirkt der norditalienische Klub in Europas Königsklasse mit, übt sich aber trotz des anstehenden Geldsegens aus Fernsehgeldern in haushälterischer Disziplin. Der Transfermarkt verzeichnet ein Plus von knapp 30 Millionen. Apropos Finanzen: Der AC Milan musste nach Verstößen gegen die Regeln des Verbandes Uefa auf seinen Platz in der Europa League zugunsten der Roma verzichten, zum großen Verdruss des Fans Matteo Salvini, der, was den Staatshaushalt angeht, europäische Regeln demonstrativ verachtet.

Balotelli profitiert von Akademikersteuernorm

Übrigens profitiert ausgerechnet der Fußball von einer Steuernorm, die Italien eingeführt hat, um die anhaltende Emigration seiner Akademiker zu stoppen und die Rückkehr gut verdienender Wissenschaftler an heimische Universitäten zu erleichtern. Wer mindestens zwei Jahre im Ausland ansässig war und dort Steuern zahlte, muss in Italien nur noch höchstens 30 Prozent Einkommenssteuer entrichten, wenn er sich verpflichtet, zwei Jahre zu bleiben. Ein tolles Geschäft für Inter Mailand und Antonio Conte - und für den Aufsteiger Brescia, der soeben Mario Balotelli verpflichtet hat. Conte hatte sich in England aufgehalten, Balotelli in Frankreich, in beiden Ländern gibt es jede Menge studierter Landsleute, die zu Hause im Leben keine Millionen verdienen würden und deshalb lieber draußen bleiben.

Nachweislich keine Steuern spart der AC Florenz des italo-amerikanischen Milliardärs Rocco Commisso an Franck Ribéry. Der Franzose ist nach Rückkehrer Buffon, 41, mit seinen 36 Jahren der älteste Zugang der Serie A, von Florenz mit 10 000 Anhängern im Stadion enthusiastisch empfangen. Am Samstagabend darf Ribéry seine Kunst gegen Carletto Ancelottis Neapolitaner vor der Curva Fiesole entfalten, einer der heißesten Tribünen der Liga. Wer gewinnt, wird an diesem ersten Spieltag noch nicht so bedeutend sein, wichtig ist nur eins: Dass wenigstens im Fußball der Ball wieder rollt.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2019/tbr
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