Schwimmer Florian Wellbrock:"Jetzt geht es erst richtig los"

European Championships 2018 - Schwimmen

Glänzende Aussicht: Florian Wellbrock hat nach seinem EM-Triumph über 1500 Meter Freistil schon wieder Kraft für eine Jubelpose.

(Foto: Ian Rutherford/dpa)
  • Aufgeregt bei der Anfahrt, aber abgeklärt im Becken schwimmt Florian Wellbrock in Glasgow zum EM-Titel.
  • Die Zeit ist famos. "Das war eines der besten, die es über 1500 Meter je gab", sagt sein Trainer Bernd Berkhahn.
  • Beide denken bereits an noch größere Erfolge.

Von Saskia Aleythe, Glasgow

Ein zweites Mal zur Uhr schauen musste Florian Wellbrock dieses Mal nicht. Zwei Bahnen neben ihm schwamm ja schon wieder Michailo Romantschuk, die beiden kennen sich, zum Beispiel vom Meeting Ende April in Stockholm. Da war Wellbrock nach 1500 Metern vor dem Ukrainer ins Ziel gekommen, in 14:40,69 Minuten. "Ich dachte erst, die Uhr ist kaputt", sagt Wellbrock, wenn er sich heute an dieses Rennen erinnert. Er blickte damals ein Mal zur Uhr, zwei Mal, aber es blieb dabei: Er hatte seine Bestzeit um 15 Sekunden unterboten, den 27 Jahre alten deutschen Rekord von Jörg Hofmann gebrochen und eine neue Weltjahresbestzeit geliefert. Nicht schlecht, wenn bald eine EM ansteht.

Als Florian Wellbrock nun bei besagter EM am Sonntagabend in Glasgow also das Finale über 1500 Meter Freistil absolviert hatte, schaute er nur ein Mal zum Bildschirm - dann zu seinem Trainer Bernd Berkhahn, der die Arme nach oben riss. Wellbrock hatte sich tatsächlich die Goldmedaille geschnappt in einem Rennen, über das Berkhahn später sagte: "Das war eines der besten, die es über 1500 Meter je gab". Wellbrock hatte sich erst mit Olympiasieger Gregorio Paltrinieri duelliert, später die Angriffe des WM-Zweiten Romantschuk pariert.

Nebenbei drang er in die nächste Dimension vor: 14:36,15 Minuten für 1500 Meter - nur drei andere Kollegen sind jemals schneller geschwommen, der Chinese Sun Yang, Paltrinieri und der schon zurückgetretene Australier Grant Hackett. Wellbrocks Goldmedaille trägt da schon mehr Aussagekraft in sich als andere EM-Weihen. "Das ist einfach großartig", sagte der neue Europameister, während sein Trainer schon wieder sein Ohrläppchen anzapfte, zur Laktatmessung.

Sein Sprung vom Startblock war optimal

1500 Meter in hohem Tempo zu kraulen, 15 Bahnen hin, 15 Bahnen zurück, das liegt nur Sportlern mit großem Willen. Wellbrock sagte zuletzt: "Für einen selber ist das unheimlich kurz." Er ist mit seinen 20 Jahren mitunter noch ziemlich nervös, "wenn es mit dem Bus zu Halle geht, wird es schon kribbeliger im Bauch", gestand er. Auch bei Olympia in Rio war er schon dabei, damals enttäuschte er unter der Last vieler neuer Eindrücke. Platz 32.

In Glasgow war das anders, "seine Aufregung hat er gut gemeistert", beobachte Berkhahn. Und dass Wellbrocks Freundin Sarah Köhler am Vortag über 800 Meter Freistil unter ihren Möglichkeiten geblieben war, verunsicherte ihn auch nicht. "Mir tat es für sie weh, dass es nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt hat," sagte er, "aber das Schöne im Einzelsport ist, dass jeder für sich selber verantwortlich ist. Deswegen wusste ich auch, dass bei mir alles möglich ist."

Sein Sprung vom Startblock war optimal, die Frequenzen der Armzüge passten. Und dann zeigte Wellbrock 30 Bahnen, die den Eindruck vermittelten: Wenn er ins Wasser taucht, dann gleitet er in eine Welt, in der seine Stärken die Aufregung verdrängen. Paltrinieri gab wie erwartet das Tempo vor, doch während Wellbrock nach den Wenden immer wieder beschleunigte, verlor Paltrinieri nach jedem Kontakt mit der Beckenwand an Geschwindigkeit und zog erst über die folgenden Meter wieder davon. Der Italiener hatte in der Nacht zuvor mit Fieber zu kämpfen gehabt, gilt aber auch in Normalform nicht als großer Wendekünstler. An ihm und Romantschuk sollte sich Wellbrock über die ersten 1000 Meter orientieren.

"Dann habe ich gemerkt, dass sie keine Attacke schwimmen", sagte Wellbrock, "das habe ich dann genutzt, um mich abzusetzen." Wobei das mit den 1000 Metern nicht ganz gelang. "Da hat er sich vielleicht verzählt", sagte Berkhahn und lachte - schon bei 800 Metern schwamm Wellbrock sichtlich schneller als geplant. "Da habe ich gedacht: Oh je, das kann hintenraus ganz schön eng werden", sagte Berkhahn, "wurde es dann ja auch."

Schon mit 16 Jahren zog er ins Sportinternat

Auf eine Körperlänge Vorsprung hatte Wellbrock Romantschuk zwischenzeitlich distanziert, Paltrinieri war schon zurückgefallen. Doch als es auf die letzten 150 Meter ging, musste Wellbrock noch einmal kämpfen. "Ich wusste, dass er noch mal zurückkommen würde", sagte er über den Ukrainer, "es tat hintenraus höllisch weh. Das ging mehr über den Kopf als über die Arme." 100 Meter vor dem Ziel betrug sein Vorsprung nur noch 0,37 Sekunden, am Ende wieder 0,73. Dem Willen sei Dank, den es wohl braucht, um 1500 Meter auf derart hohem Niveau zu schwimmen.

Dass er dafür einiges in Kauf nimmt, bewies er schon mit 16 Jahren; er zog vom Bremer Elternhaus ins Magdeburger Sportinternat, um bessere Trainingsmöglichkeiten zu haben. Wellbrock schwamm dort 70 Kilometer pro Woche, doppelt so viel wie zuvor, und begann auch noch eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann bei einer Wohnungsgenossenschaft - es ist nicht die klassische Sportlerkarriere mit Bundeswehr und Studium. "Das war für ihn schon recht schwierig unterzubringen, das Training vorneweg, dann wieder sechs Stunden Arbeit, dann wieder Training", sagte Berkhahn. Wellbrock spricht von "mehr Routine", die er mittlerweile im Tagesablauf hat, und die Routine hilft ihm.

Vielleicht ist es deshalb ganz gut, dass er bei der EM noch weiterschwimmen wird: Über 800 Meter kommt er noch zum Einsatz und im Freiwasser mit der Mixed-Staffel über 4x1,25 Kilometer, zusammen mit Sarah Köhler. Ihr kamen schon im Rennen von Wellbrock die Tränen: "Ich bin stolz auf ihn. Das hat er sich mehr als verdient", sagte sie. Dann gab es feste Umarmungen für Wellbrock, auch von Trainer Berkhahn, der noch die Richtung für die Zukunft und Olympia 2020 vorgab: "Er war der Jüngste im Finale und ist Erster geworden. Ich denke, er hat eine große Perspektive. Jetzt geht es erst richtig los."

Zur SZ-Startseite
Swimming - European Championships Glasgow 2018: Day Three

Schwimmen
:Deutsche Freistil-Mixed-Staffel gewinnt überraschend EM-Gold

Bei der internationalen Premiere des Wettbewerbs siegt das deutsche Quartett vor Russland und Großbritannien. Zuvor verpasste Sarah Köhler eine EM-Medaille nur knapp.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: