Sepp Blatter in Bedrängnis:Unterschrieben vom P.

Der frühere Fifa-Vizepräsident Jack Warner erhielt TV-Rechte zum Spottpreis von der Fifa. Er sagt: Seine Gegenleistung war Wahlkampfhilfe für Sepp Blatter. Der Fifa-Boss allerdings simuliert weiter Reformeifer.

Thomas Kistner

Als Sepp Blatter am 1. Juni 2011 in die vierte Amtszeit als Fifa-Präsident geschickt wurde, stand unter den jubelnden Funktionären auch Jean-Marie Weber. Nicht überall ist der Elsässer so willkommen wie in Blatters Fußballfamilie. Das Internationale Olympische Komitee akkreditiert ihn nicht mehr, denn Weber war der Mann mit dem Geldkoffer.

Als Chefmanager der Zuger Sportmarketingfirma ISL hatte er viele Jahre lang Sportfunktionäre aus aller Welt geschmiert. Dies war, so räumten ISL-Vertreter 2008 vor dem Strafrichter ein, das Geschäftsprinzip. Weber war der Geldbote. Verlässlich bis in den Tod: Die Namen der Empfänger, sagt er, werde er "mit ins Grab nehmen".

Das ist wohl die Sprache jener Familie, die Webers Männerfreunde Blatter und dessen Vorgänger, João Havelange, über vier Jahrzehnte kreiert haben. Und deshalb ist das, was nun aus Papieren der Schweizer Justiz zum Schmiergeldverkehr zwischen ISL und Fifa-Leuten ruchbar wurde, nur die Spitze des Eisberges.

Wolfgang Niersbach, der Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sagt mit Blick auf die Fifa-Exekutivsitzung am Dienstag: "Wir sind gespannt, ob es Konsequenzen gibt. Die Sitzung wurde ja anberaumt zur Verabschiedung des Reformprozesses. Aber aus meiner Sicht wird sie davon überschattet, was jetzt aktenkundig wurde."

Gemeint ist das aktuelle Justizpapier - das aber auch nicht alle Fragen klärt. So beteuert Blatter, erwiesen sei, dass er nicht selbst kassiert habe; laut Staatsanwaltschaft sei kein Schweizer Bürger unter den Geldempfängern. Das ist richtig. Nur kann die Feststellung gar nicht den ganzen Fall umfassen.

Die Empfänger eines großen Teils der bis zu 160 Millionen Franken, die in allerlei Sportverbände flossen, sind gar nicht bekannt. An welche Personen gingen zum Beispiel die Millionen, die aus dem Ausland in die Schweiz zurückgebracht und von Weber bar verteilt wurden?

Belegt ist, dass Blatter von Bestechung wusste, spätestens seit 1997. Damals landete eine Million für Havelange auf einem Fifa-Konto. Gerade aber behauptete Blatter, er habe erst zur ISL-Insolvenz 2001 von deren Bräuchen erfahren. Selbst wenn es so wäre: Warum ließ er zu, dass sechs Jahre später die Fußball-WM 2014 an Brasilien vergeben wurde? Das geschah anno 2007, da wusste Blatter längst, dass Brasiliens Fußballchef Ricardo Teixeira zu den größten Korruptions-Sündern zählte.

Konkret liegen noch andere Dinge vor. Etwa, dass Blatter seinem Vizepräsidenten Jack Warner jahrzehntelang die WM-Fernsehrechte für die Karibik zuschanzte. Warner, bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 2011 Chef des Nord- und Mittelamerika-Verbandes Concacaf, spielte Blatter als Gegenleistung bei Wahlen sein 40-Stimmen-Paket zu. Die Rechte-Gaben aus dem Fifa-Fundus machten ihn zum Multimillionär.

Warner hatte 2011 angekündigt, er wolle auspacken über die "überaus brutalen Präsidentschaftswahlkämpfe", die er für Blatter 1998 und 2002 geführt habe, gemeinsam mit Mohamed Bin Hammam. Der frühere Fußballchef Asiens hatte Blatter im Vorjahr herausgefordert, wurde aber selber beim Stimmenkauf in der Karibik ertappt und von der Fifa lebenslang gesperrt.

Verdächtiger Schriftverkehr

Die erste Attacke hat Warner im Januar 2012 gestartet, sie dürfte Blatter noch in Bedrängnis bringen: Die Fifa habe ihm die WM-Fernsehrechte für den karibischen Raum regelmäßig für Spottpreise zugeschoben - als Dank für seine Hilfestellungen in Wahlkampfzeiten, gab Warner zu. Die Fifa hatte solche Deals verneint, doch eingeräumt, dass Warner in den neunziger Jahren die Rechte erhalten habe.

Jack Warner vows revelations on FIFA President Joseph Blatter

Jack Warner (l.) und Sepp Blatter 2003: Damals noch gute Geschäftsfreunde

(Foto: dpa)

Warner rügte, "dass die Fifa nur auf meine Behauptung reagiert, die Rechte 1998 für einen Dollar erhalten zu haben, aber jeden Kommentar zu der Anschuldigung verweigert, dass ich auch 2002, 2006, 2010 und 2014 die WM-Rechte für einen symbolischen Preis erhielt". Dies seien Begünstigungen gewesen für die "entscheidende Rolle, die ich bei der Absicherung von Blatters Fifa-Präsidentschaft gespielt habe".

Er fordert die Fifa auf, "öffentlich zu bestreiten, dass sie mir die WM-Rechte 2018 und 2022 für einen Freundschaftspreis anbot, gegen meine Hilfe im Präsidentenwahlkampf 2011". Zugleich drohte er, der Weltverband müsse "wissen, dass ich im Besitz all der Verträge und persönlichen, handgeschriebenen Notizen bin, die meine Anklagen untermauern".

Tage später machte er Ernst: Warner legte ein Schreiben als Beleg für die von ihm behaupteten Insidergeschäfte vor. Das Schriftstück habe er von Jérôme Valcke erhalten, der seit 2007 als Fifa-Generalsekretär amtiert, samt neuem TV-Kontrakt. Der handgeschriebene Text lautet: "Hier ist der Vertrag, unterschrieben vom P. Das Geschäft ist nicht durch alle üblichen Gremien und Kommission gegangen. Daher bitte ich, es vorläufig nicht öffentlich zu machen." P. ist in der Fifa die Abkürzung für Präsident.

Die Fifa bestätigte dies: "Ja, das Papier scheint authentisch zu sein. Die Frage ist vielmehr: Um welches Agreement handelt es sich? Was ist der Kontext?" Grundsätzlich dürfe der Präsident Vereinbarungen allein unterzeichnen, die er erst nachher den zuständigen Gremien vorlege. "Wenn Warner gebeten wird, noch nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, dann nur, um die entsprechenden Gremien vorher zu informieren", hieß es weiter.

Das aber wäre irrelevant: Die Gremien konnten es ja nicht mehr stoppen, denn Blatter hat, wie die Fifa betont, Alleinunterschriftsrecht, der Vertrag war schon wirksam. Und was den "Kontext" der Vereinbarung mit Warner betrifft, den die Fifa offenließ: Falls es nicht TV-Verträge waren - was war es dann? Gab es mehr rechtskräftige Vereinbarungen zwischen P. und Warner?

Die Klärung solcher Fragen würden eine Reform, die den Namen verdient, stärker befördern als das, was für Dienstag in Zürich auf der Agenda steht: Die Besetzung der in zwei Kammern aufgeteilten Ehtikkommission, die Vorstellung eines neuen Ethikcodes. Für sein Projekt, beteuert Chefreformer Mark Pieth, brauche er Blatter unbedingt. Das klingt naiv und irritiert bereits die Branche. Es hieße ja, mit Blick auf viele zu klärende Fragen: Pieth hofft, dass ihm Blatter eine Reform samt Vergangenheitsforschung durchboxt, der Blatter dann selbst zum Opfer fallen könnte.

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