Sebastian Vettel:"Mein größter Feind bin ich selbst"

Sebastian Vettel: Augen auf in der Dunkelheit: Das Flutlichtrennen auf dem Marina Bay Street Circuit liegt Sebastian Vettel - viermal bereits gewann er dort.

Augen auf in der Dunkelheit: Das Flutlichtrennen auf dem Marina Bay Street Circuit liegt Sebastian Vettel - viermal bereits gewann er dort.

(Foto: Manan Vatsyayana/AFP)
  • Sebastian Vettel will beim Nachtrennen in Singapur die Wende schaffen: In der WM-Wertung liegt er 30 Punkte hinter Lewis Hamilton.
  • Die wochenlangen Diskussionen um Teamkollege Kimi Räikkönen haben Energie gekostet, am Ende wurde Vettels Wunsch nach einem Verbleib des Kumpels nicht erfüllt.
  • Die Beziehung zu Ferrari wirkte schon mal enger.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Wie leicht haben es doch die einmaligen Weltmeister in der Formel 1. Sie tingeln als Fernsehkommentatoren mit im Rennzirkus, weil der Motorsport offenbar so kompliziert und komplex ist, dass man noch mehr Experten braucht als beim Tennis oder Fußball. Sucht man nach Meinungsäußerungen zu Sebastian Vettel und dessen Chancen, 2018 doch noch endlich Weltmeister im Ferrari zu werden, dann trifft man sie, die Einmaligen. Damon Hill, Champion von 1996, urteilt: "Ferrari hat ein Problem und es heißt Lewis Hamilton. Deshalb ist er jeden Penny wert, während Vettel unter dem Druck zusammenbricht." Nico Rosberg, Hamiltons Teamkollege bis zu seinem Titelgewinn und Rücktritt 2016, belehrt den Heppenheimer im britischen Fernsehen: "Man kann einen Lewis Hamilton nicht schlagen, wenn man so viele Fehler macht. Das ist Fakt. Wenn er das nicht ändert, kann Sebastian die Weltmeisterschaft vergessen."

Der, dem die Kritik gilt, sitzt in der schwülen Dunkelheit von Singapur entspannt auf einer Veranda nahe dem Riesenrad, um das sich das Nachtrennen am Sonntag drehen wird, welches das entscheidende Drittel der Saison einläutet. Im Vorjahr war Vettel mit drei Punkten Rückstand an den Marina Bay Street Circuit gekommen, diesmal sind es 30. Damals hieß es, Ferrari könne die Wende schaffen auf der Strecke, die Mercedes am wenigsten liegt. Diesmal ist es Pflicht.

Immerhin, vor dem Ferrari-Pavillon hat Sebastian Vettel endlich einen Teamkollegen an seiner Seite, auf den er sich hundertprozentig verlassen kann - einen energischen Italiener mit der kleinen Aufschrift "Security" auf dem roten Hemd. Aber den Beistand neben der Piste braucht er nicht. Der Rennfahrer blickt über seine üblichen Claqueure in der ersten Stuhlreihe hinweg und sagt dann mit fester Stimme in die Runde: "Mein größter Feind bin ich selbst." Reflexion und Selbstkritik scheinen das Gebot der Stunde bei der Scuderia zu sein. Maurizio Arrivabene, der als Teamchef wie sein deutscher Chauffeur seit dreieinhalb Jahren versucht, den ältesten Rennstall der Formel 1 endlich wieder ganz nach oben zu hieven, sagt auf die Frage nach Vettels Fehlern: "Sie nennen es Fehler. Ich werde aber nie auf ein einzelnes Teammitglied mit dem Finger deuten. Der einzige Fehler sitzt gerade vor ihnen. Wenn wir nicht die Ergebnisse bringen, die von uns erwartet werden, dann bin allein ich dafür verantwortlich."

Der Große Preis von Singapur ist das erste von sieben Rennen in nur zehn Wochen, aber der Marina Bay Street Circuit ist der anstrengendste und unberechenbarste Kurs von allen. Im letzten Jahr startete Sebastian Vettel von der Pole-Position, die dort noch mehr zählt als in Monte Carlo, aber er kam nur unwesentlich weiter als bis zur ersten Kurve, wo er mit seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen kollidierte. Danach fand er sich entgegen der Fahrtrichtung stehend im Aus wieder. Wie vor zwei Wochen in Monza, als er sich ebenfalls um 180 Grad drehte, nachdem er ein Überholmanöver von Lewis Hamilton abwehren wollte. Eine Szene, in die Vettel niemals geraten wäre, wenn er von der Pole Position gestartet wäre. Von ganz vorne ging allerdings sein Teamkollege Kimi Räikkönen ins Rennen.

Wenn in Singapur die gleiche Situation wie in Monza auftreten sollte, ist Vettel mittlerweile sicher, "dass es so nicht noch mal ausgehen würde". Und das, obwohl Räikkönen jetzt weiß, dass er zum Saisonende im Tausch mit Charles Leclerc zum Schweizer Sauber-Team abgeschoben wird. Da stellt sich wieder die Frage nach der Teamräson: Beihilfe oder unterlassene Hilfeleistung. Der Analytiker Vettel bittet: "In viele Dinge sollte man nicht so viel Psychologie reininterpretieren. Wir wissen beide, wie wir unseren Job zu machen haben." Mercedes setzt klar auf Stallorder, ausgerechnet Ferrari aber schreckte bisher davor zurück. "Für mich ändert sich grundsätzlich nichts, es ist alles situationsbedingt", sagt Vettel.

Nur um "mitzurollen", sei man nicht hergeflogen

Es wirkt beinahe so, als habe er verdrängt, wie ernst die Lage ist. Noch mehr als den Blick in den Rückspiegel hasst Vettel Politik hinter den Kulissen. Zwar hat das Ferrari-Team von heute nicht mehr viel mit dem Intrigantentum früherer Jahre zu tun, aber gerade in der jetzigen Situation - das stärkste Auto zu haben, aber nicht vorn zu stehen - ist es schwer, intern Ruhe und Nerven zu bewahren. Die wochenlangen Diskussionen um Räikkönen haben Energie gekostet, am Ende wurde Vettels Wunsch nach einem Verbleib des Kumpels nicht erfüllt. Man habe zwar mit ihm über die Personalpolitik gesprochen, "aber ich habe kein Entscheidungsrecht". Der Fahrer und seine Fahrgemeinschaft, die Beziehung wirkte schon mal enger.

Bei Ferrari sind sie allesamt weit nervöser, als sie zugeben können. Das spürt ein Jäger wie Hamilton, der nach der Kollision mit Vettel nichts davon wissen wollte, glücklich davongekommen zu sein: "Das war kein Glück, das war Können." Vettel behauptet für sich: "Es hätte genauso gut andersherum ausgehen können." Aber zu oft kam es anders, die Fehlerstatistik des viermaligen Weltmeisters hat eine ungewöhnlich hohe Dichte erreicht: fünf Erstrunden-Unfälle in den vergangenen eineinviertel Jahren. In dieser Saison gab es auch schon reichlich Fahrfehler, sonst läge Vettel in Führung. "Die letzten Rennen waren kein Spaziergang", findet er. Mercedes-Teamchef Toto Wolff sagt: "Sebastian hat den Ehrgeiz, wenn möglich immer zu gewinnen, und bringt die dafür notwendige Aggressivität mit. Dass das manchmal zu Kollisionen führt, ist Teil seiner Art und Weise, ein Formel-1-Auto zu fahren."

Sanft auf die Bedeutung des Nachtrennens angesprochen, in dem er sich ja sozusagen aus dem Titelkampf verabschieden könnte, antwortet Vettel mit Humor. Nur um "mitzurollen", sei man ja nicht hergeflogen. Aber für einen Sieg, der das Titelrennen umdrehen könne, "muss viel zusammenkommen. Das geht nicht einfach von der Hand".

Die letzte Frage eines Reporters ist eine Feststellung: "Ich vermisse den Optimismus", sagt er. Sebastian Vettel schaut auf, wirkt für einen Moment verunsichert. Dann sagt er: "Wenn ich etwas in der Hand habe, mit dem ich spielen kann . . . können mir die anderen nichts anhaben."

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