Süddeutsche Zeitung

Sebastian Vettel:Der archaische Rammbock wird zart getätschelt

Ordnungswidrig oder gemeingefährlich? Sebastian Vettel kommt nach seinem Rempler gegen Hamilton straffrei davon. Vor allem, weil die Fia keine andere Wahl hat.

Kommentar von René Hofmann

Richtig lustig wird die Begründung des Freispruchs für Sebastian Vettel am Ende des fünften Absatzes. Dem Formel-1-Fahrer drohen wegen seines absichtlichen Rammstoßes gegen seinen Rivalen Lewis Hamilton beim Rennen am 25. Juni in Baku keine weitergehenden Sanktionen. Wegen des Vorfalls, so teilte der Automobilweltverband Fia am Montagabend mit, habe Jean Todt, der Präsident des Dachverbandes, aber angeordnet, dass Vettel bis zum Ende des Jahres nicht mehr als Werbefigur für Sicherheitskampagnen eingesetzt werden darf. Das klingt erst einmal logisch.

Möglicherweise hat die Autofahrervereinigung da allerdings ein Eigentor vorbereitet: Wird Vettel im Spätherbst Weltmeister, wird das einen grandiosen Wirbel entfachen. Es wäre sein erster Triumph mit dem mythenumrankten Rennstall Ferrari und sein fünfter insgesamt; auf mehr Titel kommt lediglich Michael Schumacher. Die Fia hätte ihr schillerndes Aushängeschild dann selbst vom Haken genommen.

In Aserbaidschan war Vettel seinem Titelrivalen Lewis Hamilton bei gemäßigter Fahrt in die Seite gedonnert, weil er den Eindruck hatte, der Mercedes-Mann trödele absichtlich hinter dem Safety Car. Wirklich gefährlich war die Aktion nicht. Aber sie barg eine hohe Symbolkraft: Sie stand für das unbeherrschte, archaische Verhalten, das viele im Straßenverkehr allzu oft ausleben.

Die Kommissare an der Strecke hatten Vettel dafür eine Zehn-Sekunden-Strafe aufgebrummt und ihm ein Knöllchen überreicht. Bei diesem Strafmaß bleibt es nun. Lediglich ein paar Lehrauftritte in Nachwuchsserien und bei einem Seminar für Rennkommissare muss Vettel noch zusätzlich ableisten - weil er spät eine öffentliche Entschuldigung nachreichte und einräumte: "In der Hitze des Gefechts habe ich überreagiert."

Bruch mit der Folklore

Das milde Urteil offenbart das Dilemma, in dem sich Sportverbände häufig befinden. Weil es zur Folklore des Sports gehört, dass die Protagonisten als Vorbilder zu fungieren haben, müssten sie eigentlich rigoros bestraft werden, wenn sie sich daneben benehmen. Andererseits verkauft sich der Sport nun eben auch als Show. Und der tut es gut, wenn die Stars nicht zu perfekt agieren, sondern menschliche Regungen zeigen; ab und zu gerne auch abgründige.

Dass Vettel wegen des Rambo-Remplers nicht entschlossen auf die Finger geklopft wurde, sondern dass die Verantwortlichen ihm seine Rennfahrer-Hände eher zärtlich tätschelten, mögen Anhänger von Lewis Hamilton und puristische Exegeten der Straßenverkehrsordnung beklagen. Eine Überraschung aber ist es nicht. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen.

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SZ vom 05.07.2017/dti
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