Süddeutsche Zeitung

Segeln bei der Kieler Woche:Schuss vor den Bug

Die Kieler Woche gibt alles: Bei der größten Segelregatta der Welt wird ein Sport aufgehübscht, dessen Olympia-Version zu sperrig ist für das Massenpublikum. Trotzdem droht die Zweitklassigkeit.

Von Thomas Hahn, Kiel

Es ist noch früh genug an diesem Freitag der 121. Kieler Woche, um auf alles einen Blick werfen zu können im Olympiahafen von Schilksee. Auf die Buden, auf die Boote, und auch auf den Versuch der Veranstalter, den Segelsport für alle ein bisschen klarer zu machen. Es ist halb ein Uhr mittags, der Wind macht noch nicht viel her. Die Boote liegen an Land mit gehissten Segeln, als wollten sie im Trockenen losfahren. Und auf dem sogenannten Sail Cube, dem mächtigen Video-Würfel eines Sponsors, wird eine Fachsimpelei aus dem Studio übertragen.

Der Rummel und der Sport scheinen noch mal Luft zu holen, bevor das Tagesprogramm so richtig beginnen kann. Dann schrillt die Sirene. "Alle Klassen auslaufen zum Start!", krächzt es über die Anlage. Die Segler setzen sich in Bewegung, und allmählich, ohne Hektik, nimmt das Ereignis Fahrt auf.

Die Kieler Woche hat wieder alles gegeben, das kann man jetzt schon sagen, auch wenn die Veranstaltung noch ein ganzes Wochenende vor sich hat mit Windjammerparade, Regatten, Party und Abschlussfeuerwerk am Sonntagabend. Sie sei die größte Segelregatta der Welt und das größte Volksfest Nordeuropas, heißt es. Aber diese Superlative beschreiben eigentlich gar nicht richtig, wie mächtig die Kieler Woche tatsächlich ist, und wie sie auf seltsame Weise einen Bogen spannt zwischen hafenstädtischer Bodenständigkeit und hanseatischer Größenfantasie.

1882 hat ihre Geschichte angefangen, sie schwächelte nach dem ersten Weltkrieg, wurde Propaganda-Mittel der Nazis, war während des Zweiten Weltkriegs praktisch tot. Aber heute pulsiert sie als internationales Fest mit lokalem Einschlag zwischen Tradition, Leistungssport und Party-Geist.

Mal spielt das Andrea-Berg-Double, mal die echte Anastacia, das kulturelle Angebot reicht vom Kasperle-Theater bis zu Don Carlos, und als dürfe man es dabei nicht bewenden lassen, gehört zum Programm auch die Verleihung des Weltwirtschaftlichen Preises durch das Kieler Institut für Weltwirtschaft; in diesem Jahr gehörten unter anderem Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow und der Wirtschaftsberater von US-Präsident Barack Obama, Jeffrey Immelt, zu den Geehrten.

Die Paralympier haben Segeln für 2020 gestrichen: Es wird nicht flächendeckend ausgeübt

Bei der Kieler Woche hat man manchmal den Eindruck, als wolle jemand die ganze Welt in eine gar nicht so große Landeshauptstadt reinpacken. Aus der Staatskanzlei am Düsternbrooker Weg verlautet jedenfalls, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig habe sich während der Kieler Woche nur einmal außer Landes begeben - im Rahmen des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II. in Berlin am Donnerstagabend. Segeln ist nur ein Aspekt der Kieler Woche, sie funktioniert als gesellschaftliches Ereignis, Politikum und Bespaßungs-Maschine.

Da wirkte es fast unpassend, dass Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, ein Allgäuer und früherer Skiverbandschef, während der Woche eine kleine Mahnung an die Segler-Gemeinde richtete. Die Kieler müssten mit ihrem Traditionswettbewerb zurück in den Weltcup-Kalender des Segel-Weltverbandes Isaf, denn: "Den Status zu verlieren, birgt die Gefahr, in die Zweitklassigkeit abzurutschen." Darauf wären die Kieler möglicherweise auch selbst gekommen.

Dass die Teilnehmerfelder dünn waren, weil der Kalender in diesen Tagen zahlreiche Welt- und Europameisterschaften vorsieht, hat schließlich keiner übersehen können. Allerdings: Ist das wirklich ein Fehler der Kieler Woche? Oder müsste nicht der Weltverband selbst drauf achten, dass ihm ein solches Ereignis mit reichen Sponsoren, viel Publikumsbetrieb und Medienbegleitung aus der Liste seiner Premium-Veranstaltungen rutscht?

Ein Selbstläufer ist die olympische Segelei schließlich nicht. Heiko Kröger kann das bezeugen. Kröger wurde ohne linken Unterarm geboren. Er segelt in der 2.4mR-Klasse, in dieser ist er 2000 in Sydney Paralympicssieger geworden und 2012 Zweiter bei den Paralympics in London. Bei der Kieler Woche war er einer von vier deutschen Siegern in den olympischen bzw. paralympischen Klassen. Er ist gut im Geschäft und als Inklusionsbeauftragter des Deutschen Segler-Verbandes hat er mitgeholfen, Stützpunkte für Segler mit Behinderung zu öffnen. Da traf es ihn hart, dass das Internationale Paralympische Komitee (IPC) Ende Januar entschied, Segeln für 2020 in Tokio aus seinem Spiele-Programm zu nehmen, weil es nicht "flächendeckend und regelmäßig in 32 Ländern auf drei Kontinenten ausgeübt" werde.

"Hanebüchen" nennt Kröger die Entscheidung, er bangt um Perspektiven, Förderung, Wettkämpfe, letztlich um die gesamte Zukunft des paralympischen Segelns. Und er sagt: "Das ist auch ein Schuss gegen das olympische Segeln. Segeln hat den entscheidenden Nachteil, dass es nicht in einem Stadion stattfindet, dass man dafür nicht einfach 60 000 Tickets verkaufen kann, dass es sich nicht mit einfachen Mitteln übertragen lässt." Der IPC-Beschluss hat ihm noch einmal verdeutlicht, wie wertvoll eine Kieler Woche ist, bei der Veranstalter und Sponsoren sich mit eigenem TV-Kanal, Sail Cube und moderner Übertragungstechnik darum bemühen, den alten Wassersport für Menschen und Medien aufzubereiten. "Kiel tut in dieser Hinsicht um Lichtjahre mehr als Weltcup-Ausrichter", sagt Kröger.

Der Mann ist Mitglied des Kieler Yacht-Clubs, er ist also befangen. Aber weitgereist ist er auch, deshalb wird schon was dran sein. Die alte Kieler Woche lässt das olympische Segeln jünger aussehen, sie hübscht es mit Folklore, Unterhaltung und Kunst auf. Eine ganze Stadt hängt sich rein für einen Sport, dessen olympische Version zu sperrig ist, um in normale Fernseh-Formate zu passen. Sie gibt wirklich alles.

Und seit diesem Jahr weiß sie besser denn je, warum sie das tut. Kiel ist Segel-Partner der Hamburger Olympia-Bewerbung für 2024 bzw. 2028. Zum dritten Mal nach 1936 und 1972 sollen die Spiele an der Förde stattfinden. Aber daraus kann nichts werden, wenn das Internationale Olympische Komitee vorher feststellt, dass das Segeln draußen auf den Meeren ziemlich verloren ist fürs Geschäft mit dem Massenpublikum.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2015
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