Süddeutsche Zeitung

Italiens neuer Meister:Modell Zlatan statt Modell Berlusconi

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Der AC Mailand ist italienischer Meister, aber anders als früher: mit Nachhaltigkeit und Sinn fürs Kollektiv. Und mit dem Vorpensionär Ibrahimovic als Männermacher.

Kommentar von Oliver Meiler, Rom

Sie haben ihm die Meistermedaille gestohlen, plötzlich war sie weg, entrissen im Taumel der Fans mit ihren Lieblingen auf dem Rasen in Reggio Emilia. Eine Medaille, die man Stefano Pioli, dem Trainer der Associazione Calcio Milan, nie wirklich zugetraut hätte. Zu normal, zu uninspiriert, auch zu nett - so sah man ihn in Italien. Nun, nach dem Scudetto mit Milan, dem 19. in der Vereinsgeschichte, vergleicht man Pioli, 56 Jahre alt, früher Verteidiger, schon mit Carlo Ancelotti. Beide kommen sie aus der stillen Emilia, Scholle von Bauern und Mechanikern, Parmesan und Motoren - sie erdet die Menschen. Ob man ihm die Medaille bitte zurückgeben könne, sagte Pioli in der Stunde seines Triumphs. Es sei nun mal seine erste.

Zu Beginn der Saison hätte niemand auf sein Milan gesetzt, wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Es war eine verrückte Saison, eine ohne stringente Erzählung.

Die vermeintlichen Hegemonen Inter Mailand und Juventus Turin leisteten sich erstaunliche Durchhänger, bis zuletzt war alles offen. Nicht so offen wie in England natürlich, wo sie den letzten Spieltag wieder einmal so ernst genommen haben wie den ersten. Milan musste noch bei Sassuolo antreten, und dieses Sassuolo empfing den Tabellenführer mit allen Ehren: 18 000 von 20 000 Plätzen im Mapei Stadium von Reggio Emilia gingen an Milanisti - wo hat es das schon mal gegeben, zum Epilog auswärts als wär's daheim? Domenico Berardi, der Superstar von Sassuolo? Milan umwirbt ihn schon lange. In der ersten halben Stunde durfte Milan ungefähr tausend Mal unbehelligt aufs Tor schießen. Zur Pause stand es 0:3.

Dennoch: Der Titel ist verdient - und er wurde erfreulich nachhaltig errungen. Vor vier Jahren, als der amerikanische Hedgefonds Elliott Management die Führung bei den Rossoneri, den Rot-Schwarzen übernahm, stand Milan am Rand der Pleite. Die Bücher strotzten vor Schulden, sportlich war man schon lange nur noch Mittelmaß. Die Besitzer zwangen dem Verein eine Sanierungskur auf, der Etat wurde massiv gekürzt, die Löhne lagen im Durchschnitt nun weit unter jenen der direkten Konkurrenz. Der protzige Gestus aus der Zeit mit Silvio Berlusconi, Mäzen und Zampano, war plötzlich weit weg. Die Anhänger klagten, so werde das nie mehr etwas.

Milan stellte viele junge Spieler ein - und dazu Zlatan Ibrahimovic im Vorpensionierungsalter, der diese jungen Herrschaften zu Männern machen sollte. Das war der Plan, er ging auf, zumal mit Sandro Tonali, dem gereiften Gestalter im Mittelfeld, und mit dem wunderbar leichtfüßigen portugiesischen Angreifer Rafael Leão: beide erst 22, beide Protagonisten über Nacht. Milan wuchs zum Kollektiv, die Mannschaft war mehr Mannschaft als alle anderen Mannschaften der Serie A. Männermacher "Ibra" fehlte oft verletzt, im letzten Spiel waren nur zwanzig Minuten drin. Danach aber zeigte sich der Boss mit Zigarre im Mund. Vielleicht macht er weiter.

Der Klub ist saniert und wird wohl an den nächsten Investor weiterverkauft - für mehr als eine Milliarde

Die Sanierung ist abgeschlossen, die Schulden sind weg. Elliott wird Milan nun wahrscheinlich an Red Bird verkaufen, einen anderen amerikanischen Fonds, der sich mit Investoren aus Bahrain gemessen hat und mehr offerierte. Kolportiert wird ein Verkaufspreis von weit mehr als einer Milliarde Euro. Offenbar ist der viel geschmähte italienische Fußball am Ende doch ein Geschäft - trotz vieler baufälliger Arenen, trotz verblasster Strahlkraft ins Ausland, trotz beladener Bilanzen. Da leuchtet die überraschende Meisterschaft Milans gerade wie ein sympathisches Mirakel. Und nun möge man Stefano Pioli gefälligst die Medaille zurückgeben.

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