Sechzigs Skandale (Teil 8 und Ende):"Good afternoon, my name is Anthony"

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Protagonisten einer Chaos-Saison: Präsident Peter Cassalette (2. v. l.), Investor Hasan Ismaik (2. v. r.) und Geschäftsführer Anthony Power (rechts). (Foto: Bernd Feil/imago)

In einer legendären Pressekonferenz 2016 erläutert Investor Hasan Ismaik die Entlassung von Trainer Runjaic, degradiert Geschäftsführer Eichin und präsentiert Nachfolger Power. Auf die Berichterstattung reagiert 1860 mit einem Hausverbot für Journalisten.

Von Philipp Schneider

Fußball-Drittligist TSV 1860 München hat Sascha Mölders erst aus dem Kader gestrichen, worauf der ehemalige Torjäger und seine Fans über die sozialen Medien zurückschossen, dann wurde der Vertrag aufgelöst. Zoff bei den Löwen - nichts Neues: In dieser Serie blickt die SZ auf die schönsten Geschichten aus dem Tratsch- und Streitverein zurück.

Da stand er nun irgendwo, es musste so sein, seine Stimme war ja klar zu hören. Sie brummte tief und satt. Allein, wo war er denn, der neue Geschäftsführer des TSV 1860 München?

"Good afternoon, my name is Anthony", hatte die Stimme gesprochen, und, ja, tatsächlich! Da stand auch der Mann, dessen Lippen sich synchron bewegten zu der Einführungsrede, die er nun hielt. Etwas überraschend war es schon, dass der neue Geschäftsführer nicht vorne auf dem Podium saß und präsentiert wurde, wie man es vielleicht bei einem ganz normalen Fußballklub erwartet hätte. Der neue Geschäftsführer des TSV 1860 hatte sich versteckt in einer Schar von Journalisten, die sich versammelt hatten anlässlich einer der seltenen Audienzen, die Hasan Ismaik an der Grünwalder Straße in Giesing gewährte. Und deshalb musste man ihn erst einmal suchen.

Ismaik, der Geschäftsmann aus dem ganzjährig angenehm temperierten Abu Dhabi, war an diesem kalten Novembertag im Jahr 2016 die weite Reise nach München nicht etwa angetreten, um eine profane Neuigkeit zu verkünden. Er hatte gleich mehrere Knüller mitgebracht. Soeben hatte Ismaik schon mitgeteilt, dass es die richtige Entscheidung gewesen sei, den Trainer Kosta Runjaic nach einem 1:1 gegen Kaiserslautern freizustellen, ferner verkündet, dass die bisherigen Geschäftsführer Thomas Eichin und Raed Gerges degradiert würden und es einen neuen Geschäftsführer geben werde. Dass der sich aber im Raum befände und sogar Anthony Power heißen würde, das sagte Ismaik jedoch erst auf Nachfrage. Ismaik deutete auf Power, dann fing Power an zu reden.

Und wie. In feinem Englisch trug er einen Lebenslauf vor, aus dem man drei hätte machen können.

"Ich bin 50 Jahre alt, in den vergangenen 25 Jahren habe ich in vielen Firmen gearbeitet, überall auf der Welt", brummte Power. "Ich habe in den USA gearbeitet, in Frankreich, in Großbritannien, im Mittleren Osten, in Asien. Ich war in den unterschiedlichsten Sparten aktiv: in der Industrie, im Bildungswesen, im Gesundheitswesen, im operativen Geschäft. Mit Hasan Ismaik arbeite ich seit einem Jahr zusammen, seither habe ich von außen die Situation bei 1860 gemonitored."

Mit dem zeitlichen Abstand von etwas mehr als fünf Jahren ist nicht ganz klar, ob einem eher zum Lachen oder zum Weinen sein sollte angesichts der Tatsache, dass diese legendäre Vorstellungsrede des Anthony Power noch immer dessen aktuellem Lexikoneintrag entspricht. Zwar wurde Power, nachdem er gemonitored hatte, erst Geschäftsführer, dann wieder abgesetzt, dann wieder Geschäftsführer und schließlich Boss von Ismaiks Fanartikel GmbH, in der Power nun offenbar seine berufliche Bestimmung gefunden hat. Aber sehr viel mehr wissen nicht einmal seine engsten Vertrauten im Klub über den inzwischen 55-Jährigen. Was natürlich auch daran liegen könnte, dass Power keine engen Vertrauten hat an der Grünwalder Straße. Was man weiß: Power hat Maschinenbau studiert und geht sehr gerne ins Fitnessstudio. Das eine hat Ismaik mal erzählt, das andere sieht man ihm an.

Die Inthronisierung von Power leitete damals Monate des Wahnsinns ein in Giesing, die ein halbes Jahr später in den Doppelabstieg in die vierte Liga mündeten. Der personelle Rundumschlag mit Power war Ausdruck einer Enttäuschung Ismaiks darüber, dass er im Sommer zwar so viele Darlehen in den Spielerkader gepumpt hatte wie nie zuvor, dieser es ihm aber nicht gedankt hatte mit Toren. "Bei diesen Investitionen müssten wir oben stehen", klagte Ismaik auf der Pressekonferenz, "aber andere Mannschaften der Liga haben mehr Punkte als wir." Um genau zu sein, hatten damals 13 Teams mehr Punkte.

Der devote Löwenpräsident Peter Cassalette ließ Ismaik in der Saison 2016/17 den Klub nach dessen Willen formen. Es war im Grunde die bis heute einzige Phase von Ismaiks inzwischen elf Jahre altem Investment, in der er auftrat als Investor. Also als jemand, der Geld so investiert, dass es die Leute mitbekommen und es nicht nur im Schornstein rauchen lässt: Es kamen Ivica Olic und Stefan Aigner, es kamen die brasilianischen Wunderspieler Victor Andrade und Ribamar, es kamen der Geschäftsführer Thomas Eichin von Werder Bremen und der neue Übungsleiter Kosta Runjaic. Auf Runjaic folgte Daniel Bierofka, doch auch der war noch vor Weihnachten Geschichte und wurde durch den Portugiesen Vitor Pereira ersetzt, der gleich mal ausrief: "We go to the top!" Doch dann bolzten seine gelangweilten Söldnerlöwen, die gemeinschaftlich schon fast so viele Länder besucht hatten wie Anthony Power, den Klub in den Abgrund.

Präsident Cassalette, der die Demontage Runjaics und Eichins dank seines Weisungsrechts hätte verhindern können, antwortete auf die Frage, weshalb dies nicht geschehen sei, mit der Auskunft: "Das soll am besten Hasan beantworten. Ich bin Präsident des e.V.".

Als daraufhin in den Münchner Zeitungen einhellig und korrekt beobachtet wurde, Cassalette werfe sich vor dem Investor in den Staub und untergrabe so die hierzulande dank 50+1 geltende Gewaltenteilung (der Verein bestimmt, der Investor nicht), da prangerte der schon wieder abgereiste Ismaik auf Facebook die Berichterstattung an, die ihn bewusst in ein schlechtes Licht rücke. In seiner Nachricht erklärte er: "Ich respektiere die Pressefreiheit in Deutschland, aber das geht eindeutig zu weit." Die Löwen riegelten ihr Gehege ab und kündigten an, dass bis auf Weiteres kein 1860-Vertreter für Interviews zur Verfügung stehen werde. Dann folgte sogar ein Hausverbot für Journalisten.

Noch etwas sagte Ismaik übrigens auf dieser denkwürdigen Pressekonferenz, auf der die Vorstellung von Anthony Power nur einer von vielen unterhaltsamen Programmpunkten war: "Ich kam als Investor, aber jetzt bin ich ein Fan." Das war vielleicht ernsthafter gemeint, als man es zum damaligen Zeitpunkt begreifen konnte.

Außerdem erschienen: Marvin Pourié (10.12.), Karsten Wettberg (14.12.), Stefan Ziffzer (15.12.), Gabor Kiraly (17.12.), Max Merkel (24.12.), Manfred Schwabl (3.1.), Dino Capocchiano (8.1.).

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