Süddeutsche Zeitung

Sebastian Kehl im Interview:"Der Zusammenhalt war früher größer"

  • Nach dem Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg beendet der Dortmunder Kapitän Sebastian Kehl seine Laufbahn.
  • Ein Gespräch über 13 Jahre beim BVB, in denen er fast die Insolvenz des Klubs, dann den grandiosen Aufschwung mit Trainer Jürgen Klopp und am Ende doch noch Abstiegsangst erlebte

Von Freddie Röckenhaus

Nach dem DFB-Pokalfinale am Samstagabend zwischen Borussia Dortmund und dem VfL Wolfsburg wird der langjährige Dortmunder Mannschaftskapitän Sebastian Kehl seine Karriere beenden. Die vergangenen 13 Jahre hat der Mittelfeldspieler beim BVB verbracht, dem Verein in finanziellen Krisenzeiten die Treue gehalten und seinen Aufstieg bis ins Champions-League-Finale erlebt. "Ich bin stolz, so eine Geschichte mitgeschrieben zu haben", sagt Kehl im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (Wochenendausgabe).

Zum Ende seiner Karriere musste Kehl mit der Borussia in der vergangenen Bundesligaspielzeit den Abstieg in die zweite Liga abwenden. Im Januar 2015 war die Mannschaft Tabellenletzter. "Das war eine unglaubliche Situation", erinnert sich Kehl, 35, der in seiner letzten Saison trotz jüngerer Konkurrenz noch einmal 20 Spiele von Beginn an absolvierte. "Das hat viele von uns total getroffen. Vieles war ins Wanken geraten, was wir jahrelang aufgebaut hatten." Das Pokalfinale sei "ein Geschenk, nach so einer katastrophalen Hinrunde."

Auch dank seiner Hilfe schaffte es Dortmund in der Rückrunde noch auf Platz sieben und in den Europapokal. In Zukunft befürchtete Kehl allerdings, seinem Klub keine Hilfe mehr zu sein. Deshalb verzichtete er auf eine weitere Vertragsverlängerung. "Ich habe mir immer gewünscht, auf einem hohen Niveau aufzuhören, und nicht den letzten Euro noch rauszuquetschen, um nochmal zwanzig Spiele zu machen, obwohl es nicht mehr richtig geht", sagt er.

Kehl ist mit 13 Jahren ohne Vereinswechsel eine Ausnahmeerscheinung im schnelllebigen Fußballgeschäft. Er würde zwar keine Kollegen verurteilen, die des Geldes wegen oder dem Wunsch nach Titeln folgend den Klub wechseln: "Das gehört zum Geschäft dazu." Kehl erklärt jedoch, warum er selbst Offerten anderer Vereine stets abgelehnt hat: "Ich wollte auch die schwierigen Phasen mit dem Verein durchstehen. Mein Weg war ein anderer." Und der habe sich gelohnt: "Mir ist es gelungen, hier ein Märchen mitzuschreiben."

Das Märchen begann 2002 mit dem Gewinn der Meisterschaft in seinem ersten Jahr bei der Borussia. Damals sei Fußball noch "eine andere Sportart" gewesen, erklärt Kehl: "Da waren die Innenverteidiger noch Innenverteidiger. Stürmer blieben vorne stehen." Doch nicht nur auf dem Platz hat sich das Spiel verändert, Fußballer sind längst nicht mehr nur noch Sportler, sondern auch Marketing-Objekte. Kehl, als Mitglied einer älteren Spielergeneration selbst nur bedingt diesem Trend gefolgt, sieht darin eine Bedrohung: "Der Zusammenhalt war früher größer. Ich habe das Gefühl, dass es eine Tendenz zu mehr Egoismus gibt. Weil jeder sich mehr positionieren und vermarkten muss."

Mit Kehls Karriere endet am Samstag auch das Schaffen von Trainer Jürgen Klopp beim BVB. Zwischen ihm und Klopp habe es Reibungspunkte gegeben, "wie sich das zwischen Trainer und Kapitän gehört." Jedoch sei das Verhältnis kein schlechtes gewesen, obwohl Kehl niemals so euphorisch über Klopps Arbeit gesprochen hat, wie seine Mitspieler: "Ich bin ein schrecklicher Realist", erklärt er: "Das ist meine Art, in Erfolgswellen nicht unterzugehen und in Niederlagen nicht zu sterben."

Eine letzte Erfolgswelle würde er aber gerne noch erleben, mit einem Sieg gegen Wolfsburg am Samstag. "Ich höre mit einem Finale auf", sagt Kehl: "Das klingt wie im Drehbuch."

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