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Skandal in der Serie A:Mittellos die Welt kaufen

Massimo Ferrero, der Präsident von Sampdoria Genua, prägte lange Italiens Fußball. Jetzt sitzt der 70-Jährige im Gefängnis. Über einen, der zwischen Größenwahn und Realsatire taumelt.

Von Oliver Meiler, Rom

Figuren gibt es, die gibt es nur in Italien. Figuren aus der ewigen Commedia dell'arte, schillernde Seiltänzer am Abgrund. Gerade die Führungsriege des italienischen Fußballs war immer voll von Mäzenen, besoffen vom Applaus der Fans, taumelnd zwischen Größenwahn und Realsatire. Es sei dabei nur an Silvio Berlusconi erinnert. Nun aber scheiden sie aus, einer nach dem anderen, oft machen sie Investoren aus dem Ausland Platz. Manche gehen leise, andere laut und unrühmlich.

Der römische Film- und Kinounternehmer Massimo Ferrero, 70, bis eben noch Besitzer und Präsident von Sampdoria Genua, ist vor ein paar Tagen verhaftet worden. Wegen betrügerischen Bankrotts, Bilanzfälschung in einigen seiner Firmen, alles Böse in 38 Anklagepunkte. Hausarrest mochten ihm die ermittelnden Staatsanwälte nicht zugestehen, denn dafür, schreibt das Gericht, sei der Angeklagte viel zu "verschlagen und durchtrieben". Ferrero sitzt jetzt in San Vittore, dem Gefängnis von Mailand. Die Präsidentschaft des Vereins hat er niedergelegt, es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, obwohl die Vorwürfe gegen ihn die Sampdoria selbst nicht betreffen. Bisher zumindest.

Das gar nicht so überraschende Schicksal Ferreros, den sie auch "er viperetta" nennen, römisch für "die kleine Viper", füllt die Zeitungen. In den Berichten schwingt präventive Wehmut mit. Der ganze Calcio-Zirkus lebt nun mal von diesen Figuren, mehr jedenfalls als von amerikanischen Hedgefonds und chinesischen Investoren.

Gianluca Vialli, ein alter Klub-Held, hatte andere Geldgeber an der Hand

Ferrero hat sich immer einen Sport daraus gemacht, besser zu sein als seine vielen Parodien. Noch bunter, noch grotesker, eine Karikatur seiner selbst, und das war nicht leicht. Der beste Imitator Italiens, Maurizio Crozza vom Fernsehsender Nove, ein grandioser Meister der Persiflage und ein Fan der "Samp", hatte Ferrero in sein festes Repertoire aufgenommen, blieb aber immer etwas blass in der Rolle. Ausgerechnet. Denn das Original war einfach zu gut.

Jeden Sonntag legte Ferrero selbst nach, meistens im Stadio Luigi Ferraris, der Spielstätte beider Erstliga-Vereine aus Genua. Er zeigte sich da immer in ausgefallenen Klamotten, in Jacken aus Kaschmir, schwarzweißen Schuhen, Seidenschals, die er sich auch mal um seinen Wuschelkopf wickelte. Die Kameras suchten und fanden ihn immer. Aus Aberglaube führte Ferrero vor Spielen kuriose Gesten mit seinen Händen auf. Und wie er redete: kaum mal ein Satz ohne Verwünschung unter Bemühung anatomischer Beepwörter.

Eine Show sondergleichen war das immer, alle schüttelten den Kopf - und warteten ungeduldig auf den nächsten Spruch. Über seinen Amtskollegen von Lazio Rom, den Reinigungsunternehmer und Vereinspräsidenten Claudio Lotito, auch der ein eminenter Vertreter des realsatirischen Genres, sagte Ferrero einmal: "Wenn Lotito zu einer Hochzeit geht, will er der Bräutigam sein. Geht er zu einer Beerdigung, will er die Rolle des Toten."

Ferrero wuchs in Testaccio auf, früher ein Arbeiterviertel Roms. Der Vater war Busfahrer, die Mutter hatte einen Marktstand an der Piazza Vittorio. Zur Schule ging der Kleine selten, es zog ihn schon früh nach Cinecittà, in die römischen Filmstudios. Es geht das Gerücht, das erste Mal habe er sich in einer Lieferkiste mit Kostümen reingeschmuggelt - wahrscheinlich streute er auch das Gerücht selbst.

Er diente sich als "trovaroba" an, wie man zu denen sagt, die in letzter Minute Dinge und Leute auftreiben: Möbel aus dem 17. Jahrhundert, einen Klempner zur Unzeit, ein seltenes Accessoire für eine Produktion. Und weil er da immer rumhing, kam Ferrero auch zu kleinen Statistenrollen, mal gab er einen Legionär, mal einen mexikanischen Banditen. Als er dann später in zweiter Ehe die Erbin einer großen Käserei aus der Gegend geheiratet hatte, war plötzlich genügend Geld da für eigene Filmproduktionen.

2014 bot der Besitzer und Geldgeber von Sampdoria seinen Klub an, und zwar gratis

Groß wurde Ferrero aber erst, als ihm ein alter Bekannter in Not seine Kinos verkaufte: Der Filmproduzent Vittorio Cecchi Gori, einst Präsident des AC Florenz, besaß mehr als 60 davon, auch das "Adriano" in Rom, eine Institution in einem ehemaligen Theater. Ferrero war jetzt jemand, wenigstens in Rom. Wie er dieses Kinoimperium bezahlte, ist bis heute ein Rätsel.

2014 bot ihm dann der legendäre Besitzer und Geldgeber von Sampdoria, der Erdölindustrielle Edoardo Garrone, seinen Klub an, und zwar gratis. Nur die Schulden sollte Ferrero übernehmen: 15 Millionen Euro. In Genua fragte man sich, ob dieser Römer mit dem breiten römischen Akzent und den lustigen Haaren, von dem alle wussten, dass er viel lieber die AS Rom gekauft hätte, überhaupt Geld hat. Sehr intuitiv, die Genuesen sind nun mal bekannt dafür, dass sie jeden Cent umdrehen. Sie mochten den Aufschneider nie. Ferrero quittierte die Unliebe einmal so: "Wer kennt Sampdoria schon jenseits von Recco und Chiavari?" So heißen zwei Nachbargemeinden von Genua.

Er versprach immer wieder, der Klub werde an ruhmreiche Zeiten anknüpfen, an Zeiten vor dreißig Jahren, als die "Samp" tatsächlich mal italienischer Meister wurde und es im Jahr darauf bis ins Finale des Europapokals der Landesmeister brachte. Das war natürlich eine Schimäre, doch immerhin: Man stieg mit Ferrero nie aus der Serie A ab. Und da sich einige Spieler als Glücksgriffe erwiesen und sich für viel Geld verkaufen ließen, stand in den Vereinsbücher meistens ein Plus.

Mit den Mächtigen aus der Fußballwelt war man in Italien immer schon generöser

Vielleicht war Sampdoria sogar Ferreros beste Geschäftsleistung überhaupt. Alles andere misslang. Die Airline Livingston Energy Flight, die er kaufte, um möglichst viele Italiener mit Charterflügen in die Karibik zu fliegen, ging bald pleite. Von seinen Kinos in Rom sind nur noch zwei geöffnet. Bei anderen weht der Wind gerade wieder Herbstlaub unter den gläsernen Fronttüren hindurch in die staubigen Kassensäle.

Die Ermittler aus Paola in Kalabrien sind durch einen Zufall auf Ferrero aufmerksam geworden. Die Polizei hatte in einem gestohlenen Wagen eine Aktentasche voller Dokumente, Registereinträge, Sitzungsprotokolle und Buchhaltungen von vier Firmen gefunden, deren Sitz Ferrero vor einigen Jahren in den tiefen Süden Italiens verlegt hatte, um da etwas ungestörter zu sein. Wollte er mit der filmreifen Inszenierung die Papiere aus der Welt schaffen?

Für die Staatsanwaltschaft dienten die Unternehmen und eine fast unendliche Stapelung von Schachteleinheiten dazu, die Gläubiger und das Finanzamt zu täuschen und sich dabei auch noch zu bereichern. Ferrero hatte Schulden in der Höhe von 200 Millionen Euro, schaffte es aber unter anderem, Leasingverträge für einen Ferrari Spider und eine große Yacht zu unterzeichnen. Mittellos, aber ein Auftritt, als würde er gleich die Welt kaufen.

Natürlich kann man sich fragen, warum er damit so lange unbehelligt durchkam, aller Anzeichen zum Trotz. Mit den Mächtigen aus der Fußballwelt, diesen Traumstiftern und Schaumschlägern, war man in Italien eben immer schon etwas generöser.

Nun hoffen die Fans des Klubs, die "Doriani", dass jetzt jener Versuch Erfolg haben wird, den Massimo Ferrero vor zwei Jahren mit einigen Sprüchen und abergläubischen Gesten noch abgewürgt hatte: Gianluca Vialli - einer der Helden aus den glorreichen Jahren 1991 und 1992, als Stürmer an der Seite von Roberto Mancini, dem heutigen Coach der italienischen Nationalmannschaft - wollte schon damals der "viperetta" den Verein abkaufen. Vialli hatte amerikanische Investoren an Bord, die das nötige Geld beigesteuert hätten. Die Frage ist jetzt: Gibt es die noch, wollen die noch? Bereits der Stadtrivale CFC Genua wechselte vor ein paar Wochen den Besitzer: Spielzeughersteller Enrico Preziosi verkaufte an eine Seilschaft aus den USA, die "777 Partners". Man träumt jetzt groß.

Am Wochenende ist nun das Ligaderby in Genua. "Derby della Lanterna", nennt man es, weil der Leuchtturm nun mal das Wahrzeichen der Hafenstadt ist. Wahrscheinlich wird Ferrero dann auf den Rängen des Luigi Ferraris mit bösen Spruchbändern bedacht. Wobei: Verwunderung über diesen Epilog wäre heuchlerisch, ja geradezu verwegen. Ferrero sagte immer gerne und selbst offenbarend: "Geboren und aufgewachsen bin ich in Cinecittà, wo Wirklichkeit und Fantasie ineinanderfließen."

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