Sebastian Vettel in der Formel 1:"So etwas darf nicht passieren"

F1 Grand Prix of Belgium - Qualifying

Merklich verstimmt war Sebastian Vettel nach dem Rennen in Belgien.

(Foto: Charles Coates/Getty Images)
  • Die Formel 1 erlebt einen weiteren Mercedes-Triumph: Lewis Hamilton dominiert auch in Belgien vor Nico Rosberg.
  • Sebastian Vettel übt nach einem Reifenschaden Kritik, wie es sie in der langen Formel-1-Geschichte nur selten gegeben hat.

Von René Hofmann

Im Ziel flogen erst die Komplimente hin und her. Und kurz darauf die Anklagen. "Top job", wurde Lewis Hamilton gelobt, "beautiful work". Der Brite gab am Funk umgehend zurück: "Ihr habt auch toll gearbeitet." Das elfte Rennen der Formel-1-Saison in Spa-Francorchamps brachte einen Sieger hervor, der bereits Routine im Champagner-Spritzen hat: Der Brite Lewis Hamilton war erneut schneller als sein Teamkollege und Titel- rivale Nico Rosberg. Den beiden Mercedes-Männer konnte wieder einmal keiner nahe kommen.

Das Prädikat des besten Verfolgers ging dieses Mal an Lotus-Lenker Romain Grosjean - weil sich an Sebastian Vettels Ferrari wenige Kilometer vor dem Ziel der rechte Hinterreifen auflöste. Nach dem Reifenplatzer auf der vorletzten Runde hielt der viermalige Weltmeister eine Philippika gegen Pneu-Lieferant Pirelli, wie es sie in der langen Formel-1-Geschichte nur selten gegeben hat. Er müsse nun aufpassen, was er sage, meinte Vettel - um genau das dann nicht mehr zu tun. "Wenn das 200 Meter früher passiert, knalle ich mit 300 an die Wand. Es muss mal gesagt werden: Die Qualität der Reifen ist miserabel." Schon seit Jahren sei das so. "Ich weiß nicht, worauf wir warten."

Mit anderen Worten: Die Produkte der italienischen Firma stellten ein Sicherheitsrisiko dar. Als Kronzeugen seiner Anklage führte Vettel Nico Rosberg an. An dessen Auto war am Freitagnachmittag im zweiten Training ebenfalls ein Hinterreifen geplatzt. Rosberg hatte nach dem Erlebnis von einem "Schock" gesprochen: "Wenn man 300 km/h fährt und etwas schiefläuft, ist das ein schreckliches Gefühl. Ich dachte, dass ich in der Mauer landen würde. Ehrlich gesagt, war es pures Glück, dass es nicht so gekommen ist."

Auch Nico Rosberg ist geschockt

Nach seinem ganz ähnlichen Erlebnis zwei Tage später führte Vettel aus: "Es gab an diesem Wochenende zweimal das Problem. Nico ist kein Idiot. Er war nicht neben der Strecke, und ich war es auch nicht. So etwas darf nicht passieren. Es muss darüber gesprochen werden. Demnächst knallt einer gegen die Wand, dann sagen alle, oh, hätten wir nur . . ."

In der Qualifikation am Samstag hatte Vettel lediglich Rang neun belegt. Sein Ferrari-Team versuchte, mit einer gewagten Strategie das meiste aus der Enttäuschung zu machen: Es bestellte Vettel nur einmal zu einem Reifenwechsel ein. Pirelli-Sportchef Paul Hembery wies die Schuld an dem Reifenschaden deshalb umgehend zurück. "Das war sehr, sehr ehrgeizig, das zu versuchen", sagte er über die Ferrari-Taktik. "Man hat gesehen: Der Reifen war komplett abgenutzt. Ein Stopp - das war sehr grenzwertig."

Es steht Aussage gegen Aussage

Die traditionsreiche Rennstrecke in den Ardennen zeichnet sich durch ungewöhnlich große Höhenunterschiede und viele schnelle Kurven aus. Es ist der Grand Prix, bei dem die Reifen der größten Beanspruchung ausgesetzt werden. Vettels Darstellung, die Reifenfirma habe den Teams vor dem Start versichert, ihre Produkte würden sicher 40 Runden schadlos überstehen, wies Hembery zurück: "Wir haben allen gesagt: ,Das ist ein Zwei- oder Dreistopp-Rennen.'"

Damit stand am Ende Aussage gegen Aussage, wobei es dabei nicht bleiben dürfte. Das nächste Rennen findet am 6. September auf dem Autodromo Nazionale in Monza statt. Beim Großen Preis von Italien werden besonders hohe Geschwindigkeiten erreicht. Er gilt deshalb als besonders gefährlich.

Nico Rosberg pflichtete Vettels Kritik indirekt bei und schloss sich dessen Forderung nach Konsequenzen sehr direkt an. "Es ist heftig. Wir haben beide mächtig Glück gehabt. Es darf nicht sein, dass die Reifen ohne Ankündigung platzen. Man versteht nicht, was da passiert ist. Wir müssen da jetzt viel Arbeit reinstecken, um das zu beheben", sagte der 30-Jährige, bevor er die Rennstrecke eilig verließ, um zu seiner im neunten Monat schwangeren Frau zu eilen.

Rosbergs Anregung: Jedes Team solle einen Reifen-Spion beauftragen, die Räder auf den TV-Kameras im Auge zu behalten, über die jedes Auto verfügt; manche Schäden kündigen sich an. Derlei ließe sich auch kurzfristig verfügen. Neue Reifen zu produzieren ist dagegen nicht so einfach. Dies dauert Monate. Mindestens.

Ob es aber wirklich zu Sofortmaßnahmen kommt, ist fraglich. Die Chefebene gab sich viel Mühe, die Aufregung herunterzuspielen. Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene erwähnte den Reifenärger in seinem ersten Statement mit keiner Silbe. "Es war ein tolles Rennen", fand der Italiener, "das gehört zur Formel 1, das gehört zum Wettbewerb."

Mercedes-Sportchef Toto Wolff räumte ein, dass die Taktik der Rivalen am Mercedes-Kommandostand diskutiert worden war ("Das ist hier ein bisschen haarig"), wertete den Versuch aber als "Ferraris einzige Chance". Niki Lauda, RTL-Experte und Vorsitzender des Aufsichtsrats des Mercedes-Teams, hatte überhaupt kein Verständnis für Vettel: "Wenn unserer Fahrer Pirelli so kritisieren würden, würde ich sie mir vorknöpfen."

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