Sebstian Kehl:Start in den Endspurt der Karriere

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Gruppenkuscheln mit dem Chef: Kevin Großkreutz (links) und Nuri Sahin bei Sebastian Kehl (Mitte). (Foto: AFP)

Sebstian Kehl hängt ein weiteres Jahr in der Bundesliga dran und spielt bis 2015 in Dortmund. Der BVB-Kapitän hat sich in der jugendfixierten Branche durchgesetzt - trotz der verräterischen "3" vorne in seiner Altersangabe. Mit Vertragsende wartet schon der Adelsstand auf ihn.

Von Freddie Röckenhaus

Vor jedem Spiel, das hat der Trainer einmal ausgeplaudert, bilden die Profis von Borussia Dortmund in der Kabine einen Kreis der Verschworenen. Dann schlägt die Stunde des Kapitäns. Sebastian Kehl, jenseits vom Fußball eher der Typ vom diplomatischen Dienst, lässt es dann als Stimmungs-Einpeitscher "so richtig krachen", wie Jürgen Klopp es nennt, "das sind wunderbare Ansprachen" - und wer könnte besser über so etwas reden als der Dortmunder Trainer. An diesem Dienstagabend, sinnigerweise beim 144. Ruhrpott-Derby gegen Schalke 04, beginnt für Kehl auch ein ganz persönlicher Countdown: Seine Spiele sind ab jetzt abgezählt.

Kehl und sein Verein haben am Sonntag einen in der jugendfixierten Branche Fußball ungewöhnlichen Schritt gemacht. Bekannt gegeben wurde, dass der gemeinsame Arbeitsvertrag erneut verlängert werde, diesmal bis Sommer 2015, dass Kehl damit aber auch seine Karriere als Spieler beenden wird. Kein langsames Ausgleiten also, kein Vorruhestand in der US-Major Soccer League, mit dem der Amerika-Fan Kehl geflirtet hatte, keine trüben Kicks in der fünften oder sechsten Liga. "Im Moment", beschreibt Kehl die Gedanken eines Fußball-Profis in der Nähe der biologischen Grenzzone, "spiele ich noch auf hohem Niveau mit. Bis zum nächsten Sommer werde ich dieses Niveau noch halten können. Ich möchte nicht erleben, dass ich irgendwann hinterherlaufen muss. Ich will einen würdigen Abgang."

Im Februar ist er 34 geworden, am Ende der kommenden Saison, so rechnet er vor, wird er also "fast 35-einhalb" sein. Mit 20, im Dezember 2001, kam er, damals schon Jung-Nationalspieler, vom SC Freiburg zum BVB. Wenn er aufhört, wird er also fast 14 Jahre lang das BVB-Trikot getragen haben. Das ist verdammt lang in einem kurzatmigen Geschäft, in dem Spieler schon mal für sechs Monate irgendwohin ausgeliehen werden oder als Fußball-Legionäre durch Ligen und Länder tingeln. "Wenn man an etwas nicht für eine längere Zeit arbeitet", hat Kehls Trainer Jürgen Klopp mal gesagt, "dann hat man es auch nicht wirklich gemacht." Irgendwie hat der Charakter von Kehl wohl dazu gepasst, eine Sache richtig zu machen.

Wahrscheinlich würde man noch ganz anders über Sebastian Kehl, den Fußballer, reden, wenn nicht der 11. August 2006 gewesen wäre. Damals, im Eröffnungsspiel zur Bundesliga-Saison gegen den FC Bayern, foulte ihn Hasan Salihamidzic in einem an sich unbedeutenden Zweikampf in der Nähe der Mittellinie. Er trat Kehl mit den Stollen eine tiefe Risswunde ins Knie. Die Wunde entzündete sich, Kehl litt gut eineinhalb Jahre an den Folgen. Kurz zuvor war er an Platz drei bei der Heim-WM in Deutschland beteiligt gewesen, vier Jahre zuvor in Japan/Südkorea gar an Platz zwei.

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Es waren Höhepunkte im DFB-Team, denn der schweren Verletzung folgten weitere, ein Abriss des Oberschenkelmuskels zum Beispiel, wovon man bei Fußballern selten hört. Kehl spricht nicht gerne über das Thema: "Vergangenheit. Was nützt es, nachzukarten?"

Ihm ist allerdings anzumerken, dass es eine ziemlich lange Phase in seiner Laufbahn gab, in der er es leid war, als Dauer-Verletzter abgestempelt zu sein, bedauert zu werden, sich schleichend abgeschoben zu fühlen. Wie einer, dessen Arbeitskraft scheinbar schwindet und der spürt, wie ihn der Chef und die jüngeren Kollegen langsam aufs Abstellgleis schieben. In anderen Berufen bekommen die Menschen dieses Gefühl 20 oder 25 Jahre später vermittelt: nicht mehr ganz dazuzugehören. Es hat sich wohl selten ein Spieler so ausdauernd und mit so viel Ehrgeiz gegen dieses Stigma aufgebäumt.

Die Nationalmannschafts-Karriere hat Kehl, angesichts der Jugendlichkeitswelle in der Ära Joachim Löw, nicht mehr repariert bekommen. Das Spiel um Platz drei gegen Portugal bei der WM 2006 war sein letztes von 31 Länderspielen. Als Kehl in Dortmund wieder so stark und regelmäßig spielte, dass Löw ihn hätte holen können, stand bereits die verräterische "3" vorne in seiner Altersangabe. Dafür passierte Kehl beim BVB "der Glücksfall Jürgen Klopp".

Der machte ihn, egal ob verletzt oder gesund, 2008 zu seinem Kapitän. Um ihn herum gab es bald nur noch 18- bis 22-Jährige, "die in WhatsApp-Gruppen und eben bis in die Nacht online waren". Neben Roman Weidenfeller, für den als Torwart andere Altersbeschränkungen gelten, fand sich Kehl in der Rolle des Chefs wieder. In einer Generation allerdings, in der, wie Kehl es ziemlich typisch ausdrückt, "die Hierarchien viel flacher sind, als das zu der Zeit war, als ich noch jung war".

Die neue Spieler-Generation, sagt Kehl, sei "viel besser ausgebildet" - in vielerlei Hinsicht. Mit dieser neuen Generation hat Kehl den eigentlichen Höhepunkt seiner Laufbahn erst gegen Ende erlebt: Noch zweimal Meister 2011 und 2012 (das erste Mal hatte er das mit dem BVB 2002 geschafft), das Double 2012, das Champions-League- Finale 2013 in London-Wembley.

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Auch dafür, dass er daran maßgeblich beteiligt war, will ihn der Klub im Sommer 2015 endgültig in den Dortmunder Adelsstand erheben. Kehl, Fan der Schauspieler-Ikone Steve McQueen, soll ins Management des BVB wechseln. "Er ist eine totale Identifikationsfigur", sagt Sportdirektor Michael Zorc, der ihn 2001 aus Freiburg geholt hatte. Vorstandschef Hans-Joachim Watzke sieht Kehl künftig "als Botschafter" des Klubs. Erst einmal. Kehl soll sich dann um die Sponsoren-Pflege kümmern und um alles, wo er seine Rhetorik und seinen coolen Charme einsetzen kann.

Kehl wir das jetzt schon wieder zu viel. Gerade erst dem Image des Dauerverletzten entronnen, hat er Angst vor einem Vorruhestands-Stigma. "Erst mal bin ich zu einhundert Prozent Fußballer - bis Sommer 2015", sagt er. Gegen Schalke gibt es an diesem Dienstag quasi einen Neustart, den in den Endspurt der Karriere. Mit 34. In beiden Teams fehlen viele verletzte Spieler. Kehl aber ist fit. Er zählt jetzt runter: Noch drei solcher Revier-Derbys, dann ist Schluss.

© SZ vom 25.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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