Süddeutsche Zeitung

Schwimmen:Biedermann trainiert die Zweifel weg

  • Paul Biederman plagten im vergangenen Jahr noch Zweifel, ob er mithalten kann mit den schnellen jungen Schwimmern.
  • Die schnellen Zeiten in diesem Jahr deuten aber an, dass mit dem ehemaligen Weltmeister bei Olympia im nächsten Jahr wieder zu rechnen ist.

Von Claudio Catuogno, Berlin

Kürzlich ist Paul Biedermann mal wieder einen Rekord geschwommen. Zwar hat diesmal der Papst davon keine Notiz genommen, und auch zu behaupten, dass dieser Rekord für Schlagzeilen gesorgt hätte, wäre übertrieben. Für eine Schlagzeile hat er aber gesorgt, in der Mitteldeutschen Zeitung. Biedermanns 1:47,49 Minuten über 200 Meter Freistil bedeuteten Veranstaltungsrekord beim Schwimmfest des SV Halle (Saale). Halle ist Biedermanns Heimatstadt. Das Trainingsbad, in dem er hier seine Bahnen zieht, hätten sie beinahe mal Paul-Biedermann-Bad genannt, aber das hat er noch zu verhindern gewusst.

1:47,49. Die Frage ist, was diese Zahlen jetzt für den zusammenschmelzenden Rest seiner Karriere bedeuten.

Schwimmen ist eine spezielle Sportart: Im Grunde gibt es nur einen wirklich wichtigen Wettkampf in der Saison. In diesem Jahr sind das die Weltmeisterschaften in Kasan/Russland Anfang August. Während Fußballer ganzjährig und Biathleten, Skifahrer, Eisschnellläufer immer noch halbjährig über die Bildschirme flimmern, Ligabetrieb, Weltcup, findet das Modellieren der Schwimmerkörper im Verborgenen statt. Kilometer machen, Kacheln zählen, an der Grundlagenausdauer arbeiten, später an der Spritzigkeit. Irgendwann im Frühjahr tauchen die Schwimmer wieder auf. Und dann steht da erst mal eine Zeit.

Natürlich ist Paul Biedermann, 28, mit seinen 1:47,49 jetzt nicht deshalb zufrieden, weil beim Schwimmfest in Halle kein Mensch je schneller war. Sondern weil die Marke ihm Aufschluss darüber gibt, was er von sich erwarten kann - bei den Deutschen Meisterschaften, die am Donnerstag in Berlin begonnen haben, bei der WM - und bei Olympia einen Sommer später in Rio. Zu den 1:47,49 hat Paul Biedermann vorerst folgendes zu sagen: "So schnell war ich zu dieser Zeit des Jahres noch nie."

Paul Biedermann und die Schwimm-WM, das ist seit fast sechs Jahren eine besondere Beziehung. 2009 schwamm er bei der WM in Rom, neben ihm im Wasser war Michael Phelps, erfolgreichster Medaillensammler bei Olympia. Vor dem Start sagte Biedermann damals zu seinem Trainer Frank Embacher: "Den Phelps mach' ich heute um." Und dann machte er den Phelps um. Weltmeister über 200 und 400 Meter, jeweils in Weltrekordzeit, Audienz bei Benedikt XVI., "Sportler des Jahres", wenn Biedermann in der Zeit danach morgens mangels Führerschein in sein Trainingsbad radelte und sich fragte, wofür eigentlich, gab er sich selbst diese Antwort: "um irgendwann Olympiasieger zu werden".

Dann die WM 2011 in Shanghai, die Hightech-Anzüge aus Weltraum-Fasern, von denen Biedermann mehr profitiert hatte als andere, waren inzwischen verboten. Biedermann gewann drei Mal Bronze und nahm sich vor, ab jetzt keine konkreten Ziele mehr zu benennen; bei Olympia ein Jahr später in London wurde er Fünfter. Die WM 2013 in Barcelona verpasste er wegen einer Viruserkrankung. Und als der Bundestrainer Henning Lambertz kürzlich beklagte, das deutsche Schwimmen habe "keine Galionsfiguren" mehr und könne sich auch keine schnitzen oder backen, konnte man das auch als Hinweis darauf verstehen, dass Biedermanns Bedeutung als deutscher Vorschwimmer verblasst ist.

Jetzt also Kasan. Und vorher Berlin, als WM-Qualifikation und Standortbestimmung. Die zehrenden 400 Meter Freistil lässt Biedermann weg, die 100 und 200 Meter finden am Wochenende statt. Das Ziel? Biedermann, der immer noch die zwei Weltrekorde aus der Anzug-Ära hält, der aber in diesem Leben vermutlich nicht mehr Olympiasieger wird, sagt: "Meine bestmögliche Leistung abzurufen. Und damit dann auch zufrieden zu sein."

Emotionaler Triumph bei der Heim-WM

Nach Rio, das hat er angekündigt, ist Schluss. Aber man darf sich die Karriere des Paul Biedermann jetzt nicht als eine Art Ausschwimmen vorstellen. Vor einem Jahr, am Ende seiner krankheitsbedingten Auszeit, plagten ihn Zweifel, ob er zu alt sein könnte - das ist vorbei: "Zweifel zerstreue ich täglich im Training." Und Ziele gibt es auch abseits des Olympiasiegs, das hat ihm der emotionale Triumph mit der 4x200-Meter-Freistil-Staffel bei der Heim-EM 2014 in Berlin vor Augen geführt.

Früher war Paul Biedermann ein Einzelkämpfer, einer, der dank seiner Verdienste weitgehend unbehelligt vom Verband sein Ding machen durfte. Jetzt will er Mannschaftsspieler sein, regelmäßig trifft er sich etwa mit den Staffel-Kollegen Christoph Fildebrandt, Robin Backhaus und Florian Vogel, um die Abläufe zu optimieren. Staffel-Medaillen sind auch Medaillen. Dass er in diesem Frühjahr offenbar nicht so schleppend in Form kommt wie sonst immer, nennt der Bundestrainer Lambertz "eindrucksvoll". Trotzdem: Am Sonntag sollte er über die 200 Meter Freistil noch mal schneller sein. 1:47,49 - im weltweiten Vergleich liegt er damit nur auf Rang 13 der Jahresbestenliste.

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Quelle:
SZ vom 10.04.2015/schma
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