Süddeutsche Zeitung

Schwimmen:Phelps erzwingt Zeichen der Unterwerfung

Lesezeit: 4 min

Michael Phelps gewinnt mit der Staffel und über 200 Meter Schmetterling die Goldmedaille. Ein Rivale treibt ihn zur Höchstleistung - so entsteht einer der legendärsten Momente dieser Spiele.

Von Jürgen Schmieder

Nach dem Rennen saß Michael Phelps auf diesem Seil mit den gelben Minibojen, das im Schwimmbecken die Bahnen voneinander trennt. Das Kinn hatte er nach vorne geschoben, die Augen aufs Publikum gerichtet, die Arme nach oben gestreckt. Es war weniger eine Jubelgeste als vielmehr eine Aufforderung an die Zuschauer, ihm doch bitteschön noch ein bisschen lauter zuzujubeln. Ihm, der gerade dieses Rennen über 200 Meter Schmetterling und damit seine 20. Goldmedaille bei Olympischen Spielen gewonnen hatte.

Da saß er also, und nacheinander kamen alle vorbeigeschwommen, die Phelps gerade besiegt hatte: Tamás Kenderesi (Ungarn), der Bronze geschafft hatte. Silbergewinner Masato Sakai (Japan). Lázló Cseh (Ungarn). Auch Chad le Clos (Südafrika). Diese Gratulationen waren jedoch weniger ein freundliches Abklatschen unter Kollegen oder Kontrahenten. Es sah vielmehr so aus wie bei der Show im Tierpark, wenn die Seehunde dem Trainer ihre Flosse als Zeichen der Unterwerfung präsentieren.

Phelps ist der erfolgreichste Olympia-Teilnehmer der Geschichte, das war bereits vor diesem Rennen bekannt gewesen - später gewann er noch eine Goldmedaille (seine 21.) mit der amerikanischen 4x200-Meter-Freistil-Staffel. Dieses Finale, es war jedoch das bedeutsamste Rennen für Phelps bei diesen Spielen, weil er doch vor allem wegen dieser Niederlage gegen le Clos bei den Olympischen Spielen 2012 in London zurückgekommen war und unbedingt seine dritte Goldmedaille gewinnen wollte. Zum anderen war dieses Rennen zum spektakulärsten und spannendsten dieser Spiele (ja, noch vor dem 100-Meter-Lauf der Männer in der Leichtathletik) ausgerufen worden. Wegen Phelps natürlich, aber auch wegen seiner starken Rivalen le Clos, Cseh und Sakai.

Rivalität zwischen Phelps und le Clos macht das Duell legendär

Zum Hype gehörte freilich auch dieses Zehn-Sekunden-Video, das Phelps und le Clos vor dem Halbfinale produziert hatten. Der Südafrikaner hampelte im Warteraum direkt vor Phelps herum, es war eine Mischung aus Schattenboxen und Tanzbewegungen bei der Love Parade. Phelps war davon so angetan wie von einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt oder Tanzbewegungen bei der Love Parade, er blickte mit über den Kopf gezogener Kapuze derart wütend, dass es ein Wunder war, dass le Clos nicht auf der Stelle zu Staub zerfiel. Natürlich ist das hundsgemein, zwei Rivalen vor einem Rennen in so einen Warteraum zu stecken - es sorgt aber eben auch für solche grandiose Bilder wie jene von Phelps und le Clos.

Das Spannende an Rivalitäten ist, dass die Kontrahenten meist nicht persönliche Abneigung antreibt. Die entsteht eher nebenbei, weil es nun mal schwer ist, den zu mögen, der einen besiegen will. Da treiben sich zwei Sportler gegenseitig an eine Grenze, die sie ohneeinander wohl nicht erreicht hätten. Unvergesslich wird ein Sportereignis nicht dadurch, wenn der eine den anderen vom Platz prügelt oder wenn er allen anderen davonschwimmt. Es wird legendär, wenn es ein Duell zwischen zwei ebenbürtigen Rivalen gibt. So ein Duell kann groß werden, manchmal größer als das Leben selbst. 1968 gab es den Slalom zwischen Karl Schranz und Jean-Claude Killy, 1988 den 100-Meter-Lauf zwischen Carl Lewis und Ben Johnson, acht Jahre später das Schwimmduell zwischen Alexander Popow und Gary Hall.

Es ist der Respekt voreinander, der Sportler antreibt. Das Wissen, dass der andere keinesfalls schwächer oder langsamer sein wird. Damit der eine schneller schwimmen kann als jemals ein Mensch zuvor, muss er sich darauf verlassen können, dass der andere ebenfalls schneller schwimmen wird als jemals ein Mensch zuvor.

Michael Phelps brauchte le Clos. Dringend. Sein Trainer Bob Bowman hatte immer wieder beklagt, dass Phelps zu emotionslos sei, dass er öfter an Partys oder seine Familie denke als an seine Technik im Becken, dass er zu freundlich zu Gegnern sei. Bei den Olympischen Spielen 2012 hatte le Clos (er hatte die 200 Meter Schmetterling mit fünf Hundertstelsekunden Vorsprung vor Phelps gewonnen) sein Vorbild Phelps während der Siegerehrung aufs Podest geholt, danach hieß es, dass die beiden gemeinsam mit Haien schwimmen würden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Phelps allerdings bereits verkündet, seine aktive Karriere beenden zu wollen.

Phelps äußerte sich nach seiner Comeback-Ankündigung erst mal abfällig über die Leistungen im Schmetterling. Le Clos antwortete bei der Weltmeisterschaft im August 2015 über 100 Meter mit einer Zeit von 50,56 Sekunden und dem Satz: "Ich habe ein Rennen hingelegt, das er vier Jahre lang nicht geschafft hat - also soll er jetzt mal ruhig sein." Das war die Ansage, die Phelps brauchte. Da war er, der Rivale, der ihn ärgern würde bis zu diesen Spielen in Rio. Der ihn an eine Grenze treiben würde, die er womöglich vorher noch nie erreicht hatte. Direkt vor diesem Rennen, nach dem Todesblick von Phelps, sagte le Clos dann auch noch: "Ich werde mein Herz in dieses Rennen legen, ich werde nicht aufgeben, ich werde ihn 200 Meter lang jagen."

Le Clos jagte Phelps wie alle anderen, 200 Meter lang, legendäre Siege bekommt man schließlich nicht geschenkt. Phelps schwamm von der 50-Meter-Marke an vorneweg, die anderen hetzten hinterher - wie Seehunde ihrem Trainer. Zunächst konnte Cseh mithalten, dann le Clos, später nur noch Sakai. Phelps musste kämpfen, wie sich das für einen legendären Sieg gehört, er wehrte die Angriffe ab, er ließ sich an eine Grenze treiben, von der es geheißen hatte, dass er sie im Alter von 31 Jahren nicht mehr erreichen könne. Er schlug vier Hundertstelsekunden vor Sakai an.

Bei der Siegerehrung hatte Phelps Tränen in den Augen, er sagte immer wieder: "Thank you!" Nach der Hymne blickte er hinüber zu seiner Frau und seinem Sohn, er konnte nicht mehr aufhören zu lachen und sagte: "Das gibt's doch gar nicht!" Dann lief er hinauf auf die Tribüne, er küsste Frau und Filius - dann lief er hinüber zu seinen Kollegen von der Staffel und gewann schnell noch eine weitere Goldmedaille. Kurz vor dem Start riss seine Kappe, doch warum sollte ihn das noch beunruhigen? Das legendäre Rennen, es war vorbei. Er musste nicht mehr getrieben werden, er durfte nun genießen.

Ein Michael Phelps, der nicht verbissen guckt oder einen Todesblick präsentiert. Der nicht wütend oder gar martialisch jubelt. Der erst auf einem Seil im Wasser hockt, danach weint und schließlich lächelt. Auch das gehört zu einer legendären Sportveranstaltung: Dass einer, wenn er realisiert, dass es nun vorbei ist, so gelassen reagiert wie noch nie zuvor.

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