Süddeutsche Zeitung

Sepp Blatter und die Krawalle in Brasilien:Augenverschließer auf Welttournee

Die Brasilianer protestieren - doch Sepp Blatter findet nicht die richtigen Worte. Nun verlässt der Fifa-Boss Südamerika und jettet in die Türkei zur U20-WM. Wie wenig die Funktionäre die Lage verstehen, demonstriert aber auch ein deutscher Fußball-Botschafter.

Nach seinem Nachtflug aus Brasilien in die Türkei muss sich Joseph Blatter vorgekommen sein wie im Märchen vom Hasen und dem Igel. Egal wo er auch hinkommt - eine Diskussion über Demonstrationen und Gewalt ist schon vor ihm da. Der Fifa-Präsident verlässt das WM-Gastgeberland inmitten der Massenproteste während des Confed-Cups - und jettet ins nächste Krisengebiet wo die Menschen unzufrieden mit der Politik des eigenen Landes sind.

Klar, Blatters Reise zur Eröffnung der U20-WM in der Türkei war lange geplant, von den Auswüchsen der Ereignisse in Südamerika kann er damals noch nichts gewusst haben. Doch mit seinem Krisenmanagement wirkt der Schweizer wieder einmal wie ein Augenverschließer.

In Brasilien bleiben die Eindrücke haften, die Blatter in den ersten fünf Turniertagen hinterließ: Es begann mit einem etwas altmodisch wirkenden Versuch, sich vor Präsidentin Dilma Rousseff zu stellen, als diese vor dem Eröffnungsspiel in Brasília ausgebuht wurde. "Liebe Freunde des Fußballs: Wo ist der Respekt und das Fairplay, bitte?", rief er ins Mikrofon.

Das konnte man ihm noch als großväterliches Versöhnungsangebot auslegen. Viel schlimmer aber: Die Massenproteste auf Brasiliens Straßen schätzte Blatter grundlegend falsch ein. "Der Fußball ist stärker als die Unzufriedenheit der Menschen. Wenn der Ball einmal rollt, werden die Menschen das verstehen, und das wird aufhören", meinte Blatter. Das Gegenteil war der Fall. Dass er anschließend sinngemäß sagte, die Brasilianer hätten die WM gewollt, warum nun die Klagen, machte ihn am Zuckerhut gewiss nicht beliebter.

Verständnis für die Proteste räumte er erst ein, als sich auch Brasiliens Fußball-Berühmtheiten (wie Bayern-Verteidiger Dante oder auch Neymar) mit den Demonstranten solidarisiert hatten.

"Als Fifa-Präsident halte ich es für wichtig, vor Ort zu sein, wenn es losgeht", sagte Blatter über seinen Trip zum wichtigsten Nachwuchswettbewerb des Weltverbandes in die Türkei. Dass ihn auch dort mehr die schwierigen politischen Realitäten als der sportliche Glanz beschäftigen werden, macht die Reise nicht einfacher, auch wenn die Proteste in Istanbul wenig mit Sport zu tun haben.

Die Zeiten scheinen verzwickt für den oftmals umstrittenen Spitzenfuktionär. Und in schweren Momenten reagierte Blatter, der einer der ausgebufftesten Machtmenschen im Fußball-Business ist, oft ungeschickt bis falsch. Als die sorgenvolle Gewaltdebatte vor der WM in Südafrika nach dem Mord an dem Österreicher Peter Burgstaller in Durban im November 2007 ihren ersten Höhepunkt erreichte, ließ Blatter jede Pietät vermissen. Weltweit gebe es Kriminalität, sagte Blatter und verwies - als könne man ein Verbrechen mit dem anderen aufwiegen - auf einen Überfall auf ein 16 Jahre altes Mädchen in Zürich.

Blatter gibt sich dünnhäutig, wenn seine Herzensprojekte kritisiert werden oder gar er selbst. Bei der WM 2006 schlug ihm die Dauer-Kritik der Deutschen aufs Gemüt. Zur Pokalübergabe nach dem Finale im Berliner Olympiastadion schickte er gegen jedes Protokoll den damaligen Uefa-Präsidenten Lennart Johansson vor.

2012 bei Olympia traute er sich in London zur Medaillenübergabe und wurde ausgebuht. Seine Reaktion in einem TV-Interview: "Stars werden immer ausgebuht, also bin ich ein Star. So muss man das nehmen. Ich dachte, dass Olympia-Publikum wäre ein bisschen gebildeter."

Auch politische Korrektheit ließ er schon oft vermissen. Frauen wollte er 2004 in möglichst erotischem Outfit spielen lassen, um deren Sport zu pushen. "Lassen wir Frauen doch in anderen Tenüs spielen als Männer", sagte er tatsächlich. "Heutzutage spielen schöne Frauen Fußball." Klar, dass diese Aussagen als verunglimpfend aufgenommen wurden.

Der damalige Pressechef war bemüht, die Dinge zu relativieren. Das Interview sei falsch übersetzt worden. Sechs Jahre später offenbarte Blatter sein Verhältnis zu seinen Medienleuten: "Ich würde viel mehr sprechen, aber die Pressestelle der Fifa erlaubt das nicht", sagte er in einem dpa-Interview 2010.

Kommenden Mittwoch wird Blatter dann rechtzeitig zu den Halbfinals des WM-Testlaufs nach Brasilien zurückkehren. Und es gibt einen Termin, der ihm viel Freude bereitet: In Belo Horizonte weiht er das nächste Zentrum des Fifa-Sozialprojekts "Football for Hope" ein. Seine Worte beim Festakt werden in Brasilien sicherlich genau verfolgt werden.

Die Funktionäre und das politische Weltgeschehen - diese Verbindung ist aber auch aus deutscher Sicht nicht einfach. Während Blatter sich in Südamerika gerade aus dem Staub machte, reist Franz Beckenbauer an diesem Donnerstag als Botschafter an den Zuckerhut.

Sein Kommentar zur Lage in Brasilien lässt ebenfalls Verständnis vermissen: "Die Protest-Bilder kommen für mich überraschend," sagte der 67-Jährige der Bild-Zeitung, "kein Land liebt den Fußball mehr als Brasilien." Dass Beckenbauer sensibler auftritt als Blatter, ist also nicht zu erwarten.

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