Süddeutsche Zeitung

Start der Serie A:Die Rabattliga träumt

Italiens Vereine geben sich zum Start der Serie A sparsam wie nie. Inter leiht seinen Topstürmer billig aus. Milan versucht's noch mal mit Zlatan Ibrahimovic. Die größte Euphorie erzeugt José Mourinho in Rom.

Von Oliver Meiler, Rom

In Italien war Fußball schon immer eng verstrickt mit der Politik. Brot und Spiele eben, wie bezirzt man nochmal das Volk? Und dafür war den neuzeitlichen Kaisern, den Berlusconis und Agnellis, den Morattis und Sensis, kein Preis je zu hoch, kein Finanztrick zu billig. Das Geklotze der Präsidenten und Mäzene gehörte dazu, es sollte den Anhängern als Gewähr dienen, dass die Herrschaften da oben alle ihre Träume wahr machen können.

Wenn nun vor der neuen Saison der Serie A vor allem die Sparer gefeiert werden, die vernünftigen Buchhalter an den Spitzen der hoch verschuldeten Vereine, dann muss man schon fast von einem Paradigmenwechsel reden. Revolution? Von oben! Das Zauberwort des Sommer-Mercato heißt "Parametro zero", das ist der italienische Begriff für "ablösefrei". Frugaler war man noch nie. Es geht wohl nicht anders.

Die vier bestplatzierten Vereine der vergangenen Saison - also Meister AC Milan, Inter Mailand, Juventus Turin und der SSC Neapel - haben ihr Gehaltsvolumen insgesamt um 71 Millionen Euro gekürzt. Besonders radikal ging Aurelio De Laurentiis zu Werke, der Patron von Napoli, ein römischer Filmproduzent. Er strich einfach mal Lohnausgaben von 30 Millionen Euro. Das dünnte die Reihen der Großverdiener und Ausnahmekönner dramatisch aus, auf Kosten wohl der sportlichen Ambitionen. Lorenzo Insigne, ein Kind der Stadt, Dries Mertens, so etwas wie der Adoptivsohn Neapels, und Kalidou Koulibaly, der bisherige Abwehrchef - alle weg.

Und so wird Napoli, eine der "sieben Schwestern" der Serie A, wie man die wahren und die vermeintlichen Granden der Meisterschaft in Italien nennt, auf einmal nicht zu den Titelanwärtern gezählt. Lazio Rom und der AC Florenz übrigens auch nicht. Das muss natürlich nichts heißen, aber die berühmten Analysten der Zeitungen sind sich einig und trauen die Meisterschaft nur vier Klubs zu: Milan, Inter, Juve und, recht überraschend, der übereuphorisierten Associazione Sportiva Roma von Coach José Mourinho.

"Ibra" gibt den Tutor der Jungen, seine Söhne werden auch für Milan spielen

Favorit unter den Favoriten? Vielleicht Milan, der Wundermeister aus der vergangenen Spielzeit, als alles möglich war. Zlatan Ibrahimovic, bald 41, hat noch mal für ein Jahr verlängert - für eine Million Euro, was in seinen Kategorien eine Art Mindestlohn sein dürfte, eine großzügige Geste. Seine Söhne, auch das steht im Vertrag, werden für Milan spielen. Gebraucht wird "Ibra" vor allem für die Betreuung der insgesamt jungen Mannschaft, er soll ihr ein bisschen was von seinem Siegerspirit einpusten. Milan hat den 21-jährigen Charles De Ketelaere von Brügge geholt, ein Großtalent, er erinnert sie an den Brasilianer Kaká, Glorie der Nullerjahre, und dieses süße Schwelgen in alten Zeiten ließ man sich dann doch etwas kosten - dem Vernehmen nach 34 Millionen Euro. Milan hat neue Besitzer, Red Bird, ein Fonds aus den USA. Doch die Philosophie bleibt dieselbe: viel Jugend und ein paar Veteranen als Mentoren.

Einen Coup landete Inter, wenigstens aus der Sicht Inters. Nach nur einem Jahr holt der Verein Romelu Lukaku zurück und überweist für die Leihe nur acht Millionen Euro an den FC Chelsea. Dazu muss man wissen, dass Inter den Mittelstürmer im Sommer 2021 für 115 Millionen nach London verkauft hatte. In Italien sagt man, Chelseas früherer Besitzer Roman Abramowitsch hätte nie eingewilligt in einen solch miesen Deal, egal, wie klein die Rolle von "Big Rom" in den Plänen an der Stamford Bridge noch war.

Bei Inter sehnt man sich nun nach den Zeiten zurück, da Lukaku im Verbund mit dem Argentinier Lautaro Martínez den Verein zur Meisterschaft schoss. Das Duo ist wieder beisammen, ein Revival von "Lu-La" also. Kann funktionieren, aber manchmal geht Nostalgie auch fürchterlich schief. Inter verliert unterdessen seinen Besten aus der vergangenen Saison: Ivan Perisic, Mann der tausend Flügelläufe, ist nach London gegangen, zu Tottenham. Robin Gosens ersetzt ihn, das jedenfalls ist die Hoffnung. Der deutsche Nationalspieler scheint aber nach seinem Wechsel aus dem nahen Bergamo noch immer nicht richtig in Mailand angekommen zu sein.

Dybala und Wijnaldum wurden im Privatjet eingeflogen. Am Steuer saß der Präsident

Juventus braucht den Titel dringender als die gesamte Konkurrenz. Zwei Jahre ohne Scudetto, nachdem man davor neun Mal in Serie Meister geworden war? Das fühlt sich schon wie eine Ära der Trübsal an. So besann man sich auch in Turin alter Zeiten und holte den französischen Mittelfeldspieler Paul Pogba zurück, den sie "Polpo" rufen, "Oktopus". Sechs Jahre lang spielte er für Manchester United, ist aber immer noch erst 29. Pogba hat Probleme an einem Knie, operieren will er es aber nicht, weil er sonst wohl die WM in Katar verpassen würde. Andererseits: Ist es gescheit, damit zu warten? Nun muss Juve wohl noch eine Weile auf ihn verzichten.

Der Transfer von Matthijs de Ligt zum FC Bayern füllte die Kasse, die Hälfte des Erlöses reichte für die Verpflichtung des Brasilianers Gleison Bremer vom FC Turin, den man gerade für den besten Innenverteidiger der Meisterschaft hält. Viel erwartet man sich bei Juve vom linken Fuß von Ángel Di María. Der soll von rechts Bälle im Dutzend ins Zentrum löffeln, von links kommen die Flanken neuerdings von Filip Kostic, dem Zugang aus Frankfurt, und in der Mitte soll Dusan Vlahovic möglichst aus jeder Vorlage ein Tor machen. Oder vielmehr: muss. Die Agnellis begehen nämlich gerade hundert Jahre Juve im Familienbesitz, das erzeugt Druck.

Die Roma rühmt sich und wird gerühmt, weil ihr für nur sieben Millionen Euro ein ziemlich brillanter Mercato gelungen ist: Paulo Dybala, Nemanja Matic, Georginio Wijnaldum, sie alle gab es zum "Parametro zero". PSG willigte sogar ein, weiterhin den halben Lohn des Niederländers Wijnaldum zu bezahlen. Mourinho rief sie alle an, um sie zu überzeugen, in die Fußballprovinz zu wechseln. In Rom, sagte er ihnen wohl, gewinnt man selten, alle paar Jahrzehnte mal, da ist das Siegen ganz aufregend, das Olimpico dazu neuerdings immer voll, der Enthusiasmus in den Sternen. Die amerikanischen Vereinseigner, Dan und Ryan Friedkin, Vater und Sohn, holten die Stars mit dem Privatjet nach Rom, der Senior flog die Maschine persönlich. Wenn die Friedkins nun auch noch Nicolò Zaniolo halten, für den Tottenham Hotspur eine verlockend hohe Ablöse bezahlen würde, ja dann hat die Roma einen durchaus meisterfähigen Kader zusammen. Die größte Gefahr droht von der Laune der Fans, ihre Leidenschaft kann schnell kippen. Ein paar Niederlagen, schon fühlt man sich in Rom betrogen.

Und dann schaut Italien noch mit etwas Neugierde auf die AC Monza, den Neuling aus dem Norden Mailands. Nie zuvor war der Verein erstklassig. Die Premiere bringt Silvio Berlusconi zurück auf die Bühne, der Verein gehört ihm seit ein paar Jahren. Wie viel er da investiert, ist nicht so klar, wahrscheinlich ist es eine üppige, vorrevolutionäre Summe. Wenn dann mal die ersten paar Runden gespielt sein werden, wird sich Berlusconi in den italienischen Senat wählen lassen, wo sie ihn vor zehn Jahren rausgeworfen hatten. Mit 85 ist er zurück auf allen Bühnen, es ist das alte Lied: Politik und Fußball, Brot und Spiele. Mit einem Sprung in der Platte.

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