Süddeutsche Zeitung

Serge Gnabry:Signal an Europa

Lesezeit: 4 min

Der Münchner steht für die Offensivwucht, die den FC Bayern derzeit auszeichnet. Anders als noch zu Saisonbeginn darf der Ex-Londoner "Serge of Glory " beim 3:0 gegen Chelsea seine Kreativität ausleben.

Von Benedikt Warmbrunn, London

Keine halbe Stunde lang war der Auftritt der Fußballer des FC Bayern vorbei, da machten sich die Angestellten des FC Chelsea schon daran, die Spuren des Geschehens zu beseitigen. In Mannschaftsstärke rückten die Arbeiter aus, um den Rasen einem ausgiebigen Wellness-Programm auszusetzen. Drei Männer zogen meterbreite Besen hinter sich her. Sechs Männer lockerten den Rasen mit Mistgabeln auf. Drei weitere Männer zogen Vertikutierwalzen hinter sich her, sie alle arbeiteten dabei so penibel, als ob sie schlecht einschlafen würden, sollte das Spielfeld von ihnen nicht in einem akkuraten Zustand hinterlassen werden.

Doch dann rannten da auf einmal wieder mehrere Männer durch den Vorgarten des FC Chelsea, und es bedurfte wohl einer gewaltigen Portion britischer Höflichkeit, um sie nicht sofort wieder wegzuscheuchen. Erst sprinteten die Ersatzspieler des FC Bayern über das Spielfeld, was ihnen noch verziehen wurde, weil auch die Ergänzungsspieler der Heimmannschaft noch einmal ein paar Tempoläufe absolvieren mussten. Dann aber kehrte die gesamte Mannschaft des FC Bayern noch einmal auf den Rasen zurück, Runde für Runde liefen sie, traten wieder die Löcher zu, durch die die Erde doch gelüftet werden sollte. Schweigend und stoisch arbeiteten die Rasenpfleger des FC Chelsea weiter.

Ganz am Schluss der Eindringlinge lief ein Mann, der sich eine Mütze auf den Kopf gezogen hatte, er lief nicht wirklich rund, wie die Fußballer sagen; es wirkte fast so, als ob er auf wackligen Stelzen unterwegs sei. Vielleicht hatte Serge Gnabry keine Kraft mehr nach seinem dynamischen Auftritt im Spiel zuvor auf dem Rasen, vielleicht weiß er, der selbst fünf Jahre lang in England gespielt hat, aber auch einfach, mit welcher Lauftechnik ein britischer Rasen noch am besten geschont wird.

Der FC Bayern sei "absolut in der Lage, die Champions League zu gewinnen", sagt Thomas Müller

Gnabry, 24, war der Mann des Abends bei diesem 3:0 (0:0) des FC Bayern am Dienstag im Hinspiel im Achtelfinale der Champions League. Zwei Tore hatte er erzielt, und auch sonst hatte er mit all seinen Läufen, mit seinem Gespür für den Moment, mit seinem Hunger das gezeigt, was seine Mannschaft in London so stark gemacht hat. Dieses 3:0 war ja nicht nur fast schon die Garantie für die Viertelfinalteilnahme, dieses 3:0 war auch ein Signal an ganz Europa. Das Signal, das den FC Bayern in dieser Champions-League-Saison niemand unterschätzen sollte.

Das unerfahrene Team des FC Chelsea war gegen die Bayern etwas überfordert, die Gastgeber konnten das Spiel zwar überraschend lange einigermaßen offen gestalten, sie hatten auch ihre Torchancen - doch nachdem die Münchner erstmals getroffen hatten, wusste Chelsea all dieser Kraft der Gäste nichts mehr entgegenzusetzen. Und dieses erste Tor hatte natürlich Serge Gnabry erzielt. "Serge of Glory", schrieb die Sun am nächsten Morgen.

Der Flügelstürmer steht nun für die offensive Wucht, die der FC Bayern zurzeit hat, gerade sein Auftritt in London aber demonstrierte, wie gefestigt diese Dynamik zurzeit ist. Anfang Oktober hatte die Mannschaft ja schon einmal in London gespielt, damals noch bei Tottenham Hotspur, sie hatte 7:2 gewonnen, und Gnabry hatte vier Tore erzielt. Doch das Ergebnis damals hatte überstrahlt, dass es für den FC Bayern teilweise auch ein Spiel auf wackeligen Stelzen gewesen war, mit vielen Unsicherheiten in der Defensive, und vorne, da war es ein Abend gewesen wie es sie so nicht oft gibt: Nahezu jeder Angriff hatte zu einem Tor geführt. Am Dienstag jedoch waren Gnabrys Tore Ausdruck der strukturierten Spielweise, die den FC Bayern unter Trainer Hansi Flick auszeichnet.

"Es gibt an der Gesamtperformance nicht wirklich viel zu kritisieren", sagte Thomas Müller, der der Meinung war, die Mannschaft habe es "heute ein bisschen besser durchgezogen als vielleicht in anderen Spielen in der Bundesliga". Müller hatte seine Ambitionen in der Champions League zuletzt nicht versteckt gehalten, nun führte er das noch einmal deutlicher aus: "Wir haben schon das Gefühl, das was geht. Ich habe ja bewusst formuliert, dass wir absolut in der Lage sind, die Champions League zu gewinnen." Das lasse sich nicht allein am 3:0 vom Dienstag ablesen, sondern sei "die Konsequenz unserer Arbeit der letzten Wochen und Monate".

Wie sehr sich die Mannschaft in dieser Zeit weiterentwickelt hat, das lässt sich auch an Gnabrys Auftritten erkennen. Unter Niko Kovac hatte der Nationalstürmer immer wieder darunter gelitten, dass er als Flügelspieler so streng auf das Spiel auf den Flügeln reduziert wurde: Wege in die Mitte waren ihm fast schon verboten, obendrein wurde ihm jeder unterlassene Weg in die Defensive vorgehalten. Gnabry aber war immer der Ansicht, dass ein Stürmer wie er seinem Gespür folgen muss, er muss sich vorgekommen sein wie in einem Käfig. Unter Flick dagegen sind diese freien Gedanken sogar ausdrücklich erwünscht, unter Flick steht die Mannschaft im besten Fall ohnehin geschlossen so weit vorne, dass es gerade die kreativen und unerwarteten und dynamisch vorgetragenen Angriffsläufe sind, die das Spiel bereichern. Läufe also, die Gnabrys Spezialität sind.

Wie entschlossen er nun der eigenen Intuition folgt, das zeigte sich besonders eindrucksvoll an seinem zweiten Tor gegen Chelsea. Robert Lewandowski hatten ihm den Ball mit dem Kopf zugespielt, Gnabry passte ihn zurück zum Mittelstürmer, und noch ehe er losgerannt war, zeigte er bereits mit dem Finger an, wo genau der Ball gleich sein sollte. Lewandowski spielte den Ball perfekt in Gnabrys Lauf, dieser schoss mit links zentimetergenau ins Tor.

"Klar", sagte Hasan Salihamidzic, "wenn man Tore macht, kann man das herausheben", er wollte aber lieber über "eine sensationelle Teamleistung" sprechen und lobte deshalb das gesamte Team. "Es wäre jetzt unfair, jemanden herauszuheben", sagte er. Ganz falsch wäre es aber auch nicht gewesen.

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Quelle:
SZ vom 27.02.2020
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