Erst wird gerechnet, dann kommt die Überraschung: Serena Williams gibt bekannt, dass sie in der 20. Woche ihrer Schwangerschaft steht. Und damit irgendwie auch, dass sie bei ihrem Sieg des Australian Open im zweiten Monat schwanger war. Aber Schwangerschaft und Spitzensport, geht das überhaupt?
Die Antwort mag verblüffen, aber sie lautet: Na klar, geht das! Zumindest, was die ersten drei Monate einer Schwangerschaft betrifft. Und Williams ist auch nicht die erste Spitzensportlerin, die schwanger einen grossen Triumph errungen hat.
Anders, als der Laie im ersten Moment vermuten würde, muss eine frühe Schwangerschaft kein Nachteil sein, wenn es darum geht, körperliche Höchstleistung abzurufen. Ganz im Gegenteil: Die Herzleistung steigt in den ersten drei Monaten, es kommt zudem zu einer Zunahme des Blutvolumens, des Hämoglobins und der roten Blutkörperchen. Das alles führt zu einer erhöhten Sauerstoffzufuhr der Muskeln.
Bis zu 30 Prozent mehr Leistung
Es gibt Schätzungen darüber, wie groß dieser "Vorteil" sein könnte. Einige Mediziner gehen davon aus, dass die körperliche Leistungsfähigkeit um 10 Prozent gesteigert werden könne. Andere schreiben, die Muskelleistung könne gar um 30 Prozent zunehmen. Kommt dazu, dass die Muskeln geschmeidiger und die Gelenke beweglicher werden.
Natürlich gibt es Umstände einer Frühschwangerschaft, die dagegensprechen, sportliche Grosstaten zu vollbringen. Über die Hälfte der werdenden Mütter klagt über Übelkeit. Dazu leidet jede zehnte unter einer Schwangerschaftsdepression.
Und doch sind die positiven Nebenwirkungen einer frühen Schwangerschaft auf die körperliche Leistungsfähigkeit so groß, dass sie auf der Doping-Präventions-Website der Technischen Universität München beschrieben werden.
Immer wieder kursieren deswegen Gerüchte, Spitzensportlerinnen würden punktgenau vor Grossanlässen schwanger - und liessen den ungewollten Fötus danach abtreiben. Es gibt allerdings keine Beweise für dieses " Abtreibungs-Doping", das vor allem den Ländern des Ostblocks in den Zeiten des Kalten Krieges nachgesagt wird.
Zwar zeigte der TV-Sender RTL 1994 ein Interview mit einer Frau, die sich als die ehemalige Turnerin Olga Kowalenko ausgab. Diese berichtete, die sowjetischen Turnerinnen seien vor den Olympischen Spielen 1968 zu einer Schwangerschaft gezwungen worden. Doch Kowalenko bestritt danach vehement, dieses Interview gegeben zu haben, und gewann sogar Gerichtsprozesse gegen Zeitungen, welche die Geschichte weiterverbreiteten.
Auch in den Doping-Unterlagen der ehemaligen DDR, die nach dem Mauerfall 1989 intensiv untersucht wurden, gibt es keine Hinweise darauf, dass Schwangerschaften im Ostblock gezielt zur Leistungssteigerung missbraucht wurden.
Bei Serena Williams stellt sich diese Frage sowieso nicht. Dafür eine andere: War es für den achtwöchigen Fötus nicht gefährlich, dass sie ihren Körper in der australischen Hitze an die Leistungsgrenze trieb? Nun, es gibt zu schwangeren Spitzensportlerinnen noch keine umfassenden Untersuchungen.
Eine dänische Studie hat aber 2007 festgestellt, dass ein hohes Sportpensum in der Frühschwangerschaft die Gefahr einer Fehlgeburt stark erhöhen könnte. Das Risiko soll bei mehr als sieben Stunden Sport in der Woche drei- bis viermal höher sein. Allerdings sind sich die Studienautoren selbst nicht sicher, ob wirklich der Sport Auslöser der Fehlgeburten ist. Oder ob nicht andere Faktoren mitspielen.
Grundsätzlich ist die Wissenschaft heute weit davon entfernt, Frauen in der Schwangerschaft von Sport abzuraten. Tatsächlich haben mehrere Studien nachgewiesen, dass moderater Sport während der Schwangerschaft sowohl für die Mutter als auch für das Kind gesund ist.
Wichtig ist, dass der aerobe Bereich nicht überschritten wird. Dass also die Sauerstoffzufuhr des Kindes nicht beeinträchtigt wird. Eine Überhitzung des Körpers und ein Puls von über 155 Schlägen pro Minute sollten ebenso vermieden werden wie Sportarten mit hoher Gefahr von Stürzen oder Schlägen.
Ob Serena Williams das alles berücksichtigt hat, als sie in Melbourne dem Titel nachgejagt ist? Das ist eine Frage, die Aussenstehenden nicht zusteht. Die Deutsche Sporthochschule Köln schreibt in ihren Empfehlungen: "Neben der Herzfrequenzkontrolle ist vor allem das subjektive Belastungsempfinden wichtig." Es sind also immer die Frau und ihr Körpergefühl, die entscheiden müssen, wie weit die sportliche Anstrengung gehen kann. Sicher war die 35-Jährige in bester medizinischer Betreuung.
Und jetzt ist bei ihr sowieso erst einmal Wettkampfpause angesagt, ohne dass sie deswegen das Training ganz zurückfahren muss. Viele Spitzensportlerinnen treten zwar nach der Geburt ihres ersten Kindes zurück. Aber es gibt genug Beispiele von Frauen, die auch mit Kindern weitere sportliche Erfolge gefeiert haben.
Gerade auch im Tennis: Kim Clijsters zum Beispiel hat nach der Geburt ihrer Tochter noch zweimal das US Open gewonnen. Und die einstige Weltnummer 1 Viktoria Asarenka, die schwanger 2016 das Turnier von Miami gewonnen hat, arbeitet derzeit an ihrem Comeback.
Dieser Text erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 20. April 2017.