Schwimmer Märtens bei der Kurzbahn-WM:Verschnupft in Budapest

Lesezeit: 4 Min.

Lukas Märtens, hier auf dem Weg zu seinem Olympiagold über 400 Meter Freistil am 27. Juli in der La Défense Arena von Paris. (Foto: David J. Phillip/dpa)

Termine über Termine: Lukas Märtens hatte seit seinem Olympiasieg kaum einen Tag Ruhe – dem Wasser blieb der Schwimmer lange Zeit fern. Auch die Kurzbahn-WM verpasst der 22-Jährige nun kurzfristig wegen einer Erkältung. Dabei wäre sie ein guter Testlauf für 2025 gewesen.

Von Sebastian Winter

Man kann nicht unbedingt sagen, dass Lukas Märtens sich rar gemacht hätte nach seinem Olympiasieg über 400 Meter Freistil. Oft heißt es ja, die Sportlerinnen und Sportler, denen dieses Kunststück gelingt, fallen in ein fieses Loch. Eines, das wesentlich tiefer ist als der 50-Meter-Pool, in dem Märtens in der La Défense Arena von Paris das erste olympische Gold fürs deutsche Schwimmen seit 1988 geangelt hatte. Doch Märtens hatte gar keine Zeit, in ein solches Loch zu fallen. Denn für einen Neu-Promi wie ihn beginnt der Marathon erst nach dem wohl wichtigsten Rennen seiner Karriere.

Märtens besuchte noch während der Sommerspiele in der französischen Hauptstadt mit den Teamkollegen Isabel Gose, Angelina Köhler und Ole Braunschweig das Disneyland; er wurde beim Heimspiel seines 1. FC Magdeburg gegen Schalke 04 vom Stadionsprecher ausgerufen und geehrt, was ein Schwimmer erst mal schaffen muss; sein Name ziert inzwischen eine Bodenplatte des „Walk of Fame“, nicht in Hollywood, aber immerhin in Magdeburg, auf dem Breiten Weg, Höhe Goldschmiedebrücke. Den Publikumspreis „Goldene Henne“ hat Märtens, diesmal schick im Smoking, auch überreicht bekommen. Er hat die Hand von Verteidigungsminister Boris Pistorius geschüttelt, in Bundeswehruniform. Und nach allem, was man weiß, hat dieser eher zurückhaltende, höflich-charmante junge Mann die Ochsentour durch allerlei Talkshows und Podcasts auch ganz gut überstanden.

Nur im Wasser war Märtens viele Wochen lang nicht mehr. Jedenfalls nicht im Trainingspool.

Mitte Oktober erst ist er wieder in jenes Element gestiegen, in dem er zweieinhalb Monate zuvor über die 400 Meter Freistil schneller war als alle anderen. Regelmäßiges Training hat er im November begonnen, erst einmal sehr dosiert. Vor dem Hintergrund, dass an diesem Dienstag die Kurzbahn-Weltmeisterschaften in Budapest beginnen, hätte man nun auch von einem Sprung ins kalte Wasser sprechen können. „Es wird Zeit, dass er sich wieder ein bisschen orientiert, zurück ins ernsthafte Training findet. Das ist jetzt auch eine Maßnahme, um ihn wieder in die Spur zurückzubringen“, sagt Bundestrainer Bernd Berkhahn, der Märtens in Magdeburg anleitet.

Gold-Duo: Bundestrainer Bernd Berkhahn und Lukas Märtens. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

In Ungarns Hauptstadt wollte Märtens nur ein Einzelrennen schwimmen, auf seiner Goldstrecke von Paris, daneben noch ein bis zwei Staffeln. Doch nun muss er auch den sportlichen Winter-Höhepunkt krankheitsbedingt auslassen. „Ich hatte die ganze Nacht Halsschmerzen, musste husten und bin dann mit Gliederschmerzen aufgewacht“, wurde der Ausnahmeschwimmer vom Deutschen Schwimm-Verband am Dienstagmorgen zitiert – dem Tag des WM-Auftakts, an dem er mit der 4×100 Meter Freistilstaffel ins Becken steigen wollte. In Abstimmung mit Berkhahn und der Mannschaftsärztin trat Märtens die sofortige Heimreise an.

Budapest war ohnehin nur als kleine Übungsstrecke gedacht, als Warm-up für das wirklich wichtige nächste Großereignis nach Paris: die Schwimm-Weltmeisterschaften im Juli 2025 in Singapur. Dort misst sich dann wieder die gesamte Elite, anders als jetzt auf der 25-Meter-Bahn. Schon alleine daran sieht man, wie viel höher das Renommée und der Stellenwert des 50-Meter-Beckens sind.

Missbrauch im Schwimmen
:Aufarbeitungskommission fordert "gläserne Schwimmhalle"

Eineinhalb Jahre arbeitete eine externe Expertenkommission Missbrauchsfälle im deutschen Schwimmsport auf. Sie spricht von strukturellen Mängeln bei der Vorbeugung, Verfolgung und Sanktionierung sexualisierter Gewalt – und formuliert einen klaren Auftrag.

Von Sebastian Winter

Zumal Märtens bislang kaum Erfahrung auf der Kurzbahn hatte, bei seinem letzten WM-Einsatz dort 2021 in Abu Dhabi kam er noch nicht mal ins Finale. Und nicht nur wegen seines Trainingsrückstands dürfte Märtens gerade weit von seiner Topform entfernt sein, sondern auch wegen zweier Operationen, die nach dem Sommer unumgänglich waren. Eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung hatte ihn schon den Herbst 2023 verdorben, sie schränkte ihn auch während der Olympiavorbereitung ein. Anfang September wurde dann die Nasenscheidewand gerichtet und die Nasenmuschel verkleinert, wegen Problemen bei der Nachsorge musste Märtens nochmal unters Messer. Inwieweit nun auch Folgen der OPs in die WM-Absage hineinspielten, ist unklar.

Sein Trainer Berkhahn will nun über den Winter weiter versuchen, „ein System reinzubekommen, die Technik zu stabilisieren, Grundlagen aufzubauen“. Aber Märtens ist abseits des Fachlichen nun auch Teil eines spannenden Sozialexperiments. Denn in seiner Magdeburger Elite-Trainingsgruppe schwimmen nun in Märtens und Florian Wellbrock gleich zwei Olympiasieger. Und während der eine (Wellbrock) in Paris im Becken und Freiwasser ein Debakel erlebte, könnte der andere nun an die Spitze der Hierarchie rücken.

Für Florian Wellbrock geht es nach dem Olympia-Debakel langsam wieder aufwärts. (Foto: Oli Scarff/AFP)

Das Gute ist, dass sich der langjährige Platzhirsch Wellbrock und Märtens nicht mehr auf denselben Strecken begegnen, seit Märtens seinen Fokus auf die Mittelstrecken gerichtet hat. Zugleich gibt es im deutschen Schwimmen nun nicht mehr nur ein Gesicht bei den Männern, sondern mindestens zwei. Wellbrock hat sich beim Freiwasser-Weltcup in Saudi-Arabien im November mit Siegen über zehn Kilometer und in der Staffel zurückgemeldet nach der Schmach von Paris. Sein Coach Berkhahn berichtete im Pressegespräch vor der Kurzbahn-WM: „Das, was da passiert ist in Paris, das wird niemals abgehakt sein, das gehört jetzt einfach dazu zu seiner Karriere. Es geht darum, kann er das nutzen, um positive Energie daraus zu schöpfen.“ Immerhin sei Wellbrock nun „von Tag eins mit 110 Prozent eingestiegen“. Im Gegensatz zu Märtens, der nun weiterhin ausfällt.

Der aktuelle Olympiasieger berichtete kürzlich im Podcast seines Herzensvereins 1. FC Magdeburg davon, dass „kein Tag Ruhe“ gewesen sei seit dem 27. Juli, seit diesem für ihn traumhaften Sommer. Aber bei aller Hektik hat er die Tage nach seinem Goldrennen auch genossen, nicht nur in Disneyland. Er hat sich, wie er im Podcast berichtet, sogar ganz entgegen seinem Naturell ein Herz genommen und Zinédine Zidane, der gerade vor dem Deutschen Haus auftauchte, als Märtens Autogramme schrieb, um ein Selfie gebeten: „Ich fing sofort an zu zittern“, sagte Märtens über die Begegnung mit dem früheren Weltfußballer.

Die Termine werden nun nicht weniger. Sollte er sich rechtzeitig erholen, reist er am Sonntag nach Baden-Baden, zur nächsten Gala. Lukas Märtens gilt dort, daran ändert auch eine verpasste Kurzbahn-WM nichts, als einer der Favoriten bei der Wahl zum Sportler des Jahres. Und dann kann er endlich einen Schlussstrich ziehen unter das bislang aufregendste Jahr seines Lebens.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGold für Schwimmer Lukas Märtens
:Dimensionen, die ihn überwältigen

Zum ersten Mal seit Michael Groß gewinnt ein deutscher Schwimmer Gold im Becken bei Olympia: Der Magdeburger Lukas Märtens siegt über 400 Meter Freistil. Seine Geschichte ist auch die einer außergewöhnlichen Trainingsgruppe.

Von Sebastian Winter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: