Sebastian Vettel vor Titelverteidigung:Die Geister, die er rief

Red Bull Formula One driver Vettel is seen at the team garage during the first practice session of the Indian F1 Grand Prix at the Buddh International Circuit in Greater Noida

Wurde zuletzt häufiger ausgepfiffen: Sebastian Vettel

(Foto: REUTERS)

Sebastian Vettel wird in Indien wohl zum vierten Mal nacheinander den WM-Titel in der Formel 1 gewinnen. Doch anders als bei den drei Feiern zuvor muss er damit klarkommen, nicht länger Everybody's Darling zu sein. Schuld daran ist vor allem: er selbst.

Von René Hofmann

Es gibt immer noch ein sicheres Zeichen, dass Sebastian Vettel ein Thema unangenehm ist. Vor dem Großen Preis von Indien ist das wieder einmal zu besichtigen gewesen.

Vettel kann am Wochenende zum vierten Mal Weltmeister werden. Das Rennen wird wie geplant am Sonntag um 10.30 Uhr gestartet, eine Klage gegen die Veranstalter wegen angeblich zu wenig entrichteter Vergnügungssteuer wurde vom Obersten Gericht am Freitag vertagt. Vettel hat 90 Punkte Vorsprung auf den einzigen Rivalen, der theoretisch auch noch Titelchancen hat: Ferrari-Fahrer Fernando Alonso. Nach dem Gastspiel in Indien gibt es noch drei Rennen in Abu Dhabi, Austin/Texas und in São Paulo. Es wäre also eine frühe Krönung, die den 26-Jährigen in einen sehr exklusiven Zirkel aufsteigen ließ.

Vier Titel in Serie, das haben bisher lediglich Zwei geschafft: Juan Manuel Fangio in den fünfziger Jahren und Michael Schumacher zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts. Vettel ist ein Ausnahmefahrer, daran besteht kein Zweifel. Und doch ist ausgerechnet jetzt, kurz vor seinem nächsten Streich, eine Debatte entbrannt: Ist er wirklich einer wie Fangio und Schumacher?

Die Frage kam auf, weil es Pfiffe gab. Nach den Erfolgen in Belgien, in Italien und in Singapur wurde Vettel ausgepfiffen. Obwohl er in den Rennen nichts falsch gemacht hatte. Vielleicht sogar, weil er nichts falsch gemacht hatte. Er hatte die Rennen souverän gewonnen. In Südkorea und in Japan fuhr er ebenfalls überlegen voraus. Bei den Siegerehrungen dort pfiff niemand.

Am Buddh International Circuit hat Vettel nun geunkt, diejenigen, die ihn nicht mögen, seien vielleicht "in einem Tourbus" unterwegs und zuletzt sei ihnen wohl schlicht "das Geld ausgegangen". Dann hat er versucht, das Thema wegzulächeln. Aber so schnell wird es nicht verschwinden, es ist ja mit das interessanteste Thema, das die Saison hervorgebracht hat.

Der Motorsport ist immer stolz auf seine Fans gewesen. Darauf, dass es auf den Tribünen anders zuging als beim Fußball. Dass es keine Hooligans gab und keine Gruppierungen, die sich verachteten. Wer sich als Hersteller auf die Bühne wagte, konnte sich letztlich nur selbst blamieren. Die Zuschauer honorierten schon die Anstrengung, den Siegern war Respekt sicher.

Vorurteile der Traditionalisten

Gewiss, Michael Schumacher erntete auch etliche Male Pfiffe. Aber das waren besondere Situationen, nach seinem Sieg in Indianapolis, als wegen Reifenproblemen nur fünf Gegner am Start gestanden waren; und zweimal in Österreich, als er von der Stallorder profitiert hatte. Dass aber einem, der einfach nur der Beste ist, Abneigung entgegenschlägt - das ist neu. Und es wirft die Frage auf: Woran liegt das? An Vettel? An seinem Team? An seinen Gegnern? Oder an allem zusammen?

Der Protest hob und schwoll ausgerechnet dort an, wo die Formel 1 eine große Tradition hat: in Spa-Francorchamps und in Monza. Im autodromo nazionale tummeln sich besonders viele Tifosi. Dass ihnen nicht gefällt, wenn Ferrari in Serie verliert, liegt nahe. Und Vettels Treue zu seinem früheren Förderer half da sicher auch nicht. Seit Teenagertagen wird er von Red Bull unterstützt. Die österreichische Getränkefirma geriert sich in vielen Sportarten als neureicher Gernegroß, was bei Traditionalisten Aversionen weckt.

Am überraschendsten waren deshalb die Buhs in Singapur. Das Nachtrennen dort ist an sich der perfekte Red-Bull-Grand-Prix: Party, Geld und Hauptsache ein gutes Image - in dem Stadtstaat geht es ja eigentlich um nichts anderes. Aber mit seinem Selbstbewusstsein, seiner Rücksichtslosigkeit und dem oft offensiv vorgetragenen Anspruch, integerer aufzutreten als seine Gegenspieler, hat Vettel offenbar einen Geist geweckt, der ihn nun verfolgt.

Der Wind dreht sich

Am deutlichsten wird das beim Vergleich der Botschaften, die Vettel aktuell von den Rivalen erreichen, mit denen, die er vor zwei Jahren in ähnlicher Lage entgegennehmen konnte. "Er war sehr konstant, hat sich kaum mal einen Fehler erlaubt - echt toll!", schwärmte McLaren-Mann Jenson Button damals. "Er holt das Maximum aus dem Auto und dem Team heraus und macht den besten Job", sagte der Schweizer Sebastien Buemi, der damals für Toro Rosso fuhr. "Ich halte ihn für einen kompletten Fahrer und denke, dass er es verdient hat, in diesem Jahr Weltmeister zu werden", so der damalige Sauber- Pilot Sergio Perez.

Als er 2010 seinen ersten Titel gewann, war Vettel die große Überraschung. Als er 2011 überlegen vorausjagte, war er immer noch Everybody's Darling. Vergangenes Jahr drehte der Wind bereits leicht. Inzwischen kommt er immer öfter frontal von vorne. Respektlos hat Nico Rosberg den Dominator kürzlich genannt, nachdem Vettel mit pubertären Worten ("Eier in den Pool hängen") insinuiert hatte, er und sein Team arbeiteten schlicht besonders hart.

Jenson Button äußerte sich ähnlich. Rosbergs Mercedes-Kollege Lewis Hamilton sieht sich selbst und Fernando Alonso fahrerisch auf einer höheren Stufe. Der Spanier wiederum lässt keine Gelegenheit aus, um durchblicken zu lassen, dass er auch gerne einmal wieder ein so überlegenes Auto bewegen würde, wie Vettel es im Moment hat. Offiziell findet die Pfiffe niemand gut. Aber offiziell findet Sebastian Vettel sie ja auch zum Lachen.

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