Serie A:Der Ruhige mit der Brille

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Er kann's auch leidentschaftlich: Roms Trainer Di Francesco steht vor seinem wichtigsten Spiel. (Foto: Gleb Garanich/Reuters)

Trainer Eusebio Di Francesco begegnet der Achterbahnfahrt von AS Rom mit Disziplin und Ausgeglichenheit.

Von Birgit Schönau, Rom

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Mal Champion der Herzen, mal von den eigenen Fans als Hasenfüße beschimpft und mit Karotten beworfen: Die emotionalen und sportlichen Achterbahnfahrten der Associazione Sportiva Roma sind selbst für italienische Verhältnisse beachtlich. Wenn Juventus minimalistischen calcio cinico in Reinkultur verkörpert, so garantiert die Roma das Melodram, je nach Laune in höchster Verzückung oder in hoffnungsloser Düsternis. Nur ernsthaft, diszipliniert und bodenständig, das war der Klub mit der Mutter Wölfin aus der Stadtgründungssage im Wappen nie.

Bis "Difra" kam, der Typ mit der dicken Brille. So beharrlich und bedächtig wie Eusebio Di Francesco, 47, war vermutlich noch kein Roma-Trainer in der 90-jährigen Klubgeschichte. Jetzt steht Difra, der als taktisch hoch begabter Spieler von 1997 bis 2001 im Mittelfeld des Hauptstadtvereins agiert hatte, vor dem wichtigsten Match seiner Karriere als Coach. An diesem Dienstag könnte er die Roma ins Viertelfinale der Champions League führen, erstmals seit zehn Jahren.

Illustre Vorgänger waren an diesem Ziel gescheitert. Die Italiener Fabio Capello und Claudio Ranieri, der Franzose Rudi Garcia. Dabei hatten sie einen Kapitän, der jeden Mitspieler überstrahlte und mächtiger war als jeder Trainer: Francesco Totti. Difra hatte noch an der Seite der Legende gespielt, doch als Coach heuerte er erst an, als Totti nach einem Vierteljahrhundert ins Klubmanagement gewechselt war.

Es ist die ideale Konstellation. Di Francesco und Totti verstehen sich bestens, eine Konkurrenz ist ausgeschlossen. Totti wird nicht müde zu betonen, dass er sich in der Chefetage als Praktikant empfindet, der erst noch kapieren muss, wie die Fußballwelt abseits des Rasens funktioniert, und der in Anzug und Schnürschuhen mit sich selbst fremdelt. Di Francesco kann dennoch bei ihm wertvollen Rat einholen, und er ist klug genug, darauf nicht zu verzichten. Sein Kapitän ist Daniele De Rossi, Römer wie Totti und dessen ewiger Vize. Erst mit 34 Jahren durfte De Rossi aus dem Schatten des Monuments treten und das Zepter übernehmen. Totti wurde wenigstens einmal Meister, er nicht. Aber das Viertelfinale der Champions League wäre schon mal nicht schlecht.

Der Gegner ist Schachtjor Donezk, zäh und widerborstig. "Von wegen Ukraine - die spielen brasilianisch", sagt Eusebio Di Francesco. Im Hinspiel hatte sein Team mit 1:0 geführt, dann kamen der Argentinier Facundo Ferreyra und der Brasilianer Fred, 1:2. Schachtjor, einst ein Verein sowjetischer Bergarbeiter, ist heute ein Klub südamerikanischer Fußball-Söldner. Sieben Brasilianer und zwei Argentinier kicken für den Oligarchen Rinat Achmetow, den reichsten Mann der Ukraine. Die Roma ist bereits einmal im Achtelfinale der Champions League an Schachtjor gescheitert. "Wir müssen diesmal mit zwölf Mann spielen", erklärt Difra und rückt die Brille zurecht. So leidenschaftslos hört sich bei ihm ein Appell an das Publikum an, das bei internationalen Spielen eher zurückhaltend mit der Präsenz im Stadion ist.

Doch im Moment hat die Roma einen Lauf. 4:2 gegen Tabellenführer SSC Neapel vor zehn Tagen im Stadio San Paolo. 3:0 am vergangenen Freitag gegen den FC Turin. "Und wir nutzen unser Potenzial noch viel zu wenig", klagt Di Francesco. Immerhin reicht es für Platz drei hinter dem neuen Klassenersten Juventus und Napoli, das nach einem 0:0 gegen Inter Mailand am Sonntag vorerst entthront wurde.

Sieben Tore in zwei Spielen schoss AS Rom, und gegen Turin war noch nicht einmal der gesperrte Edin Dzeko am Start. Nun soll der 32-jährige Bosnier als international erfahrenster Spieler Schachtjor die Kohlen klauen. Gegen den FC Chelsea hatte das in der Gruppenphase schon funktioniert. Dzeko traf gegen die Londoner zwei Mal, und die reagierten mit einem Angebot: 30 Millionen wollten sie der Roma für den Angreifer zahlen, eine Rekordsumme für einen über 30-Jährigen. Patron James Pallotta, ein Italo-Amerikaner, der nicht ganz so reich ist wie die post-sowjetischen Oligarchen Achmetow und dessen Chelsea-Kollege Abramowitsch, zeigte sich euphorisch. Aber Dzeko weigerte sich, unterstützt von seinem Trainer Difra. Der Spieler wollte nicht weg aus Rom, wo er gerade eine Wohnung gekauft hatte. Für kein Geld der Welt und erst recht nicht für ein Jahr in London. Dzeko blieb stur. Und Difra konnte aufatmen. Einen Stürmer, der 39 Tore pro Saison einbringt wie Dzeko im Vorjahr, hatte der Klub noch nie gehabt.

Sicher, da wäre auch das türkische Talent Cengiz Ünder, 20, der in der Ukraine das Führungstor erzielt hatte. Und der Italo-Ägypter Stephan El Shaarawy, 25, als dritter Mann im Sturm. Doch noch überragt Dzeko alle.

Mit ihm will Difra sich einen Traum erfüllen. Unter den besten Acht in Europa zu sein, nach sehr beharrlichen Jahren in der Fußballprovinz. Mit US Sassuolo war Eusebio Di Francesco gereift, er brachte den Klub aus der Emilia Romagna in die Serie A und zuletzt sogar in die Europa League. Das war, bevor er bei der Roma ins Rampenlicht rückte und die emotionale Achterbahn stilllegte, sie ersetzte durch eine ganz neue Maxime: Disziplin und Ausgeglichenheit. Fast so, als wären die Söhne der Wölfin ein Rudel von Bergarbeitern.

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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