Süddeutsche Zeitung

Serge Gnabry im DFB-Team:Löws neuer Luftikus

Serge Gnabry steht vor seinem Debüt in der Nationalelf. Mittelfristig heißt sein Ziel: Champions League. Doch warum wechselte er dann zu Werder Bremen?

Von Jörg Marwedel, Bremen

Die Frage, wie es weitergeht mit seiner Karriere, hat sich Serge Gnabry, 21, im vergangenen Sommer sehr intensiv gestellt. Eine Unter-Frage lautete dabei: Olympia - oder Saisonvorbereitung mit dem FC Arsenal? Hansi Flick, der DFB-Sportdirektor, hat Gnabrys Berater Hannes Winzer bearbeitet, er solle seinen Klienten doch bitte ermuntern, mit der Olympia-Mannschaft des DFB nach Brasilien zu fahren. Und Gnabry selbst wurde wiederum vom Olympia-Coach Horst Hrubesch angerufen - dennoch grübelte er lange, ob es nicht besser sei, lieber die Saisonvorbereitung beim FC Arsenal mitzumachen, um sich wieder näher an die Stammelf heran zu arbeiten, von der er in der vergangenen Saison weit entfernt war.

Wie es ausging, ist bekannt. Mit sechs Toren wurde der Junge aus Weissach nahe Stuttgart, der schon mit 16 Jahren nebst Vater Jean-Herrmann nach London gegangen war, Torschützenkönig des olympischen Turniers und gewann Silber. Und der neue Schalker Manager Christian Heidel vermutete danach: "Bei 17 von 18 Bundesligaklubs spielt er jetzt in den Plänen eine Rolle."

Zur Überraschung der Branche entschied sich der Offensiv-Spieler weder für einen Verbleib beim FC Arsenal, der ihm in den fünf Jahren sehr an Herz gewachsen war, noch für einen deutschen Spitzenklub. Er unterschrieb bis 2020 bei Werder Bremen. Es war eine durchaus rationale Entscheidung, die vom neuen Berater gefördert wurde. Dieser Wechsel sei für ihn kein Rückschritt gewesen, versichert Gnabry im SZ-Gespräch. Er sei nach Bremen gekommen, "um viel Spielpraxis zu sammeln". Das sei für den nächsten Schritt wichtiger als ein großer Klub.

Sein Berater hat ihm vor Olympia einen Athletik-Trainer besorgt, seitdem ist er weniger verletzt

Die deutschen Arsenal-Weltmeister Per Mertesacker und Mesut Özil (beide früher bei Werder) hätten natürlich sehr positiv über Werder berichtet, sagt Gnabry, aber sie hätten ihn "nicht angeschoben", nach Bremen zu gehen. Vor allem hat es Gnabry wohl für eher unwahrscheinlich gehalten, dass er trotz seines prächtigen Olympia-Auftritts eine feste Größe bei seinem Londoner Lieblingsklub geworden wäre. Seit 2012 hat er nur zehn Premier-League-Spiele für den FC Arsenal absolvieren dürfen; und bei West Bromwich, wohin er 2015 ausgeliehen wurde, machte er - auch wegen Verletzungen - keine einzige Partie. Was er dort lernte, war eher ernüchternd: "Wenn man ausgeliehen wird, kümmern sich die Leute wenig um einen."

Serge Gnabry kann inzwischen einigermaßen lässig über die Vergangenheit sprechen, er kennt ja die Gegenwart. Am Mittwoch ist er mit Joachim Löw und all den anderen berühmten A-Nationalspielern zum WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino nach Rimini aufgebrochen, und es gibt sogar Experten, die ihn auf dem linken Flügel in Löws Startelf erwarten.

Es fällt ihm selbst nicht leicht zu analysieren, weshalb es in England nicht mehr so richtig weiterging mit seiner Karriere. Manche sagen, er sei ein Luftikus oder Hallodri gewesen, er selbst sagt: "Ich bin immer noch ein lebensfreudiger Typ." Aber er habe seine Einstellung schon geändert, sagt der 21-jährige Gnabry über den Teenager Gnabry. Inzwischen absolviere er auch "Extra-Trainingseinheiten, die mir und meiner Fitness helfen". Sein Berater hat ihm vor Olympia außerdem einen Athletik-Trainer besorgt, seitdem ist der zuvor als verletzungsanfällig geltende Profi nicht mehr verletzt gewesen. Auch Burger und Süßigkeiten, sagt er, nehme er inzwischen nur noch in Maßen zu sich.

Werder als Durchgangsstation: Seine Karriere soll mal in der Champions League weitergehen

So kam es, dass er bei Werder trotz des anstrengenden Olympia-Turniers topfit auflief. Schon bei der ersten Bundesliga-Partie im September gegen den FC Augsburg stand er in der Startelf. Fortan war er stets einer der Besten. Er brachte Schnelligkeit und außergewöhnliche Dribblings ins Werder-Spiel. Beim 1:3 auf Schalke am Sonntag erzielte er mit einem Elfmeter sein viertes Tor im neunten Spiel. Nicht die etablierten Fritz oder Junuzovic schnappten sich den Ball, sondern der selbstbewusste Neue. Und die Kollegen hatten erkennbar Vertrauen in den Mitspieler.

Und doch mag es Gnabry nicht, wenn man ihn als Werder-Hoffnungsträger bezeichnet. "Werder Bremen ist Werder Bremen. Ich bin ein kleiner Bestandteil davon", sagt er. Koketterie? Einzel-Interviews lehnt er bisher weitgehend ab. Er sei ein Teamplayer, der gemeinsame Erfolge mehr genießen könne als persönliche Triumphe. "Ich kann mir doch nicht rausnehmen, nur Offensiv-Aktionen zu machen, und hinten fallen die Tore, weil ich nicht mitmache", sagt er, "ich kann ja auch vorne meine Aktionen nicht durchführen, wenn die anderen den Pass nicht spielen oder den Laufweg nicht machen."

Ziel ist irgendwann die Champions League

Es sieht so aus, als seien die Ratschläge der Fußballweisen bei ihm angekommen. Über Arsenal-Coach Arsène Wenger sagt Gnabry, er sei ein wesentlicher "Baustein" auf seinem Weg gewesen, einer, der an ihn geglaubt habe, auch wenn er wenig spielte. Der Franzose sei aber "ein sehr fachlicher Typ, er kommt über seine Fußballstrategie". Mehr liegen Gnabry wohl Trainer wie Hrubesch oder sein neuer Klubcoach Alexander Nouri: Menschen, die andere Menschen einfangen und motivieren können.

Auch sie sind wichtige Bausteine in seiner Karriere, die, wie er sagt, irgendwann in der Champions League weitergehen soll. Deutlicher kann man nicht ausdrücken, dass Werder wohl nur eine Durchgangsstation für ihn ist, wie einst auch für Mertesacker und Özil. Ob es denn stimme, dass sich der FC Bayern bereits eine Option auf ihn gesichert habe? "Die Länderspiel-Berufungen sind mein Traum. Alles andere brauchen Sie nicht zu fragen", sagt er beim Verabschieden.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2016/schma
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