Sebastian Vettel in der Formel 1:Bissiger Hamster

Formel 1 - GP Deutschland

Angefressen in Hockenheim: Sebastian Vettel.

(Foto: dpa)

Am Hockenheimring hat es Sebastian Vettel mit vielen Problemen zu tun. Sein Rennauto ist rückständig. Teamkollege Ricciardo hängt ihn weiter ab. Und nun dieser Zweifel: Ist der Weltmeister gar kein so guter Fahrer?

Von René Hofmann, Hockenheim

Nein, auf den ersten Blick ist Sebastian Vettel nichts anzumerken. Der inzwischen 27-Jährige sitzt vor seinem Heimrennen, dem Großen Preis von Deutschland, auf einem Podium neben dem WM-Führenden Nico Rosberg. Als Vettel an Rosbergs linker Hand einen glänzenden neuen Ring entdeckt, dämmert es ihm: Da war doch was . . . Also stupst er Rosberg an, versichert sich noch mal, dass er es richtig im Kopf hat - und gratuliert dem WM-Führenden nachträglich zur Hochzeit am vergangenen Wochenende.

Keine Spur von Feindschaft, Neid, Missgunst. Auch sonst zeigt der wohl bald entthronte Viermal-Champion beim Concours d'Elegance, den es vor jedem Grand Prix zu bewältigen gibt, ausgiebig das, was ihn in den vergangenen Jahren ausgezeichnet hat: sein Lausbuben-Lächeln und seinen Spitzbuben-Humor. Die Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien hat er alle verfolgt, nicht nur im Deutschland-Trikot, "sondern auch in Deutschland-Socken", wie er erzählt.

Beim Finale lud er Freunde zum Fernsehen ein. "Und zum Glück", so Vettel, "wurde es dann tatsächlich auch über- tragen." Nein, auf den ersten Blick ist ihm wirklich nicht anzumerken, dass dieses Titelrennen für ihn so gut wie verloren ist.

Nico Rosberg 165 Punkte, Lewis Hamilton 161 Punkte, Sebastian Vettel 70 Punkte - so steht es vor dem zehnten von geplant 19 WM-Rennen 2014. Vettel ahnt: "Mercedes ist in einer Position, bei jedem Rennen die ersten zwei Plätze belegen zu können." Das Ziel seiner Red-Bull-Mannschaft sei es, "aufzuholen" und die Lücke möglichst schnell zu schließen. Weil die aber "sehr groß" sei, könne man dies in kurzer Zeit kaum bewerkstelligen. Es ist also ein Geduldsspiel - und Vettel erlebt ein solches zum ersten Mal in seiner Formel-1-Zeit. Seit er 2009 zu Red Bull stieß, war die Mannschaft ein Top-Team gewesen, ein frontrunner, wie es auf Englisch heißt. Nun stehen andere regelmäßig ganz vorne. Und mit dem Standpunkt ändert sich auch die Perspektive.

Was Vettel beim Blick aufs Klassement noch mehr zu denken geben sollte als der Rückstand auf die WM-Führenden: Dass er zur Saisonhalbzeit auch hinter seinem Teamkollegen steht, dem 24 Jahre alten Daniel Ricciardo, der sein erstes Jahr in einem Top-Team erlebt. Der Australier hat 28 Zähler mehr gehamstert als Vettel. Und das ist die wahrscheinlich größte Überraschung gewesen, die das Rennjahr bisher hervorgebracht hat.

Weil es Fragen aufwirft: Wie kann das sein? Ist Vettel doch nicht so gut, wie es in den vergangenen Jahren den Anschein hatte? Wurde der Red-Bull-Zögling, solange er gegen den knorrigen Mark Webber fuhr, vom Team vielleicht doch bevorzugt? Was sich nicht gleich erschließt, weckt Zweifel. Gerade in der kleinen Formel-1-Welt, in der Paranoia weit verbreitet ist.

Anpfiff von Lauda

Als Red Bull im vergangenen Jahr bekannt gab, dass 2014 Ricciardo neben Vettel antreten würde, wurde das zunächst als Zeichen dafür gewertet, dass Vettel seine Hausmacht weiter festigen würde. Ricciardo kam vom kleinen Red-Bull-Team Toro Rosso, bei dem er einige beachtliche Leistungen gezeigt hatte, aber kaum sensationelle. Als Alternative war Kimi Räikkönen im Gespräch. Räikkönen, der Weltmeister des Jahres 2007, ein echtes Speed-Tier, wie die Wildesten der Wilden in der Szene gerne genannt werden. Neben dem eiskalten Finnen wirkte der meist freundlich und breit lächelnde Ricciardo wie ein Partner zum Kuscheln. Doch der Eindruck täuschte offenbar. Der Mann aus Perth kann sich mit seinen Zähnen auch ordentlich in die Aufgaben verbeißen.

Er begegnete Vettel vom ersten Tag an nicht mit Bewunderung, sondern mit viel Pragmatismus: Was er sich abschauen konnte, schaute er sich ab. Wo er es für clever hielt, suchte er eigene Wege. Und vor allem das zahlte sich aus. Denn das Jahr begann harzig für die Titelverteidiger. Das neue Auto lief bei den ersten Testfahrten kaum, und wenn es mal fuhr, dann fuhr es nicht lange. Vettel, der aus den vergangenen Jahren ganz anderes gewohnt war, spürte den Umschwung schnell. Und er gefiel ihm nicht. Öffentlich spielte er zunächst noch den Geduldigen, doch es dauerte nicht lange, und er schimpfte immer unverhohlener über all die neue Technik, mit der er sein zuvor so zuverlässiges Gefährt überladen sah.

ERS (Energy Recovery System) statt KERS (Kinetic Energy Recovery System), eine MGU-K (Motor-Generator-Unit-Kinetic) und eine MGU-H (Motor-Generator-Unit-Heat), dazu noch Brake-By-Wire-Bremsen. Ja, die Formel 1 ist in diesem Jahr kompliziert geworden. So kompliziert, dass auch die Protagonisten damit zu kämpfen haben.

Sebastian Vettel in der Formel 1: undefined

Und manch Etablierter kämpft eben heftiger damit als mancher Aufsteiger, gerade wenn ihm der Start mit vielen Defekten verleidet wird. Wenn der Fehlerteufel zuschlug, dann meist an Vettels Auto. Ohne Vertrauen in dieses ist es aber schwer, Freude am Fahren zu finden und ohne die ist es schwierig, ans Limit zu kommen. Vettels Abschwung ist ein gutes Beispiel dafür, dass für den Erfolg in der Formel 1 viele Faktoren zusammenkommen müssen, die aber meistens unkalkulierbar bleiben.

Daniel Ricciardo 98 Punkte, Sebastian Vettel 70 Punkte: Natürlich provoziert ein solch unerwarteter Zwischenstand Reaktionen. Die Red-Bull-Gewaltigen mühen sich, Vettel stark zu reden und seine Durststrecke zu nutzen, um Druck auf Renault aufzubauen; etliche PS mehr würden den Motoren aus Frankreich guttun. Die Konkurrenz versucht, die Formdelle zu einem prinzipiellen Problem Vettels hochzureden: Der habe "mehr Tiefs" als Lewis Hamilton, findet beispielsweise Niki Lauda. Der Chef des Aufsichtsrats des Mercedes Formel-1-Teams findet: "Vettel ist ein vierfacher Weltmeister, und er hat sich in den vergangenen acht Rennen nur beschwert und herumgezickt."

Jede Regung wird gedeutet, interpretiert, kommentiert.

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