Wie es gerade steht, darüber sind sich die Herren nicht so ganz einig. „War der erste Punkt, oder?“, fragt der Eine, darauf der Andere: „Nee, 30:40.“ Mei, was sind schon Zahlen? Wobei: Dass bei diesem Match des ITF Masters in Ismaning 173 Jahre auf dem Platz stehen, ist schon bemerkenswert – und wir reden nicht von einem Doppel. Vier Stunden ist der 86-jährige Günter Graf aus Donaueschingen hergefahren, hat im Auto nochmal kurz geschlafen, um nun mit dem ein Jahr älteren Peter Dietz um den Sieg zu streiten. Der hatte es aus Schwabing nicht so weit, aber keine Chance gegen den einen Kopf kleineren Gegner. „Immer diese kleinen Typen mit den kräftigen Beinen, die alles aus den Ecken rauskratzen“, klagt Dietz, „da kann ich draufhauen, wie ich will, und trotzdem kommt jeder Ball zurück. Aber es ist trotzdem schönes Tennis.“
Es ist sogar großes Tennis, was die beiden da zeigen, als zwei von sechs Teilnehmern in der Altersklasse 85 plus bei diesem internationalen Turnier, bei dem es auch um Weltranglistenpunkte geht. Nicht für Dietz: „Ich weiß nicht mal, was für einen LK ich hab‘“, sagt der Super-Senior. LK steht für Leistungsklasse, worüber sich fast jeder Hobbyspieler definiert. Dietz ist das nicht so wichtig, auch wenn er gewinnen will, wenn er auf dem Platz steht. Gegen den Kollegen aus Donaueschingen setzt es eine 0:6, 1:6-Klatsche. „So ein Ergebnis hatte ich noch nie“, sagt Dietz, „aber der war einfach ganz schön schnell“.
Tennis mit fast 90? Warum nicht, wenn die Knochen mitmachen? Am Dienstag wird Peter Dietz 88, mit 16 hat er bei Rot-Weiss Baden-Baden Gottfried von Cramm spielen sehen, das war 1953. „Er hat gegen unseren Clubmeister gespielt, so ein 1,90-Meter-Riese. Aber Herr von Cramm hat nicht mal die lange Hose ausgezogen. Für mich war er trotzdem ein alter Mann.“ Cramm war 44, halb so alt wie jetzt Dietz. Richtig angefangen mit Tennis hat der passionierte Segler und Skifahrer erst spät: als sein zehnjähriger Sohn „die richtigen Freunde haben“ sollte, und die wähnte Dietz beim Tennisklub im benachbarten Luitpoldpark. Während der Sohn dann doch lieber mit den Kumpels Basketball spielt, bleibt der Vater beim Tennis hängen, spielt mit 50 erstmals Mannschaft, irgendwann sogar Bayernliga – und hört mit 75 auf. „Einige waren nicht mehr so fit, wir hätten uns gegen Geld verstärken können, aber das fand ich lächerlich für diese Altersklasse.“
Und wie schaut es mit Wehwehchen aus? „Na ja, das Übliche“, sagt Dietz
Seitdem spielt Dietz ab und zu mal ein Turnier, wurde vor drei Jahren Zweiter bei den bayerischen Meisterschaften, AK 85. Drei- bis viermal die Woche steht er auf dem Platz, sein Spiel charakterisiert er so: „Ich bin nicht so stark, spiele ordentliches Grundlinien-Tennis, aber diese schlaue Spielweise, die manche sich erworben haben, die ihr Leben lang Punkte gespielt haben, die fehlt mir. Wenn ich mal einen Stopp spiele, habe ich schon ein schlechtes Gewissen, weil der andere nicht mehr so gut rennen kann.“ Neulich habe er gegen einen verloren, der von unten aufschlägt: „Hat er geschickt gemacht, so angeschnittene Bälle.“
Geschickt stellte sich Dietz auch im richtigen Leben an. Nachdem es Anfang der 70er hieß „Wir haben eh zu viele Wohnungen!“, gibt er den Job als Architekt auf und lässt in Spanien Cowboystiefel namens Longhorn produzieren; später kommen Jeans („Skinnies“) aus Italien dazu. Mit 65 fängt er nochmal an, für die TV-Produktion „Welt der Wunder“ Studio-Einbauten zu zimmern, „zehn schöne Jahre waren das“. Spät heiratet er eine jüngere Frau, die auch mit ihm Tennis spielen will: „Da hab’ gesagt: Ich spiel’ nicht mit dir. Ich will keinen Streit! Skifahren hab’ ihr beigebracht, aber Tennis? Nee.“ Neulich im Türkei-Urlaub habe er mal mit ihr gespielt und gemerkt: „Die kann ja spielen! Hat einen Schlag drauf, da muss ich schauen, dass ich dran komme.“ Wie lange sie zuvor nicht miteinander gespielt haben? „Zehn Jahre. Jetzt spiele ich jede Woche mit ihr.“
Und wie schaut es mit Wehwehchen aus? „Na ja, das Übliche“, sagt er. Wegen Schulterproblemen konnte er zwei Jahre lang nicht aufschlagen, das Knie macht Probleme. Dietz’ Rezept: Krafttraining. „Wenn Muskeln und Sehnen noch fit sind, können auch alte Knochen noch funktionieren.“ Yoga mit der Gattin bekommt er nicht hin, „aber sie weiß, welche Muskeln ich benutzen sollte, gibt mir Tipps, massiert mich. Ich bin fitter als vor zehn Jahren“.
Galgenhumor hat er wohl schon angesichts des Spielverlaufs. „Wie steht’s?“, fragt Dietz übers Netz, „2:0 oder 3:0?“ Sein Gegenüber: „3:0.“ Dietz’ Antwort: „4:0 hätt’ ich dir auch geglaubt.“

