Kleine, weiße Tafeln wurden den olympischen Golfspielern am Anfang der Woche in die Hand gedrückt, damit sie sich kurz der Welt vorstellen konnten. Wie bei der Einschulung wirkte das, fünf Kategorien sollten die Spieler auf den Tafeln ausfüllen, mit ihrem Spitznamen, ihrem Land, der Zahl ihrer Olympia-Teilnahmen, ihrem Lieblingsbewerb bei den Spielen und mit ihrem persönlichen Ziel für das Wochenende. Dressur, Basketball und Schwimmen wurden auf diesen Tafeln genannt, über eines herrschte weitgehende Einigkeit: Gold war das Ziel fürs Wochenende. Nur nicht bei einem.
Der Mann, der nach eigener Aussage den Spitznamen „Scheff“ trägt, schrieb, sein Ziel in Paris sei es, „Spaß zu haben“. Have fun, unter diesem Motto stand die erste Olympia-Teilnahme des US-Amerikaners Scottie Scheffler, der von Sporthalle zu Sporthalle tourte mit der Familie, um den Geist der Spiele kennenzulernen. Und schließlich dort endete, wo alle anderen stehen wollten: Am Sonntag um kurz nach 18 Uhr bestieg Scheffler das oberste Treppchen des schnell aufgebauten Podests am 18. Grün des Platzes in Le Golf National, bekam die Goldmedaille umgehängt und verstand in diesem Moment wohl endgültig, was es mit diesem olympischen Geist auf sich hat.

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Nach 24 Grand-Slam-Titeln gewinnt der Serbe mit 37 zum ersten Mal Olympiagold. Im Finale gegen Carlos Alcaraz entscheidet er einen Abnutzungskampf auf faszinierend hohem Niveau für sich – samt Wunderschlägen, wenn sie gefordert sind.
Was genau die Golfer von Olympischen Spielen halten sollen, das war in den vergangenen acht Jahren seit der Rückkehr ins Programm nach mehr als einhundert Jahren Pause nie ganz klar gewesen. Historie hat der Sport kaum bei Olympia, finanziell ist es ein absurdes Schauspiel, wenn jemand wie Scheffler vom US-Verband 38 000 US-Dollar für seinen Olympiasieg bekommt, nachdem er in der regulären Saison bereits über 30 Millionen US-Dollar Preisgeld verdient hat. Vielleicht war es daher genau die richtige Herangehensweise, nach dem Spaß im Sport zu suchen und gleichzeitig nach der tieferen Bedeutung des Wettbewerbs – die Scheffler genauso wie der Rest des Feldes unweit von Schloss Versailles fand.
Teilnehmer einer Sportart, in der ein zweiter und dritter Platz sonst gar nichts zählt, genießen den olympischen Modus
Das olympische Golfturnier der Männer 2024 wird als markantes Ereignis in die Geschichte dieser Sportart eingehen, die gerne von ihrem puristischen Sportsgeist schwärmt. Der aber war in den vergangenen Jahren verloren gegangen, in einem schmutzigen Schaukampf der Milliarden-Wettbewerber aus Saudi-Arabien und den USA: Emotional waren die Debatten, zu selten nur der Sport. Oder wie es Rory McIlroy sagte, in Gedanken an den Ryder Cup und Olympia: „Ich denke, wenn man bedenkt, wie beschissen die Golfwelt im Moment ist – und wenn man an die beiden Turniere denkt, die vielleicht die reinste Form des Wettbewerbs in unserem Sport sind, dann spielen wir dort nicht um Geld.“
Wie wohltuend waren die Bilder des Schlusstags, der zu einem Festival der besten Spieler des Planeten geriet. Man konnte Herzen brechen sehen, beim Nordiren Rory McIlroy und beim Spanier Jon Rahm etwa, die tragisch knapp im Rennen um die Medaillen scheiterten, obwohl gerade ihnen die Identifikation mit ihren Nationen so besonders anzumerken ist. Man konnte Träume platzen sehen, beim niedergeschlagenen Südkoreaner Tom Kim, der eine Medaille gebraucht hätte, um vom verpflichtenden zweijährigen Militärdienst seines Landes ausgenommen zu werden, und nur Achter wurde. Man konnte die frenetisch bejubelte späte Aufholjagd eines Franzosen sehen, auch Victor Perez wäre fast noch auf das Treppchen gehüpft, das die deutschen Starter Matthias Schmid und Stephan Jäger als geteilte 26. deutlich verpassten.
Und man konnte schließlich erkennen, wie Teilnehmer einer Sportart, in der ein zweiter und dritter Platz sonst gar nichts zählen, den olympischen Modus genießen. Der Brite Tommy Fleetwood brauchte eine halbe Minute, bis er in der Niederlage realisierte, auch ein Gewinner zu sein, dasselbe galt für den Japaner Hideki Matsuyama, der in Tokio noch knapp gescheitert war und nun Bronze gewann. Und auch Scottie Scheffler, der nur Spaß haben wollte und dann mit einer genialen Schlussrunde zum großen Sieger wurde, erkannte ebenfalls noch die besondere Schwere einer Goldmedaille. Stellvertretend für einen ganzen Sport und all seine abgebrühten Sportmillionäre wirkte seine Reaktion, die Olympia mal als spaßige Draufgabe betrachteten und nun die Einzigartigkeit dieser Veranstaltung erkannten.
Zwei grüne Jackets hat der 28-Jährige bereits beim Masters gewonnen, dazu unzählige andere Titel in seiner Karriere, weshalb ihm inzwischen eine gewisse Routine innewohnt bei Ehrungen. Aber bei den finalen Klängen der amerikanischen Hymne trippelte Scheffler, die Hand auf der Brust neben der Goldmedaille, nervös auf dem Podest herum. Er blickte nach unten – und begann dann heftig zu schluchzen, ob der Größe dieses Moments.