Süddeutsche Zeitung

Sercan Sararer:Neue Freiheit

Nach schweren Jahren sorgt der frühere türkische Fußball-Nationalspieler Sercan Sararer, 30, nun in der dritten Liga wieder für Aufsehen. Mit Türkgücü tritt er an diesem Samstag erstmals wieder auf der ganz großen Bühne auf.

Von Christoph Leischwitz

Zum letzten Mal im Olympiastadion war Sercan Sararer als jugendlicher Zuschauer, er fand Bixente Lizarazu ziemlich toll und Willy Sagnol, vor allem aber Giovane Elber. So viele Tore wie der will ich auch mal schießen, dachte sich das Stürmertalent von der SpVgg Greuther Fürth. Und er ist überzeugt: Wenn er mit Anfang zwanzig so an die Sache rangegangen wäre, wie er es heute tut - etwas fokussierter auf die Karriere, weniger Eskapaden neben dem Platz - dann hätte er heute auch schon "200 oder 300 Bundesligaspiele, oder Champions League, wer weiß". Der Fußball sei eben ein schnelllebiges Geschäft, sagt Sararer. Dafür war er allerdings zwischenzeitlich recht lange von der Bildfläche verschwunden.

An diesem Samstag hat er sie ein erstes Mal wieder, die große Bühne. Ein Drittligakick mit Türkgücü München gegen Wehen Wiesbaden, auf dem Papier ist das deutscher Fußballalltag. Aber eben an einem sporthistorischen Ort. Türkgücü plant, bis zu acht seiner 19 Heimspiele im Olympiastadion auszutragen, wo zuletzt im Mai 2012 ein Fußball rollte. So ein Spiel passt in gewisser Weise sehr gut zu Sararer. Er wird zwar schon bald 31, aber noch steht gar nicht fest, wo man diesen Spieler eines Tages verorten wird. Er spielte schon in der Bundesliga und auch zwölf Mal für die türkische Nationalmannschaft, aber mit Abstand am meisten Partien hat er in der zweiten Liga absolviert (129). Er passt jetzt aber auch gut zu Türkgücü, dem Verein, der ihn im vergangenen Winter aufnahm. Der Aufsteiger ist dermaßen ambitioniert, dass Verein und Kapitän sich geradezu gegenseitig zu beschleunigen scheinen: "Wir sind sehr zufrieden, wie es bisher läuft."

Insgeheim ärgern sie sich beim Aufsteiger, dass sie aus den ersten drei Spielen nur fünf Punkte geholt haben. Aber Sararer, seit jeher ein guter Vorlagengeber, hat mit zwei Toren und fünf Vorlagen in diesen Partien für Aufsehen gesorgt und klargemacht, dass er, dass der ganze Klub in dieser Liga auffallend stark spielt. An dieser Stelle halten sie sich verbal immer noch stark zurück. Erst einmal ankommen wollen sie, sagt vor allem Trainer Alexander Schmidt. Aber um irgendwo anzukommen, dafür müsste man ja bremsen. Bisher aber zeigt sein Team eher Hochgeschwindigkeitsfußball.

Die Schnelligkeit - eines Tages steckte sie wieder in Sararers Oberschenkeln, zuvor hatte der Sohn einer spanischen Mutter und eines türkischen Vaters schon eine Weile ans Karriereende gedacht. "Es fühlt sich an wie ein Neuanfang", sagt er jetzt. Es sieht auch so aus: Noch einmal will er von weit unten ganz hinauf. Türkgücü trainiert auf einer Bezirkssportanlage. Es ist Donnerstagnachmittag, die Spieler gehen nach getaner Arbeit vorbei an den Senioren des SV Gartenstadt Trudering, die sich gerade umgezogen haben. Sararer kickt noch ein bisschen weiter, er spielt mit dem Co-Trainer noch ein wenig Fußballtennis. Nach dem Duschen behält er die schwarze Kapuze seines Pullis auf dem Kopf. Klar habe er auch Fehler gemacht in seiner Karriere, sagt er. "Das Wichtige ist, daraus zu lernen." Er wechselte vom VfB Stuttgart, wo er nie glücklich wurde, zu Fortuna Düsseldorf, wo er ein Jahr glücklich war. "Ich hatte 50 Scorerpunkte oder so. Aber dann kommt ein neuer Trainer und haut dich raus. Ohne Grund." 2015 war das.

Nach zwei Jahren zurück in der Fürther Heimat dann die verfluchte Verletzung. Adduktorenabriss in beiden Oberschenkeln. Nach der ersten Operation verheilte die eine Seite perfekt, die andere irgendwie gar nicht. "Bei tausend Ärzten" sei er gewesen, ohne herauszufinden, was das Problem war. Er spielte weiter, zuletzt beim Karlsruher SC, aber unter Schmerzen. Und sinnlos für einen, der sich stark über sein Spieltempo definiert. Erst nach einer zweiten Operation im Sommer 2019 war die Leidenszeit vorbei. Vor knapp einem Jahr sprach ihn der damalige Türkgücü-Geschäftsführer Robert Hettich aus der Regionalliga an - Profiklubs hatten kein Interesse. "Ich mache da niemandem einen Vorwurf", sagt Sararer. Er wollte wieder zum alten Rhythmus kommen. Dabei sei allen Beteiligten klar gewesen, dass er für die dritte Liga verpflichtet wurde. Die Regionalliga dauerte für ihn zwar nur 17 Spielminuten, ein Kurzeinsatz gegen den FC Augsburg II, dann kam die Coronapause. Fit ist er jetzt trotzdem wie schon lange nicht mehr.

Für die aktuelle Aufgabe scheint der lauffreudige Sararer fast überqualifiziert zu sein. Im Sturm ist er ja auf allen Positionen geübt, er darf situativ entscheiden, welche Wege er geht: "Ich habe dem Trainer vermittelt, dass ich meine Freiheiten brauche." Der Trainer hat gemerkt, dass Sararer die mit seiner Erfahrung nutzt, die Schwachstellen des Gegners zu entblößen. Defensiv hat die Mannschaft noch Makel. Offensiv läuft sie nur Gefahr, abhängig zu werden von einem einzelnen Spieler. Denn von den vier Treffern, die Petar Sliskovic bislang erzielte, hat Sararer drei vorgelegt.

Und die erste Liga? "Da will ich wieder hin", sagt Sararer. Örtlich ist er da nicht gebunden, irgendwo in Europa. Sein Vertrag bei Türkgücü läuft bis zum Sommer 2021. Mal sehen, wie lange er tatsächlich bleibt. Der Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020
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