Segeln:Nicht auf dem Radar

Boris Herrmann

Ankunft mit lädierter Seite: Boris Herrmann vor dem Hafen von Les Sables-d'Olonne.

(Foto: Team Malizia/Vendée Globe)

In einem historisch knappen Finale der Weltumseglung Vendée Globe kollidiert der Hamburger Boris Herrmann kurz vor dem Ziel mit einem Fischkutter und schleppt sich auf Rang fünf ins Ziel.

Von Thomas Gröbner, Les Sables-d'Olonne/München

Das Unglück traf Boris Herrmann im Schlaf: Ein dumpfer Schlag weckte ihn, er sah die Stahlwand eines Fischkutters über sich aufragen. Die Hermanos Busto, ein 30 Meter langes Schiff unter spanischer Flagge, hatte die Seaexplorer gerammt. Am Mittwochabend, nach 80 Tagen auf See, nur 90 Seemeilen vor dem Ziel Les Sables-d'Olonne, ahnte Herrmann: Der Traum vom Triumph bei der härtesten Regatta der Welt wurde gerade zerrieben vom Schiffstahl des Kutters.

"Es war der schlimmste Albtraum, den ich bisher erlebt habe", sagte Herrmann schon eine Stunde nach der Kollision am Mittwochabend in einer Videoschalte. "Ich hatte alle Alarmsysteme an. Aber es gab keinen Alarm." Es war eine Begegnung, die alle überraschte - und schwere Folgen hatte für Boris Herrmann.

Bei der Kollision war eine Tragfläche beschädigt worden, der Bugspriet abgebrochen, das Vorsegel verhedderte sich im Kran des Kutters. Nach notdürftigen Reparaturen schleppte sich Herrmann unverletzt mit ein paar Knoten Geschwindigkeit Richtung Hafen. Mehr als zwölf Stunden brauchte Herrmann ins Ziel, die Seaexplorer trug deutliche Spuren dieser brutalen Begegnung. Der Tragflügel, der das Boot bei günstigen Bedingungen sonst aus den Wellen hebt und fliegen lässt, hing wie der gebrochene Flügel eines Albatros im Wasser.

Es gibt bei der Vendée Globe tausend Gefahren, und jeder Ozean hat seine eigenen Tücken. Scharfkantige Eisberge in der Einsamkeit des Südmeeres, die brüllenden Winde des vierzigsten Breitengrades oder herrenlose Container im Pazifik, die der Sturm von Frachtern gewischt hat. Aber eigentlich sind die Abenteurer gut gerüstet, die Seaexplorer verfügt wie die meisten Boote über ein System, das Treibgut oder Schiffe erkennt und ausweicht, auch bei Nacht. Vielleicht hatte das Fischerboot sein Automatisches Identifikationssystem (AIS) deaktiviert, vermutete Herrmann nach der ersten Inspektion, deshalb hatte es den schlafenden Skipper nicht gewarnt. Was der Kapitän des Fischkutters aber bestreitet.

Es ist eine Kunst, sich zu erholen zwischen den Schlägen der Wellen und der Sorge um das Boot; Schlaf ist ein seltenes und kostbares Gut bei der Vendée Globe, meist sind es nur 15 Minuten am Stück. Herrmann hat sich mit Schlafexperten darauf vorbereitet, schon im Zivildienst hatte er an roten Ampeln versucht, auf Kommando einzuschlafen. Er gab seinem Körper, was er brauchte, und er schonte sein Boot, wo er konnte - auch wenn ihm das manche als Schwäche auslegen wollen. "Das ist mein Stil", erklärte Herrmann später. Kaum einer beherrschte die Kunst, in den richtigen Momenten auch langsam zu segeln, so meisterhaft wie der Deutsche. Er wich allen Gefahren aus, um sicher anzukommen - und schien am Ende eines der schnellsten Boote zu haben, das war der Plan. Bis er auf den Kutter traf, hatte er beste Aussichten auf den Triumph, auch wenn Herrmann danach beteuerte: "Ich hab nie an den Sieg gedacht."

Den holte sein Freund Yannick Bestaven, der mit Jean Le Cam und Herrmann an einer Rettungsaktion von Kevin Escoffier teilgenommen hatte. Herrmann waren sechs Stunden gutgeschrieben worden, Bestaven 10:15, Le Cam 16:15 Stunden. Auch das ist wohl selten: Es gibt kaum einen Sport, bei dem einem die Rivalen vielleicht eines Tages das Leben retten. Das mag die Konkurrenten so nah zusammenbringen. "Es ist eine Art Brüderlichkeit unter uns, uns verbindet etwas Einmaliges", erklärte Herrmann danach.

Am frühen Donnerstagmorgen, als sich Herrmann immer noch durch die Wellen mühte, war Bestaven, 48, zum Sieger ausgerufen worden, nachdem er um 4.20 Uhr die Ziellinie gekreuzt hatte. Zwischen den französischen Skippern Bestaven und dem zweiten Charlie Dalin lagen zweieinhalb Stunden, ein Wimpernschlag nach den Maßstäben der Vendée Globe, die am 8. November lossegelte. Le Cam, der am Donnerstagabend ankam, wurde wegen seiner Zeitgutschrift Vierter - und verdrängte Boris Herrmann schließlich auf Rang fünf.

Eine Flaute vor Brasilien hatte das Feld zusammengehalten wie ein unsichtbares Band, und sorgte so für ein Finale der Atemlosigkeit nach endlosen Tagen und Nächten auf See, diese Weltumseglung war so knapp wie nie zuvor. Kurzerhand musste die Ziellinie verlängert werden vor der Küste von Les Sables-d'Olonne, von 500 Meter auf 3,5 Kilometer, damit gleich mehrere Boote sie kreuzen konnten.

Doch auch der französische Draufgänger wie Louis Burton musste erkennen, dass sich bei der Vendée Globe in Augenblicken manchmal der Lohn von Monaten verspielen lässt. Fünf Sekunden war er beim Start im November zu früh losgestürmt. Fünf Stunden musste er zur Strafe im Atlantik dümpeln, nach schweren Schäden und Reparaturen lag er zwischendurch schon 930 Seemeilen hinter der Spitze. Doch auf einem brutalen Kurs an der Grenze zum Eismeer presste er seinem Boot alles ab. "Es ist ruiniert", gestand Burton, 35, nach der Ankunft, "ich hab es wirklich bis ans Maximum getrieben." Am Ende fehlten ihm vier Stunden und neun Minuten auf Dalin, im Ziel war er beseelt von seinem Abenteuer nach einem saftigen Steak und trockenem Rotwein. Den letzten Schluck Regenwasser hatte er schon aufgebraucht: "Es war wirklich höchste Zeit, dass ich angekommen bin", sagte Burton im Hafen.

Segeln: Wieder vereint: Boris Herrmann mit seiner Frau Birte.

Wieder vereint: Boris Herrmann mit seiner Frau Birte.

(Foto: Yohan Bonnet/AP)

Doch nach monatelanger Entbehrung gab es einen tristen Empfang für die Segler, trotz des Festschmauses. Gewöhnlich drängen sich 400 000 Zuschauer, die Ankunft der Segler ist normalerweise eine Triumphfahrt im Schein der Feuer von Seenotfackeln, die von den erschöpften Seglern gezündet werden. Der Bürgermeister des Küstenstädtchens hatte einen verzweifelten Brief an Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron geschrieben, er flehte, wenigstens einige Zuschauer zu erlauben, um die Segler "in Würde" zu empfangen. Doch Macron machte keine Ausnahme.

Und so waren es diesmal nur die Familien und die Crew, die die Wagemutigen in den Arm nahmen nach den Monaten der Einsamkeit. Herrmanns Frau Birte wartete auf ihn, die mittlerweile sieben Monate alte Tochter Malou und Familienhund Lilly. Dann fiel Herrmann seinen Konkurrenten in die Arme. "Es ist ein großer Moment", fand er, "und die sind rar in diesen Zeiten."

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