Süddeutsche Zeitung

Sechzigs Skandale (7):Auf einen Cappuccino nach Rom

Stürmer Berardino Capocchiano wechselt im Juli 1991 vom Zweitliga-Absteiger Havelse zum Aufsteiger 1860 München - und verkündet am selben Tag unter Tränen seinen Abschied. Unter dem Vorwand, sich um seine Familie kümmern zu müssen, reist er in seine Heimat Italien - und unterschreibt bei Lazio.

Von Gerhard Fischer

In Bayernliga-Zeiten, also in den 1980er Jahren, kamen viele Spieler sehr überraschend zum TSV 1860. Und sie gingen sehr rasch wieder. Ex-Nationalspieler Erich Beer wurde mit 38 Jahren auf dem Buckel und 38 Haaren auf dem Kopf ein Münchner Löwe. Außerdem kamen, so sagen manche Fans, "lauter übergewichtige Isländer und lauter uralte Jugoslawen". Manchmal sagen sie auch, es seien "lauter übergewichtige Jugoslawen und lauter uralte Isländer" gekommen.

Tatsächlich verpflichtete 1860 im Sommer 1987 die isländischen Nationalspieler Ragnar Margeirsson und Gudni Bergsson und die Jugoslawen Damir Kalapac und Predrag Pasic. Sie machten - zusammen - 17 Partien für die Sechziger, und Löwen-Trainer Uwe Klimaschefski verhöhnte seine eigenen Spieler: "Island ist so groß wie Schwabing, da muss es doch nichts heißen, wenn einer Nationalspieler ist."

Kein einziges Spiel für 1860 machte Dino Capocchiano, obwohl die Münchner 140 000 Mark an den TSV Havelse überwiesen hatten.

Capocchiano gelingt "eine schauspielerische Glanzleistung". Ob 1860 Geld verloren hat, darüber gehen die Meinungen auseinander

Die Löwen waren 1991, endlich, aus der Bayernliga in die zweite Liga aufgestiegen, und sie kauften den besten Torschützen des Zweitliga-Absteigers Havelse, eben jenen Capocchiano, den die Münchner Boulevard-Blätter sogleich "Dino Cappuccino" tauften. Dino Capocchiano kam also an einem Julimorgen anno 1991 nach München, unterschrieb bei Sechzig - und brach wenig später, es war jedenfalls noch am gleichen Tag, in Tränen aus. Im Archiv der 1860-Webseite steht unter der Überschrift "Capocchianos Tränen", er habe "eine schauspielerische Glanzleistung" vollbracht und weinend gesagt, er müsse dringend nach Italien, um sich um seine Mutter und die Schwester zu kümmern (andere Zeitzeugen sagen, es habe sich um die schwer kranke Großmutter gehandelt). Er müsse deshalb seinen Vertrag auflösen, was die Löwen rasch taten; und er werde mit dem Fußballspielen ganz aufhören!

Tatsächlich reiste Capocchiano nach Italien und unterschrieb bei Lazio Rom. Die Süddeutsche Zeitung schrieb, Capocchiano habe "1860 an der Nase herum geführt".

Wie viel und ob 1860 Geld verloren hatte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Auf der 1860-Homepage heißt es natürlich, der Klub habe sogar ein Plus gemacht. "Nach einer Woche tauchte der Italiener mit einem Onkel im Schlepptau bei Geschäftsführer Peter Deffner auf und überreichte einen Koffer. Inhalt: Jede Menge Lire-Scheine im Wert von 140 000 Mark!" Und nachdem Fußball-Chef Helmut Schmitz eine Beschwerde beim DFB und bei der Fifa eingelegt hatte, habe Lazio sogar noch einmal 70 000 Mark an die Löwen überweisen müssen.

Der Münchner Merkur machte damals eine andere Rechnung auf: Capocchiano habe sich mit 20 000 Mark frei gekauft; und hätte 1860 den Spieler ordnungsgemäß an Lazio Rom abgeben können, hätte man eine Ablösesumme von zwei Millionen Mark kassiert. Wie dem auch sei, Fußball-Chef Schmitz räumte in einem SZ-Interview später ein: "Im Nachhinein muss man sagen, wir haben übereilt gehandelt."

Dino Capocchiano blieb nur ein Jahr bei Lazio und machte bloß zwei Spiele. Auf der Löwen-Homepage steht dazu: "Sie verpflichteten Cappo quasi nur deshalb, weil sie in der Mannschaft einen Spieler haben wollten, der als Dolmetscher für Karl-Heinz Riedle fungieren sollte, der ebenfalls neu zu Lazio gestoßen war."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5502689
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/sewi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.