Süddeutsche Zeitung

Serie A:Neapels Ronaldo heißt Carlo Ancelotti

Lesezeit: 4 min

Von Birgit Schönau, Neapel

Wenn Carlo Ancelotti aus dem Fenster schaut, liegt ihm Neapel zu Füßen. Die berückend schöne Altstadt, die grandiose Silhouette des Vesuvs, die glitzernden Wasser des famosen Mittelmeergolfs und in der Ferne das Felseneiland Capri - all das sieht man von Ancelottis Residenz auf dem Vomero-Hügel. Ein berauschendes Panorama, eines der schönsten der Welt. Ancelottis Tochter Katia hat für den Trainer die neue Wohnung ausgesucht, sie selbst ist gleich nach nebenan gezogen, mit ihrem Mann Mino Fulco. Nicht nur der fantastische Ausblick war dafür ausschlaggebend, auch die Nähe zur Stadtautobahn ist sehr bequem. Fulco und sein Schwiegervater haben nämlich denselben Weg zur Arbeit: Das Trainingsgelände des SSC Neapel liegt gut 40 Minuten Autofahrt entfernt in Castel Volturno, direkt am Meer.

Wie schon beim FC Bayern arbeitet Mino Fulco mit Carlo Ancelotti zusammen; er ist der neue Ernährungsberater der Società Sportiva Napoli. Man kann davon ausgehen, dass Fulco da auf heimische Kost setzen wird. Der Schwiegersohn von Ancelotti stammt aus Mondragone, einem für seinen Büffelmozzarella berühmten Ort nördlich von Neapel. Seit Kindertagen ist er ein glühender Tifoso von Napoli, und seine neue Klientel hat er gleich beruhigt: "Die Spieler dürfen alles essen, auch Mozzarella. Schließlich sind sie keine Soldaten."

Neapel, das Familienunternehmen

Tengo famiglia, ich habe Familie. In Neapel kann man mit diesem Satz viel einfordern, das meiste rechtfertigen und alles erklären. Tengo famiglia - gegenüber seinem neuen Arbeitgeber Aurelio De Laurentiis musste Ancelotti das vermutlich noch nicht einmal aussprechen. De Laurentiis, Napoli-Patron seit dem düsteren Drittliga-Jahr 2004, ist als Neffe des großen Hollywood-Filmproduzenten Dino De Laurentiis ("King Kong") und Sohn dessen etwas weniger berühmten Bruders und Kollegen Luigi selbst ein italienischer Kino-König. Den Traditionsklub in Neapel betreibt er ganz selbstverständlich ebenso als Familienunternehmen wie seine "Filmauro", mit seiner Frau und den Kindern im Vorstand. Dass Ancelotti wie schon zuvor in Madrid und München die Verwandtschaft im Klub unterbringen wollte (oder musste), war für De Laurentiis also kein Thema.

Am Fuße des Vesuvs gastieren neben Schwiegersohn Mino auch wieder Sohn Davide, mit 29 Jahren jüngster Assistenztrainer der Serie A, und als Fitnesstrainer Francesco Mauri, der Sprössling des in München als Kettenraucher bekannten Giovanni. Mauri senior, ebenfalls Fitnesscoach und seit Ewigkeiten eng mit "Carletto" befreundet, ist zwischenzeitlich in die tapfer erqualmte Pension gegangen.

Mit 59 Jahren könnte Ancelotti auch vom Ruhestand träumen, schließlich liegt die Rentnerinsel Ischia mit ihren warmen Quellen und Fangopackungen in Reichweite. Doch irrt gewaltig, wer glaubt, der Trainer wolle in Neapel gemütlich der Rente entgegentrudeln, denn der Posten beim SSC ist der pure Stress. 28 Jahre sind seit dem bislang letzten Meistertitel vergangen, 29 Jahre seit dem Sieg im Uefa-Pokal. Die ganze Stadt giert danach, endlich wieder ganz obenauf zu sein und den erdrückend erfolgreichen Erzrivalen Juventus Turin zu übertrumpfen. Genau deshalb wurde Ancelotti engagiert, nachdem sein Vorgänger Maurizio Sarri, der die Serie A mit seinem Spiel begeisterte, über Platz zwei nicht hinauskam. Sarri hat inzwischen beim FC Chelsea angeheuert.

Ancelotti hatte man einen Posten als Nationaltrainer angeboten - er lehnte dankend ab. In Neapel verdient er fünf Millionen Euro im Jahr, sechs wären es mit Prämien, natürlich alles netto. So viel hätte der Verband ihm nie bieten können: Tengo famiglia. Gut möglich also, dass Ancelotti auch mit 77 noch trainiert, vielleicht das Nationalteam von Irland, in den Fußstapfen von Giovanni Trapattoni, heute 79.

Das fürstliche Gehalt macht Carletto zur Nummer zwei, nur Massimiliano Allegri von Juventus verdient mit sieben Millionen noch ein wenig mehr. Allegri hat mit Juve vier Meistertitel und vier Pokale in Serie geholt, er stand zwei Mal im Champions-League-Finale und trainiert jetzt Cristiano Ronaldo, den prominentesten und teuersten Zugang der Serie A. Der Ronaldo von Neapel heißt Carlo Ancelotti, um die Mannschaft mit überragenden Spielern zu erweitern, reicht das Geld nun nicht mehr. "Auch mit einem ganz neuen, von ihm selbst zusammengestellten Kader hätte er mindestens zwei Monate gebraucht, um eine funktionierende Mannschaft zu formen", argumentiert Klub-Boss De Laurentiis. "Jetzt hat er Spieler, die schon eine ganze Weile bei uns sind und wissen, wie es geht. Und an Ancelottis Fähigkeiten kann nur zweifeln, wer nichts von Fußball versteht. Der hat überall gewonnen, warum soll das in Neapel anders sein?"

Ernüchternde Ergebnisse in der Vorbereitungsphase

Klingt beunruhigend beruhigend. Tatsächlich muss der so gepriesene Heilsbringer erst mal deftige Niederlagen verdauen. Ein 1:3 gegen den VfL Wolfsburg und ein 0:5 gegen den FC Liverpool, die Testspiele des Sommers verliefen nicht besonders vielversprechend. An der Abwehr, ließ der neue Coach wissen, müsse man noch entschieden werkeln. Zum Saisonauftakt am Samstag wartet Lazio Rom mit dem Torjäger Ciro Immobile. Ein Glück, dass wenigstens ein routinierter Torwart eingetroffen ist, der Kolumbianer David Ospina, 30, wenn auch in buchstäblich letzter Minute. Ospina kommt als Leihgabe vom FC Arsenal, nachdem das italienische Nachwuchstalent Alex Meret, 21, verletzt ausgefallen ist und der griechische Nationaltorhüter Orestis Karnezis bei den Testspielen eine verzweifelte Figur abgegeben hatte.

Wird schon werden. Ein Meistertitel reicht ja, von der Champions League können sie in Turin weiter träumen, in Neapel, wo es schon ein Drama ist, das marode Stadion mit neuen Plastiksitzen auszustatten, ist man davon Lichtjahre entfernt. "Es ist wunderbar, endlich wieder auf Italienisch zu trainieren", tröstet sich Ancelotti, der nach dem plötzlichen Aus in München neun Monate pausierte. Er könne sich so doch einfach viel besser ausdrücken. Wie heißt es in einem alten neapolitanischen Schlager? "Es reicht doch, dass die Sonne scheint, dass uns das Meer geblieben ist. Wir sind in Neapel, Landsmann!" Und wir haben Familie.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2018
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