Süddeutsche Zeitung

Schwimmen: Plastikanzüge:Weltrekord im Schlussverkauf

Beim Weltcup in Berlin führt sich das Schwimmen durch die Hightech-Anzüge mit Wucht ad absurdum. Nur Michael Phelps gibt den Schwimm-Hippie und droht der Konkurrenz.

T. Hummel

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In einer Woche beim letzten Schwimm-Weltcup des Jahres in Singapur dürfte man sich nicht wundern, wenn ein paar findige Vertreter (und die Asiaten sind findig!) vor der Schwimmhalle die neueste Rennmode marktschreierisch an den Sportler bringen wollten. Es ist schon eher verwunderlich, dass dies nicht schon an diesem Wochenende vor der Berliner Schwimm- und Sprunghalle am Europasportpark geschieht. Weltrekorde, Weltrekorde, meine Damen und Herren. Kommen Sie und kaufen Sie!

Das Schwimmen, stolzer olympischer Kernsport, führt sich in diesen letzten Tagen 2009 noch einmal mit Wucht ad absurdum. Durch die extrem engen, mit wasserabweisendem Material beschichteten Plastikanzüge (die ab 1. Januar verboten sind) stellten beim Berliner Kurzbahn-Weltcup die Sportler alleine am Samstag sechs Weltrekorde auf. Für jeden überweist der Schwimm-Weltverband Fina 10.000 Euro an den Schwimmer. Über 100 Bestmarken gab es in diesem Jahr. Die Gastgeber durften in Berlin die Helden Steffen Deibler und Paul Biedermann feiern mit ihren Zeiten über 50 Meter Schmetterling (21,80 Sekunden) und 400 Meter Freistil (3:32,77 Minuten).

Biedermann pulverisierte dabei einen Mythos. Die Marken der australischen Mittelstrecken-Ikone Grant Hackett hielten lange Zeit dem Ansturm der Anzugträger stand. Sein 400-Meter-Freistil- Weltrekord kam noch aus dem Badehosen-Jahr 2002, diesmal war der 23-jährige Deutsche aus Halle an der Saale um erschreckende 1,81 Sekunden schneller. Dabei konnte Biedermann wegen Verletzungen erst am Freitag seinen Start zusagen. Noch erschreckender war sein erster Kommentar nach dem Rennen: "Ich dachte, heute wird es richtig schlecht, heute geht gar nichts. Ich bin dicker geworden durch meine Pause, habe eine Dreiviertelstunde gebraucht, um in den Anzug zu kommen."

Ähnlich hatte Steffen Deibler reagiert, als er Ende Oktober beim Schwimmfest im Aachener Ostbad zum ersten Mal Weltrekord geschmetterlingt war. Der Startblock sei glitschig gewesen, die schnelle Zeit nicht geplant. Seine Trainerin Wolfram nannte den Weltrekod "eine Nebenwirkung".

Der Eindruck entsteht: Weil die Anzüge mit Wasser nichts zu tun haben wollen, platschen bisweilen dickliche, untrainierte Athleten ins Becken und schwimmen quasi widerstandslos in neue Sphären des Sports. Doch die Zeit verrinnt: Wer am 31. Dezember 23.59 Uhr nicht seinen Weltrekord eranzugt hat, der muss wieder an seinem Schwimmstil feilen.

Einer hat damit bereits begonnen, so scheint es: Michael Phelps, berühmtester Schwimmer aller Zeiten, hat dem Anzugrennen derzeit abgeschworen. Nachdem ihm sein Ausrüster bei den Olympischen Spielen in Peking noch einen schönen Vorteil verschafft hatte, der unter anderem zu acht Goldmedaillen führte, kehrt Phelps in Berlin den Retro-Schwimm-Hippie heraus: Er tritt mit einer Stoff-Badehose an und sagt: "Das werde ich den Rest meiner Karriere tragen. Besser, ich bereite mich schon mal darauf vor." Bei den Worten krault er sich den Vollbart und wirkt wie ein Mitglied der Kommune eins.

In Berlin schwamm der Amerikaner über 200 Meter Schmetterling auf Platz fünf, beim Weltcup in Stockholm hatte er über 100 Meter Freistil sogar das Finale verpasst. Ohne Form, ohne Rasierzeug und ohne Plastikanzug geht eben auch beim 24-Jährigen aus Baltimore nichts.

Aber wer diesen Phelps und seine amerikanischen Marketing-Fachleute unterschätzt, der wird bald wieder hinterherschwimmen. Am Rande der Berliner Rennen sagte er: Die Techniker seines Ausrüsters arbeiteten bereits an einer neuen Hose, die dem Reglement entspreche und bestimmt schnell sei. Hoffentlich haben die Fina-Funktionäre an Propeller aller Art oder Fischschuppen bis zur Haifisch-Haut gedacht.

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