Süddeutsche Zeitung

Sepp Blatter:Nasenstüber vom Überlebenskünstler

  • Der neue Fifa-Chef wird erst am 26. Februar 2016 gewählt.
  • Für Noch-Präsident Sepp Blatter also genügend Zeit, noch ein paar Dinge in Ordnung zu bringen.
  • Er will seine Nachfolge vorbereiten.

Von Thomas Kistner

"Das ist für Nordkorea 2026", ruft Simon Brodkin, "als Botschafter des nordkoreanischen Fußballs bin ich froh, dass ich einen Deal mit der Fifa und Nordkorea für die WM 2026 abschließen konnte." Als Fifa-Präsident Sepp Blatter die Protestaktion des britischen Comedians erkennt und den Sicherheitsdienst ruft, ist es bereits zu spät. Bevor er abgeführt wird, zieht Brodkin noch rasch ein dickes Bündel Spielgeld, wirft es in die Luft und lässt die Scheinchen auf Blatters Bühne regnen. Ein Bild mit Symbolkraft, das bleiben wird von der Pressekonferenz nach der Sitzung des Fifa-Exekutiv- komitees an diesem Montag in Zürich. "Jetzt muss hier erstmal gereinigt werden" - mit diesem doppeldeutigen Kommentar verabschiedet sich Blatter, um den Schock zu verdauen.

Als er anschließend wieder in den Pressesaal zurückkehrt, erzählt er von seiner Zwiesprache mit der verstorbenen Mutter, die gesagt habe, es gebe halt Leute mit schlechter Erziehung. In dem Moment ist er wieder voll da: der alte Strippenzieher, der im Fifa-Haus alles im Griff hat und in seinem Sinne zu lenken vermag. Weshalb er seiner Opposition bei der vorangegangenen Vorstands-Dringlichkeitssitzung mal wieder allerlei Nasenstüber verpassen konnte. Erst am 26. Februar 2016 wird Blatters Nachfolger per Sonderkongress gewählt, ganz entgegen den Wünschen seiner Widersacher im Vorstand: Uefa-Präsident Michel Platini und DFB-Chef Wolfgang Niersbach hatten bis zuletzt auf eine Kür vor Weihnachten gedrängt.

Ohne klare Stellungnahme, erkennbar mit verdüsterten Mienen, zogen die europäischen Spitzenkräfte nach dem Treff auf dem Zürichberg davon. Und der Coup mit dem verzögerten Wahlkongress ist noch nicht alles. Blatter hat am Montagnachmittag vor der Presse einmal mehr sein Dauerthema ausgebreitet: Ganz dringend muss er jetzt wieder ein großes Reformwerk starten; verteilt dazu wurde der übliche Papierkram. Dabei ist nicht nur für Szenekenner klar, dass der nicht scheiden wollende Präsident hinter dem Schirm der gefühlt hundertsten Fifa-Reform vor allem eines zu tun gedenkt: die eigene, stille Agenda abarbeiten.

Viel war hineingedeutet worden in diese Sondersitzung. Der 79-jährige Schweizer hatte ja nur vier Tage nach seiner Wiederwahl in eine fünfte Amtszeit am 2. Juni den Rückzug angekündigt - was schon damals verdeutlichte, dass es ihm bei der Wiederwahl offenbar um den Zeitgewinn ging, den er benötigt, um sein Präsidentenbüro zu räumen und die Weichen für die Nach- folge zu stellen. Auch seither wird nur auf Zeit gespielt; mit dem Wahlkongress, der erst im nächsten Jahr stattfindet, hat Blatter einen weitern Punktsieg errungen.

Der Zeitgewinn ermöglicht ihm, noch bis Ende Oktober (dann müssen sich die Präsidentschaftskandidaten erklärt haben) seine fein gesponnenen Fifa-Netze auszuwerfen nach einem Nachfolger, der ihm persönlich ins Kalkül passt. Von dieser Person hängt schließlich ab, welche Rolle Blatter selbst ab März 2016 im Weltfußball spielt, den er dann 35 Jahre lang in zentralen Rollen befehligt hat.

Wieder einmal erhält Blatter in seinem Vorstand Hilfe aus Afrika gegen Europas Vorschläge

Das heißt, sofern Blatter bis dahin nicht andere Probleme hat. Es wäre naiv, die laufenden Ermittlungen von US-Justiz und Schweizer Bundesanwaltschaft nicht als enger werdendes Kreiseln um das Zentrum der Fußballmacht zu begreifen. Aus diesem obskuren Zentrum heraus wurde nachweislich die Korruptionssystematik geboren, die heute den Weltsport Nummer eins durchzieht: Schon in der Schmiergeld-Affäre um die (2001 bankrott gegangene) Fifa-Hausagentur ISL waren all die bis heute gängigen Geschäftspraktiken angelegt. Die damals bei der Rechtevergabe zentrale Rolle Blatters, der die ISL immerzu trickreich ins Geschäft brachte, könnte die US-Justiz anders würdigen, als es die Justiz in der verschwiegenen Schweiz oder Blatters geneigte Ethikkommission taten.

Diese Ethikkommission, genauer: das verbliebene Häuflein Mitstreiter, die bisher durch konsequent Blatter-nahes Wirken aufgefallen sind - sie versucht der Präsident nun nach vorne zu schieben. Zudem wird eine Task-Force gegründet, elf Leute sollen ihr angehören, um das Thema Integrität voranzutreiben. Dass all das in die vertraute, fragwürdige Richtung führt, demonstrierte der Fifa-Boss gleich selbst, indem er seine Hausethiker dazu berief, künftig sogenannte Integritäts-Checks für Spitzenfunktionäre durchzuführen. Tatsächlich verfügt dieses Gremium über keine juristische Handhabe, um Bonität, Ermittlungsstände oder Strafregistereinträge zu überprüfen. So versucht Blatter, Themen zu setzen, die von den relevanten Dingen hinter den Fifa-Kulissen ablenken.

Wie weit Blatter und seine europäischen Widersacher, die nun auf eine Machtübernahme im Februar 2016 hoffen müssen, voneinander entfernt sind, offenbarte Niersbach nach der Sitzung. Da hob er just die neue Task-Force als Reforminstrument hervor und betonte, dass sie von einer "unabhängigen Person" geführt werden soll und Blatter in den Prozess "nicht eingebunden" sei. Als gäbe es da nicht die jüngste Reform-Posse, von der sich am Ende sogar Schwergewichte der globalen Compliance-Branche resigniert abgewendet hatten.

Nichts ist sicher. Nicht einmal, ob der Überlebenskünstler Blatter beim Wahlkongress 2016 nicht doch ein Ass im Ärmel hat. Diesmal helfen ihm die Afrikaner im Fifa-Vorstand, die sich gegen einen Kompromisstermin der Europäer am 15. Januar 2016 stemmten: Da findet ein wichtiges Turnier in Ruanda statt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2574904
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.07.2015/ska
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.