Rekord-Schwimmer Phelps: In die Ewigkeit gekrault

So viel Edelmetall holte noch kein Athlet: Michael Phelps lässt Silber über 200 Meter Schmetterling den Olympiasieg mit der 4x200-Meter-Freistil-Staffel folgen. Dass der amerikanische Schwimmer damit zum erfolgreichsten Olympia-Teilnehmer aller Zeiten avanciert, liegt auch an seinem besonderen Charakter. Wie er mit seinen vielen Titeln umgeht, verdient Anerkennung.

Jürgen Schmieder, London

Vor dem wohl größten Moment seiner Karriere entschuldigte sich Michael Phelps bei seinen Kollegen. Er stand gemeinsam mir Conor Dwyan, Ricky Berens und Ryan Lochte am Rand des Pools im Aquatic Centre und sagte: "Sorry Jungs, ich werde bei der Nationalhymne wohl nicht mitsingen können. In meinem Kopf schwirren gerade zu viele Emotionen herum, ich werde kein Wort herausbringen."

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Wieder Gold, wieder Phelps: Der amerikanische Schwimmer schreibt in London Geschichte.

(Foto: AFP)

Manchmal sagt der Umgang eines Sportlers mit dem Erfolg mehr über ihn aus als der Erfolg selbst. Für alle, die es nicht mitbekommen haben: Michael Phelps bekam bei dieser Zeremonie eine Goldmedaille überreicht, es war seine 19. Medaille bei Olympischen Spielen, er ist damit der erfolgreichste Sportler der olympischen Geschichte - und der denkt erst einmal daran, dass es ihm seine Kollegen übel nehmen könnten, wenn er aus lauter Ergriffenheit nicht mit ihnen singt.

"Mein Ziel war es, etwas zu erreichen, was zuvor noch niemand erreicht hat", sagte Phelps später, "ich habe immer gesagt: Alles ist möglich! Es gab nichts, das mich hätte aufhalten können. Ich wollte einfach der beste Michael Phelps sein. Es war bis hierhin eine unglaubliche Reise." Es waren - gemessen an seinen Ansprüchen - bislang nicht die Spiele des Michael Phelps. Über 400 Meter Lagen siegte Landsmann Ryan Lochte überlegen, Phelps wurde nur Vierter. Mit der Staffel über 4 x 100 Meter Freistil schaffte er Silber.

Dann kam dieser Dienstagabend, Phelps ging zunächst über 200 Meter Schmetterling an den Start. Wie immer kam er mit überdimensionalen Kopfhörern in die Halle, wie immer stellte er den Startblock ein, wie immer wischte er ihn mit dem Handtuch ab. Wer Phelps noch als Teilzeit-Student an der University of Michigan erlebte, der konnte damals schon beobachten, wie wichtig ihm Rituale waren.

Dann schwamm er los. Es sah locker aus, was er da machte. Er führte nach 50 Metern, nach 100 Metern, nach 150 Metern. Doch dann wurde er langsamer, auf den letzten 25 Metern hatte es den Anschein, als würde ihn etwas nach unten ziehen. Er wirkte verkrampft, dazu verpasste er den Anschlag und schwamm nur die fünftbeste Zeit auf den letzten 50 Metern. Das reichte insgesamt nur für den zweiten Rang, der Südafrikaner Chad le Clos hatte sich noch vorbeigeschoben. Wieder "nur" Silber für Phelps, den Champion.

"Ich bin manchmal ein wenig faul, wenn es um den Anschlag geht", sagte Phelps später, "und ausgerechnet heute ist mir das auch passiert. Chad war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hat das ausgenutzt." Als der Hallensprecher brüllte, dass Phelps nun an Medaillen mit der sowjetischen Turnerin Larissa Latynina gleichgezogen hätte und damit schon der erfolgreichste Olympionike der Geschichte sei, da trottete Phelps mit hängendem Kopf aus der Halle. Nein, das war nicht das richtige Rennen, um Geschichte zu schreiben.

Das folgte etwa eine Stunde später bei den 4 x 200 Metern Freistil. "Ich habe nur gehofft, dass die Jungs einen Vorsprung rausschwimmen - einen großen Vorsprung", sagte Phelps. Das taten sie, der Held des Abends war der Schlussschwimmer: "Auf den letzten 25 Metern habe ich dann nur noch gelacht." Wohlgemerkt: Er schwamm nach Yannick Agnel trotz Lachens immer noch die zweitbeste Zeit aller Athleten im Wasser.

Der Beste

Wie soll man diese Leistung von Phelps nun einordnen? Soll man seine Medaillen aufzählen, damit jeder erkennt, was dieser Mensch da geleistet hat? Da wären bei den Spielen in Athen: sechs Mal Gold und zwei Mal Bronze. Bei den Spielen in Peking: acht Mal Gold. Und nun bislang in London: ein Mal Gold, zwei Mal Silber. Phelps hat also 15 Goldmedaillen, zwei Mal Silber und zwei Mal Bronze gewonnen. Dabei war die Staffel nicht die letzte Chance für Phelps, bei diesen Spielen Medaillen zu gewinnen.

"Deshalb muss ich auch gleich gehen, sorry", entschuldigte er sich dafür, dass er nicht allzu viele Fragen beantwortete, "ich hoffe, dass ich heute schlafen kann, weil ich ja morgen schon wieder schwimmen muss. Jetzt schnell zurück ins Dorf, etwas essen, in die Eiswanne und dann döse ich hoffentlich weg."

Soll man anderen die Einordnung überlassen? Mark Spitz, der selbst elf Medaillen gewonnen hat, sagte vor den Spielen: "Er ist der größte Athlet, den es bislang gegeben hat." IOC-Präsident Jacques Rogge sagte noch am Dienstagabend: "An Olympischen Spielen teilzunehmen ist ein Erfolg für jeden Athleten - eine Medaille zu gewinnen, macht einen zu einem Mitglied einer elitären Gruppe, aber Michael Phelps hat heute Abend mit seiner 19. Medaille olympische Geschichte geschrieben und ich verneige mich vor seiner einzigartigen Leistung."

Ryan Lochte schrieb nach dem Rennen auf seine Twitterseite: "Gratulation an Michael, dass er heute Abend erneut olympische Geschichte geschrieben hat. Es war mir eine Ehre, mit dir an diesem Rennen teilgenommen zu haben." Und Chad le Clos, der ihn zuvor bezwungen hatte, sagte: "Es ehrt mich, überhaupt neben ihm geschwommen zu sein. Ich habe jedes seiner Rennen auf meinem Laptop, manche in sieben verschiedenen Sprachen. Dass ich gegen ihn gewinnen durfte, ist ein unglaubliches Gefühl."

Vielleicht muss man ihm einen neuen Spitznamen geben - schon allein aus dem Grund, weil ihm "The Baltimor Bullet" und "Flying Fish" nicht wirklich gerecht werden. "The Greatest" ist natürlich schon an Muhammad Ali vergeben, weshalb eigentlich nur noch bleibt: der Beste. Nur würde Michael Phelps so einen Spitznamen niemals akzeptieren. Der Umgang eines Sportlers mit Erfolg sagt mehr über ihn aus als der Erfolg selbst.

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