Sebastian Dietz beim Istaf in Berlin:Raus aus dem Schatten

Sebastian Dietz beim Istaf in Berlin: Goldener Moment: Sebastian Dietz in London 2012.

Goldener Moment: Sebastian Dietz in London 2012.

(Foto: imago)

Er wird nicht gewinnen - darum geht es auch nicht. Denn er will eine Botschaft in die Welt tragen. Als erster Sportler mit einer Behinderung startet Diskuswerfer Sebastian Dietz beim traditionsreichsten deutschen Leichtathletik-Meeting - und tritt dort gegen Robert Harting an.

Von Victor Fritzen

Eigentlich wird er alles wie immer machen. Ein paar Tage vorher anreisen. Sich aufwärmen und konzentrieren. Kurz vor dem Wettkampf abschalten. Und dann den Diskus rausknallen. So wie in London 2012, als er Gold gewann. Nur die Konkurrenten sind diesmal andere. Sie haben kein Handicap.

Erstmals in der 92-jährigen Historie ist ein Sportler mit Behinderung beim Internationalen Stadionfest (Istaf) in Berlin dabei. Sebastian Dietz, Goldgewinner bei den Paralympischen Sommerspielen von London, startet Seite an Seite mit Robert Harting - ebenso Olympiasieger 2012. Mehr als 50.000 Zuschauer im Stadion werden zuschauen, Millionen vor dem Fernseher.

Schon im Vorfeld ist klar, dass der teilweise gelähmte Diskuswerfer den Wurfring nicht als Sieger verlassen wird. Darum geht es aber auch nicht. Vielmehr will der 28-Jährige am Ende des Tages die einmalige Möglichkeit genutzt haben, eine Botschaft in die Welt zu tragen. Dass Sportler mit einem Handicap auch Höchstleistungen bringen. Dass sie genauso leidenschaftlich ihren Sport ausüben wie Nichtbehinderte. Und dass es viel mehr Gemeinsamkeiten gibt als man vielleicht meint. Raus aus dem medialen Schattendasein, rein ins Rampenlicht.

Vergleiche zwischen Harting und Dietz verbieten sich im ersten Moment, zu unterschiedlich sind die beiden. Der eine ein Bär mit einer stattlichen Statur, zwei Meter groß, 125 Kilogramm schwer. Der andere im Vergleich dazu ein Schlacks. 1,85 Meter groß, gerade einmal um die 80 Kilogramm schwer. Harting dreht sich bei seinen Würfen mehrfach um die eigene Achse. Dietz hat aufgrund einer halbseitigen Lähmung nur einen eingeschränkten Bewegungsradius und muss aus dem Stand werfen.

Und doch sind Gemeinsamkeiten unverkennbar: Beide haben in London Gold gewonnen - Harting mit 68,27 Metern, Dietz mit 38,54 Metern. Beide sind vor kurzem Weltmeister geworden. Beide sind authentisch und so ehrlich, dass sie mitunter anecken.

"London war unvergesslich, es war ein Traum, dabei zu sein", schwärmt Dietz rückblickend. ARD und ZDF übertrugen im Sommer 65 Stunden live - so viel wie noch nie. Der Sport für Menschen mit Handicap schien seinen Platz in der modernen Leistungsgesellschaft gefunden zu haben. Plötzlich wurden sie als Vorbilder gefeiert.

Wenn das Fernsehen nicht sendet

Doch dann die WM im Juni dieses Jahres in Lyon - und plötzlich wurde es still. "Ich bin einfach unglaublich enttäuscht darüber, wie nach London mit uns und insbesondere der WM in Lyon umgegangen worden ist." Die beachtliche deutsche Bilanz mit 28 Medaillen und drei Weltrekorden fand kaum eine Beachtung. Etliche kamen auf Sebastian Dietz zu und fragten, wo sie die WM schauen könnten.

Etliche musste er enttäuschen. "Wo waren denn ARD, ZDF oder die anderen Fernsehsender, die uns in London noch so gefeiert haben? Es zeigt doch, dass einige es immer noch nicht verstanden haben", ärgert sich Dietz. Als umso wichtiger erachtet er seinen Auftritt am Sonntag, der im ZDF übertragen wird. Dort kann er sich wieder zeigen. Dort kann er den Behindertensport wieder präsentieren. "Ansonsten wird's wieder dunkel."

Als junger Mann war er auf dem besten Weg zum Profitorwart. Kaiserslautern habe ihn unter anderem verpflichten wollen. Doch ein Unfall veränderte seine Pläne. Februar 2004, Sebastian Dietz, damals 19 Jahre jung, war auf dem Weg zur Arbeit, als er die Kontrolle über sein Auto verlor und in ein entgegenkommendes Fahrzeug knallte. Dessen Fahrer starb - ausgerechnet ein Bekannter der Familie. Sebastian Dietz wurde schwer verletzt: Gebrochene und angebrochene Halswirbel, Spinalkanalverengung sowie Schulterblätter und Rippen gebrochen.

Beide Lungenflügel waren zusammengefallen. Diagnose: inkomplette Querschnittslähmung. Er könne froh sein, wenn er überhaupt wieder laufen könne, prognostizierten die Ärzte. Doch Dietz profitierte von seiner Fitness und seinem Ehrgeiz und kam wieder auf die Beine. Zwar ist er an mehreren Gliedmaßen gelähmt, doch der Rollstuhl ist ihm erspart geblieben. Heute ist er einer der besten Behindertensportler Deutschlands.

Resonanz auf seinen Erfolg, insbesondere den in London, bekommt er noch oft. "Fakt ist aber auch, dass sich im Sponsoring nur etwas bewegt, wenn ich etwas dafür tue." Sprich: Er muss auf die Geldgeber zugehen und die Hand aufhalten. Robert Harting musste das nicht, er ist nicht erst seit vergangenem Jahr ein sehr gut bezahlter Leichtathlet. Sebastian Dietz bekommt Sporthilfe. Nicht einmal seine Ausrüstung und Kleidung wird gesponsert. Sein Trikot hat er im Übrigen noch nie zerrissen. "Das mache ich erst, wenn zu einer Deutschen Meisterschaft 15.000 Zuschauer kommen."

Das außergewöhnliche Startrecht in Berlin ist die Anerkennung für das Geleistete im vergangenen Sommer. Istaf-Chef Gerhard Janetzky war in London dabei und derart begeistert, dass er den Ostwestfalen spontan einlud. Sorge, dass er deswegen belächelt oder gar vorgeführt wird, hat Sebastian Dietz nicht: "Es geht in erster Linie darum, ein Zeichen für den Behindertensport und die Inklusion zu setzen. Mir geht es um die Botschaft, auf die möglichst viele aufmerksam werden sollen." Damit es nicht wieder dunkel wird.

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