Sebastian Vettel im Gespräch:"Bin ich hier, um Spaß zu haben? Nein!"

Vor dem Grandprix in Suzuka spricht Formel-1-Titelkandidat Sebastian Vettel über die Last vermeidbarer Fehler, den eigenen Erfolgsdruck und den Reiz alter Vinyl-Schallplatten.

Elmar Brümmer

In diesem Jahr bietet sich Sebastian Vettel die Chance zum letzten Mal: Der am 3. Juli 1987 in Heppenheim geborene Rennfahrer kann der bisher jüngste Formel-1-Weltmeister werden. Im vergangenen Jahr verpasste Vettel den Titel knapp: Weil sein Rennwagen einige Defekte hatte, das Red-Bull-Team sich einige taktische Fehler erlaubte und er selbst einige Unaufmerksamkeiten einstreute, wurde er in der Fahrerwertung Zweiter hinter dem Briten Jenson Button - worüber Sebastian Vettel extrem enttäuscht war. "Nur dabei zu sein, würde mir keinen Spaß machen", erklärt er dazu im Interview vor dem Großen Preis von Japan, der an diesem Sonntag um acht Uhr deutscher Zeit in Suzuka gestartet wird.

Formel 1 - GP Japan - Vettel

"Das ist ein Moment, an dem man vom Glauben abfällt." - Formel-1-Pilot Sebastian Vettel denkt noch immer an den verpassten WM-Titel von 2009.

(Foto: dpa)

Vor dem viertletzten Saisonrennen liegt Vettel, der inzwischen bei Zürich in der Schweiz wohnt, mit 181 Punkten in der WM-Wertung auf Platz vier hinter McLaren-Fahrer Lewis Hamilton (182 Punkte), Ferrari-Pilot Fernando Alonso (191) und seinem Teamkollegen, dem Australier Mark Webber, der bislang 202 Zähler gesammelt hat.

SZ: Bei Ihren öffentlichen Auftritten sind oft zwei verschiedene Sebastian Vettels zu sehen: meist ein ewig lächelnder, dann aber auch ein verbissener, der sich über keinen anderen Platz als den ersten zu freuen scheint. Welcher ist der echte?

Vettel: Die Charakterisierung ist nicht falsch, aber sie ist auch nur zum Teil richtig. Vielleicht sollte ich meinen Helm länger aufbehalten, damit die beiden Seiten nicht mehr so auffallen. Ob ich Spaß habe an der Formel 1? Ja. Viel Spaß sogar. Deshalb habe ich auch Grund genug zu lächeln. Aber bin ich hier, um Spaß zu haben? Nein. Natürlich habe ich Ziele, und für die arbeite ich hart. Ich war im vergangenen Jahr vor dem verlorenen WM-Titel voller Überzeugung, dass ich, dass wir alles haben, um den Titel zu gewinnen. Dann wurde ich Fünfter in Brasilien, und ich hatte keine Chance mehr. Das ist ein Moment, an dem man vom Glauben abfällt. Ich war nicht wütend, nur enttäuscht. Denn ich wusste, dass es zumindest in dieser Saison nichts mehr wird mit meinem Ziel. Damit muss man erst mal klarkommen. Für mich war das eine ganz neue Situation in meiner Karriere.

SZ: Werden Sie künftig sparsamer mit Gefühlsausbrüchen umgehen?

Vettel: Ich finde es völlig normal, seine wahren Emotionen zu zeigen. Ich bin keiner, der seine Gefühle versteckt. So bin ich auch nicht erzogen worden. Ich bin Rennfahrer, kein Schauspieler. Wer sich verstellt, seine Gefühle nicht zulässt, der wird auf Sicht keinen Erfolg haben.

SZ: Ihre Gefühlslage, was den Sport betrifft, dürfte in dieser Saison gemischt sein: Sie könnten in der WM schon weit führen, wenn es nicht so viele Aufs und Abs gegeben hätte. Hat Ihr Team Red Bull aus dem letzten Jahr nichts gelernt?

Vettel: Natürlich habe ich Erfahrungen gesammelt. Wer in der Formel 1 nicht dazulernen will, der erreicht sein Limit früh und macht dann keinen Schritt mehr nach vorn. Das letzte Jahr hat uns geholfen, in dieser Saison manches anders anzugehen. Wir haben zwar nicht das Maximum an Punkten geholt, aber für meinen Begriff haben wir nicht viel verschenkt. Jedes einzelne Rennen hat seine eigene Geschichte. Manchmal muss man in diesem Geschäft akzeptieren, dass die Dinge nicht in die Richtung laufen, die man gerne hätte. Hauptsache, das stört einen nicht auf dem eigenen Weg. Für mich gibt es ohnehin nur eine Möglichkeit: Tu, was du tun musst!

SZ: Glauben Sie an das berühmte Rennpech?

Vettel: Wenn man glaubt, einen Fluch mit sich herumzutragen, dann bedeutet das doch, dass der Kopf schon voller Gedanken ist. Dann bekommt man es vielleicht mit einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu tun.

SZ: Ihr letzter Sieg ist mittlerweile drei Monate her, dazwischen gab es ein paar Rückschläge - Durchfahrtstrafen, Kollisionen. Wie verdrängen Sie das?

Vettel: Wenn man einen Fehler gemacht hat, darf man sich beim nächsten Rennen nicht pausenlos einreden: bloß kein Fehler, bloß kein Fehler, bloß kein Fehler. Sonst macht man mit ziemlicher Sicherheit nur noch mehr Fehler. Ich versuche, die Dinge nicht komplizierter zu machen, als sie sind und einen klaren Kopf zu behalten. In der Formel 1 kommt es zwar sehr auf die Technik und das Fahrtalent an, aber am Ende zählt, was im Kopf passiert. Man muss sich auf seinen Instinkt verlassen können, mit den Waffen kämpfen, die man hat, und nicht das große Bild aus den Augen verlieren.

Lesen Sie weiter, wie Sebastian Vettel mit Druck umgeht und wie er sich auf das knappe WM-Finale vorbereitet.

"Das Geheimnis ist, möglichst einfach zu denken"

SZ: Woher nehmen Sie die Energie?

Vettel: Ich bin auf der Strecke ein Egoist, möchte die Dinge möglichst auf meine Art erledigen. Den Kampfgeist bekommt man automatisch mit. Egal, was ich mache, ich möchte immer Erster sein. Auch wenn ich mit anderen zum Joggen verabredet bin. Ich will den anderen schlagen, um bestätigt zu bekommen, dass ich mehr getan habe als er. Allerdings muss man aufpassen, dass es nicht zu extrem wird, sonst schadet dieser Ehrgeiz einem selbst. Aber das generelle Extra an Willen braucht man. Nur dabei zu sein in der Formel 1, würde mir keinen Spaß machen.

SZ: Wie gehen Sie mit einer zugespitzten Situation wie in der laufenden WM um, wie blocken Sie den Druck ab?

Vettel: Es gibt da keinen Mehrstufenplan. Die eigene Vorgehensweise entwickelt sich aus der Erfahrung heraus. Man muss sich überlegen, in was man seine Energie steckt. Nochmal: Das Geheimnis in der Formel 1 ist, möglichst einfach zu denken. Und herauszufinden, was für einen selbst am besten funktioniert. Für mich sind das ein paar Menschen, die mir vertrauen, egal welches Resultat ich bringe. Sie sind immer bei mir.

SZ: Die Formel 1 erlebt gerade ein Rechenschieber-Finale. Wie gut sind Sie in dieser Art Mathematik?

Vettel: Es gibt einige Fahrer, die wissen auch im Rennen nach jeder Kurve, was ihre aktuelle Position für den Punktestand bedeutet. Aber es funktioniert genauso gut, wenn man nicht daran denkt. Ich kenne natürlich die Tabelle, weil die Leute sie mir ja ständig vorrechnen. Aber ich betreibe keine eigenen Hochrechnungen. Ich will das Optimum aus den letzten vier Rennen herausholen, damit ich weiter eine Chance habe und am Ende den Titel gewinne. Dazu darf man nicht übertreiben und nicht über zu viele Faktoren nachdenken. Ich konzentriere mich lieber darauf, mein Auto perfekt auf meine Bedürfnisse abzustimmen.

SZ: Wie hat sich Ihr Leben nach 58 Formel-1-Rennen verändert?

Vettel: Sich unerkannt in Deutschland zu bewegen, ist nicht mehr ganz so einfach. Manche Situationen muss ich einfach vermeiden. Aber ich sage mir nicht ständig, dass ich jetzt berühmt bin. Ich bin ein normaler Junge geblieben, und ich höre immer noch die gleiche Musik wie vor ein paar Jahren. Zugegeben: Meine Lieblingsgruppe, die Beatles, hat auch nicht so viel Neues auf den Markt gebracht seitdem...

SZ: Bevor Sie 2009 den Großen Preis von Suzuka gewonnen haben, stöberten Sie stundenlang in Tokio nach alten Langspielplatten. Was hat es mit dieser Vorliebe auf sich?

Vettel: Vinyl hat mehr Charakter.

SZ: Welche Musik haben Sie auf dem iPod, bevor Sie ins Cockpit steigen?

Vettel: Auf keinen Fall etwas Romantisches, das würde einen doch langsamer machen. Möglichst auch kein Gesang, eher etwas Melodisches. Musik, die mich in die richtige Stimmung bringt und die meiner Konzentration hilft.

SZ: Ihr aktueller Favorit?

Vettel: Da gibt es viele, nicht nur die Beatles. Aber auf einen bestimmten Titel will ich mich nicht festlegen.

SZ: Wie wäre es mit: The winner takes it all?

Vettel: Vielleicht am Jahresende.

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