Segeln:Auf der Brennsuppe

Ihr Olympia-Traum beschäftigte ein Gericht und befeuerte eine Moral-Debatte. Nun bleibt Tina Lutz ein letzter Versuch.

Von Thomas Gröbner

Wenn Tina Lutz über ihre Konkurrentinnen spricht, dann sagt sie: "Die sind nicht auf der Brennsuppe dahergeschwommen". Wie man das halt so sagt am Chiemsee, wenn man glaubt, die anderen seien durchaus in der Lage, einem die Suppe zu versalzen und der Respekt füreinander groß ist. Aber das mit dem Respekt war in der Vergangenheit nicht immer so.

So tief waren die Wunden, so groß war die Verunsicherung darüber, was Recht und was richtig ist, dass der Bundestrainer für die Olympia-Ausscheidung 2016 die deutschen Seglerinnen eine Erklärung unterzeichnen ließ, fair den Olympia-Startplatz in der 49er-FX-Klasse auszusegeln. Um zu verstehen, warum das notwendig zu sein schien, muss man ins Jahr 2011 zurückgehen, an die australische Küste vor Perth. Tina Lutz und Susann Beucke segelten gegen Kadelbach/Belcher bei der 470er-WM um die Olympia-Nominierung. Lutz/Beucke waren drauf und dran, die Konkurrentinnen abzufangen, die mit einem kleinen Punktepolster angereist waren. Also änderten sie ihre Taktik in den verbleibenden Rennen und segelten mit harten Bandagen: Die begnadete Match-Race-Meisterin Kadelbach bremste Lutz aus, so lange, bis beide Boote aus den Punkterängen fielen - und sie damit den Vorsprung verteidigen konnten. Dabei waren es Lutz/Beucke, die den Startplatz für Deutschland ersegelt hatten - den nun ihre Teamkameradinnen besetzen. Kadelbach fühlte sich im Recht, ihre Blockade-Taktik war von der Regelauslegung gedeckt.

Tina Lutz

Seit zwölf Jahren gemeinsam auf dem Segelboot: Die Bayerin Tina Lutz (links) und die Norddeutsche Susann Beucke haben nach einem intensiven Streit mit Teamkolleginnen wieder ihre Intuition gefunden.

(Foto: DSV/OH)

Die Auseinandersetzung auf dem Wasser ging dann bis vor ein Gericht. "Einen Knacks" habe Lutz damals bekommen, erzählt sie: "Ich dachte immer, dass es fair zugeht im Segeln. Dass die schnellsten Segler zu Olympia fahren. Aber es war nicht fair." Und so wurde aus einer Wettfahrt eine Debatte um Moral und Gerechtigkeit, und darüber, wie weit man gehen kann, um das sportliche Ziel zu erreichen.

Ein halbes Jahr dauerte die Auseinandersetzung, "der Sport war durch diesen Fall belastet", sagte der damalige DSV-Präsident Rolf-Otto Bähr. Die rechtliche Frage klärte schließlich das Hamburger Landgericht, das den Antrag auf eine einstweilige Verfügen gegen den Deutschen Segler-Verband abwies, weil die Taktik vom kurz zuvor anpassten Reglement gedeckt war. Kathrin Kadelbach und Friederike Belcher fuhren also nach London. Die Frage nach der sportlichen Fairness blieb ungeklärt, ausgerechnet die Teamkollegen zu blockieren. "Das hat sie gezeichnet", sagte Victoria Jurczok, die heute mit ihrer Vorschoterin Anika Lorenz ihre größte Rivalin in der 49er-FX-Klasse sind, in die Lutz und Beucke 2013 wechselten. Sie fühlte sich nicht mehr frei auf dem Wasser, das Selbstverständnis war dahin, erzählt Lutz, die früh in ihrer Karriere Erfolge feierte und mit 14 Weltmeisterin in der Optimisten-Klasse wurde und für den Chiemsee Yacht Club startet. "Bis dahin dachte ich, ich kann alles gewinnen."

Segeln - Tina Lutz

Tina Lutz.

(Foto: DSV/OH)

Auch heute noch wühlt sie die Entscheidung auf: "Meiner Meinung nach war es falsch, ein Match Race zwischen deutschen Seglern zuzulassen. Wir wollten einfach einen entscheidenden Wettkampf. Den haben wir nicht bekommen", sagt Lutz. Und weil Segeln ein fragiles Zusammenspiel von Technik, Kraft und Gefühl ist, dauerte es lange, bis Lutz zu ihrem Selbstverständnis zurückfand: "Ich hatte in dieser Zeit meine Intuition verloren. Das Urvertrauen war weg." Auch weil im 49erFX vieles neu war. "Das Boot, es verzeiht nichts, und kentert gerne", sagt Lutz.

Auch 2016 verpassten sie die Qualifikation für Rio, erst 2017 kehrte das Gefühl für die Wellen und das Boot zurück, Lutz und Beucke wurden Europameister. Gerade trainieren sie am Gardasee, zwölf Tage am Stück, um dann 2020 vor der Küste des japanischen Enoshima dabeizusein. "Es ist unsere letzte Chance."

Drei Wettbewerbe gibt es, in denen es sich entscheidet, ob die gemeinsame Karriere von Tina Lutz und Susann Beucke im Schein des olympischen Feuer erlischt oder leise vergeht: Bei der WM im Dezember in Neuseeland, bei der WM 2020 in Australien im Februar und bei der abschließenden Regatta Trofeo Princesa Sofia in Palma de Mallorca im Mai. Nach Olympia soll Schluss sein, so oder so. Das Leben besteht ja nicht nur aus Segeln. Lutz ist 28, "die biologische Uhr tickt", sie will ihr Wirtschaftspychologie-Studium zu Ende bringen. "Im Segelsport gibt man nur Geld aus", es sei an der Zeit, sich im Arbeitsmarkt zu behaupten, auch da sei ja keiner auf der Brennsuppe dahergeschwommen, sagt Lutz. Und Susann Beucke, die Kielerin, die seit zwölf Jahren an ihrer Seite ist, plant eine Karriere im Offshore-Segeln, jüngst segelte sie mit Boris Herrmann auf der Malizia II, mit der er dann die Klimaaktivistin Greta Thunberg nach New York brachte. "Drei Wochen auf einem Schiff ohne Klo ist nichts für mich", sagt Lutz. "Wir haben zwei Mal die Spiele verpasst, und das Leben ist weiter gegangen." Also haben sie jetzt einen anderen Ansatz, sagt Lutz: "Den Weg zu genießen, das sei jetzt das Ziel."

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