Schwimmer Paul Biedermann:Alle Zweifel versenkt

Deutsche Meisterschaften im Schwimmen

Rein ins Becken: Paul Biedermann ist wieder da

(Foto: dpa)

Paul Biedermanns Weltrekord-Rennen im Schwimmen liegen schon lange zurück, eine Pause brachte ihn zusätzlich ins Grübeln. Jetzt zeigt er mit drei deutschen Meistertiteln, dass bei der EM im Sommer in Berlin wieder mit ihm zu rechnen ist.

Von Claudio Catuogno, Berlin

Fünf Jahre sind eine lange Zeit, im Leben eines Spitzensportlers sind sie sogar eine kleine Ewigkeit. Vor knapp fünf Jahren wurde Paul Biedermann zu einer Art nationaler Berühmtheit. Zwei Titel bei der WM 2009 in Rom, zwei Weltrekorde, Michael Phelps gedemütigt, den Papst besucht. Die Ereignisse überschlugen sich damals für den Schwimmer aus Halle an der Saale. Benedikt XVI. setzte sich sogar eine Schirmmütze auf, die Biedermann ihm überreicht hatte, an das ulkige Bild erinnern sich manche Leute bis heute.

Zwei Jahre sind auch keine ganz kurze Zeit im Leben eines Berufsschwimmers, der täglich im Chlorwasser seine Bahnen zieht. 3500 Trainingskilometer kommen in der Zeit schon mal zusammen. Vor knapp zwei Jahren, bei Olympia 2012 in London, hat Paul Biedermann seinen bisher letzten großen Wettkampf im 50-Meter-Becken bestritten.

Aber auch ein halbes Jahr kann sich hinziehen. So lange hat Biedermann eine Auszeit genommen, nachdem er 2013 wegen diverser Erkältungen auf die WM in Barcelona verzichten musste. Sechs Monate, in denen ihm einerseits etwas fehlte: das Schwimmen. Die ihm aber auch genug Abstand gaben, um jetzt gelassener auf den Betrieb zu schauen. Und, das auch: "Viel Zeit zum Zweifeln."

Was zweifelt man da so?

"Na ja", sagt Biedermann. Er ist jetzt wieder zurück, deutsche Meisterschaften in Berlin, er muss wieder vor jedem Gespräch mit den Medien die Mütze seines Sponsors aufsetzen, sein Brustkorb sieht wieder so ausmodelliert aus, als sei er von Michelangelo aus Marmor geformt. "Man fragt sich zum Beispiel: Wie alt bist du eigentlich?" Vielleicht zu alt für das alles?

Gegen Widerstände kämpft er jetzt freiwillig

Paul Biedermann ist erst 27. Trotzdem ist der Verweis auf sein Alter keine Koketterie. Chef-Bundestrainer Henning Lambertz, 43, der froh ist, den Frontmann des deutschen Schwimmens wieder im Team zu haben, sagt zwar: "Paul hat gezeigt, dass sich die anderen nach ihm strecken müssen und nicht umgekehrt."

Aber die anderen, die Paul Biedermann interessieren, heißen nun mal nicht Clemens Rapp, Christoph Fildebrandt oder Robin Backhaus. Sondern zum Beispiel Yannick Agnel. Der Olympiasieger und Weltmeister aus Frankreich ist 22. Bei den Europameisterschaften, die im Sommer wieder in Berlin stattfinden (13. bis 24. August), wird Biedermann es sein, der sich strecken muss. Aber die Zweifel sind jetzt erst mal weg.

Vorläufe als riesige Hürde

Sein erstes Rennen bei den deutschen Meisterschaften war der Vorlauf über 400 Meter Freistil am Freitagmorgen, danach sagte Biedermann: "Die Zeit war völlig okay, mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen." Er war angespannt, kurz angebunden. Selbst ein lächerlicher Vorlauf kann sich wie eine riesige Hürde anfühlen nach so einer Pause.

Sein zweites Rennen war dann das 400-Meter-Finale, 3:47,89 Minuten, Biedermann gewann mit fast einer Länge Vorsprung. Danach sagte er: "Ich bin einfach wahnsinnig froh, dass mir der Einstieg wieder so gut gelungen ist." Außer "wahnsinnig froh" war er auch noch "super glücklich" und diverses andere, jetzt sah und hörte man ihm die Erleichterung an.

Henning Lambertz sagte: "Klar, er war schon mal schneller." Das ist unzweifelhaft richtig. Biedermann hält den Weltrekord über diese Strecke: 3:40,07 Minuten. Aber erstens schwamm er den 2009 im (inzwischen verbotenen) Hightech-Anzug. Und zweitens weiß er gar nicht, ob er überhaupt noch ein 400-Meter-Schwimmer sein will.

Die Rennen drei und vier waren am Samstag Vorlauf und Finale über 100 Meter Freistil. Auf der Strecke ist Biedermann früher (zuletzt vor fünf Jahren) schon mal so im Vorbeischwimmen deutscher Meister geworden. Bei EM, WM oder Olympia ist er sie aber fast nie geschwommen, auch nicht in der Staffel.

Die 4x100-Meter-Freistil-Staffel und das Einzelrennen über 400 Meter finden meist am gleichen Tag statt. Beides kurz nacheinander kostet zu viel Kraft. Bei der DM gewann Biedermann nun auch die 100 Meter (48,31 Sekunden), in einem packenden Rennen knapp vor Steffen Deibler, 26, aus Hamburg (48,50). Die beiden führen jetzt erst mal die europäische Rangliste auf dieser Strecke an.

Für Biedermann ("ich merke, wie mit jedem Rennen eine Last abpurzelt") sind die 100 Meter inzwischen wichtiger als früher. Weil er sich nämlich weiterhin in erster Linie als 200-Meter-Schwimmer begreift - und sich die Art, wie die 200 Meter Freistil international geschwommen werden, in den letzten Jahren verändert hat.

Biedermanns Markenzeichen war früher, dass er entspannt mit dem Feld mitbummelte, ehe er sich mit einem beherzten Spurt nach vorn katapultierte. Das hat zuletzt immer seltener geklappt. Ihm fehlte auf den 200 Metern, auf denen er ebenfalls den Weltrekord hält, die Spritzigkeit des 100-Meter-Schwimmers. "Ich komme nicht umhin, mich der Weltspitze anzupassen", hat er erkannt. Die Weltspitze tut ihm umgekehrt leider nicht den Gefallen.

Es ist deshalb einiges neu im Trainingsalltag des Paul Biedermann. Nicht so neu wie etwa beim Konkurrenten Agnel, der sich in den USA Bob Bowman angeschlossen hat, dem Trainer und Mentor von Michael Phelps. Für Auslands-Abenteuer ist Biedermann zu gerne zu Hause. Bei Biedermann bedeutet "neu" eher, dass er inzwischen so viele Widerstände zu überwinden hat wie nie zuvor. Sein Trainer Frank Embacher zählt ein paar auf: "Gummiseil, Power-Rack, Strömungskanal." Dinge für Schwimmer, die mit Hilfe von Widerständen an ihrer Spritzigkeit arbeiten wollen.

Die Rennen fünf und sechs waren dann endlich jene über 200 Meter Freistil am Sonntag. Nach dem Finale stieg Biedermann aus dem Becken und sagte: "Ich hab' Schmerzen." Er lachte. 1:46,25 Minuten. Erst ein Europäer war in diesem Jahr schneller: Yannick Agnel. Aber Paul Biedermann fängt ja gerade erst wieder an.

Jetzt muss er sich noch mal beim "Überprüfungswettkampf" im Juli in Essen zeigen. Dann ist wieder Berlin dran, die EM. Ob er dort über 100 oder doch wieder über 400 Meter startet? Das ist noch offen. Lambertz hofft aber, "dass wir das dann im Konsens für Deutschland entscheiden".

Für Deutschland. Biedermann ist jetzt wieder mehr denn je der nationale Vorschwimmer Richtung EM im August. Noch dreieinhalb Monate Zeit zum Grübeln.

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