Schwimmen bei Olympia:Geht doch!

Olympia 2021 in Tokio 2020: Schwimmerin Sarah Köhler mit der Bronzemedaille

Da ist das Ding: Sarah Köhler gewinnt Bronze über 1500 Meter Freistil - die erste Olympiamedaille für das deutsche Beckenschwimmen seit 2008.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

13 Jahre des Wartens sind zu Ende: Sarah Köhler holt im Becken die erste deutsche Schwimm-Medaille seit Britta Steffen 2008. Und ihr Trainer kündigt an: "Wir sind noch nicht fertig."

Von Claudio Catuogno, Tokio

Der Moment, in dem Sarah Köhler die Füße von Katie Ledecky aus den Augen verlor, war der Schönste. Ledecky bewegte sich zügig voran, wie man das von einer sechsmaligen Olympiasiegerin erwartet, Köhler blieb zunächst an ihr dran - und bog dann nach links ab. Da war ihr Trainer Bernd Berkhahn neben ein paar Fotografen an den Beckenrand getreten, und nun nahmen sich die beiden lange in den Arm. "Wir haben's geschafft", sagte Köhler. "Ja, haben wir", sagte Berkhahn. "Jetzt musst du aber weiter."

Sarah Köhler hat dann rasch wieder den Anschluss hergestellt. Die drei Medaillengewinnerinnen über 1500 Meter Freistil waren wieder beieinander. Die amerikanische Hymne war fertiggespielt, jetzt einmal rum um den Pool, die Medaillen herzeigen. Und weil es der Tag der genutzten Möglichkeit war für Sarah Köhler, 27, von der SG Frankfurt, hat sie auch noch die Chance ergriffen, ein bisschen mit der großen Ledecky zu plaudern. Ob man sich irgendwann daran gewöhne, fragte sie - ihr selbst stand inzwischen ganz schön viel Wasser in den Augen. Nein, habe Ledecky geantwortet, berichtete Köhler später. Von den Emotionen einer Siegerehrung kriege man nie genug.

Auch Katie Ledecky, 24, hat in Tokio also eine Ahnung davon bekommen, was der deutschen Schwimmerin Sarah Köhler diese Medaille bedeutete: Olympiabronze über 1500 Meter Freistil. Was dieses runde Stück Metall für das deutsche Schwimmen bedeutet, davon macht sich die Amerikanerin Ledecky, routinierte Allesgewinnerin aus dem Land der Immergewinner, aber bestimmt keine Vorstellung.

Swimming - Olympics: Day 5

Vom Gewinnen kriegt man nie genug: Sarah Köhler, Bronze, mit Katie Ledecky, Gold.

(Foto: Maddie Meyer/Getty Images)

13 Jahre ohne Olympiamedaille, das war die Bilanz bis zu diesem Mittwochmorgen gewesen. Die letzte Beckenschwimmerin auf einem olympischen Podium war Britta Steffen, 2008 in Peking, als Olympiasiegerin über 50 und 100 Meter Freistil. Keine Medaille in London 2012, keine in Rio 2016, das war die trostlose Dauerschleife, die jede Mission der deutschen Schwimmer aufs Neue begleitete. Es kann eine ganze Sportart an den Abgrund schieben, wenn ihr nicht nur die Vorbilder fehlen, sondern irgendwann auch die Fördermittel zur Diskussion stehen.

Vor allem aber setzt sich das vermeintlich programmierte Scheitern in den Köpfen fest - und erneuert sich dadurch selbst. Der Magdeburger Trainer Bernd Berkhahn, der inzwischen auch der Teamchef der deutschen Schwimmer ist, war am Mittwoch in Tokio nicht zuletzt deshalb erleichtert: "Dass dieser Knoten jetzt geplatzt ist. Dass man im Team sagen kann: Seht her, deutsche Schwimmer können Medaillen bei Olympia gewinnen - darüber bin ich sehr froh."

Thema Vorbilder: Als Britta Steffen 2008 in Peking gewann, war Köhler gerade 14 geworden, ein halbes Leben ist das für sie her. "Ich weiß noch, dass ich Brittas Rennen 2008 live im Fernsehen gesehen habe, da bin ich nachts extra aufgestanden", hat sie vergangenen Sommer in einem SZ-Interview gesagt, "um den Dreh rum hat das bei mir angefangen mit dem Traum von Olympia". Am Mittwoch war es nun Steffen, die nachts aufgestanden ist, um Köhlers Rennen anzugucken.

Britta Steffen freut sich in Berlin "wie eine ältere Schwester für die jüngere"

Anruf also in Berlin, wo Britta Steffen, 37, inzwischen als Beraterin, Unternehmerin und Mutter eines fast vierjährigen Sohnes lebt: "Wie eine ältere Schwester für die jüngere", habe sie sich aus der Ferne mitgefreut, sagt Steffen, "vor allem weil ich mitbekommen habe, wie viel Arbeit da drinsteckt." In ihren gemeinsamen Jahren im Schwimmteam, von 2010 bis zu Steffens Karriereende 2013, hatte die Olympiasiegerin die Newcomerin "ein bisschen an die Hand genommen", der enge Kontakt besteht bis heute. Weshalb Britta Steffen das Telefonat dann auch unterbrechen muss: "Sarah ruft an!" Wobei, dies noch: "Was für ein Rennen!"

Das Rennen. Katie Ledecky schwamm vorneweg, wenn auch nicht so vorneweg wie sonst. Dahinter glitt zunächst ein Trio durchs Wasser, das nur eine halbe Fußlänge voneinander entfernt die Wenden erreichte: Simona Quadarella, 22, die Weltmeisterin aus Italien, die Chinesin Wang Jianjiahe - und Köhler. Das Tempo: beachtlich; lange war Köhler Vierte, nach 850 Metern wendete sie als Dritte, nach 950 Metern als Zweite. Die Abstände wurden größer, eine halbe Körperlänge jetzt - aber dafür, dass hier 30 Bahnen zu schwimmen waren, war das nichts! So glitten sie also durchs Becken, im ersten 1500-Meter-Frauenfinale überhaupt bei Olympia. Bisher war die Strecke - anders als bei Weltmeisterschaften - nur bei den Männern im Programm.

Bei der WM vor zwei Jahren in Südkorea hatte Ledecky krank gefehlt, da hatten Quadarella, Köhler und Wang das Finale unter sich ausgemacht, als Erste, Zweite und Dritte. Damals hatte Köhler den deutschen Rekord schon auf 15:48,83 Minuten drücken müssen für die WM-Medaille, um mehr als fünf Sekunden. Aber das hier war nun Olympia: Ledecky war wieder da, und auch die zweite Amerikanerin, Erica Sullivan, die auf den letzten 400 Metern näher und näher kam - und schließlich auch an Köhler vorbeizog. "Die hatten wir nicht so auf dem Zettel", sagte Köhler später. Aber, alte Schwimmer-Weisheit: "Man kann sich nie auf alles vorbereiten - darauf muss man vorbereitet sein."

Quadarella und Wang, die ließ Sarah Köhler nicht mehr vorbei. Aber wieder musste sie auf fast atemberaubende Weise den deutschen Rekord verbessern für dieses Ergebnis: um weitere fast sechs Sekunden, auf 15:42,91 Minuten. Zum Vergleich: Ledecky siegte in 15:37,34 Minuten. Ihr im Jahr 2018 aufgestellter Weltrekord allerdings: 15:20,48.

KOEHLER Sarah Team GER 1500m Freistiel Finale 3.Platz bei der Siegerehrung mit Bundestrainer Bernd BERKHAHN TOKYO Olymp

"Wir haben's geschafft." - "Ja, haben wir." Sarah Köhler mit Trainer Bernd Berkhahn.

(Foto: Laci Perenyi/Imago)

In Südkorea, mit WM-Silber um den Hals, hatte man Sarah Köhler gefragt, ob das das Rennen ihres Lebens gewesen sei, und sie hatte schlagfertig geantwortet: "Na, das hoffe ich doch nicht!" War das hier in Tokio das Rennen ihres Lebens? Sarah Köhler saß nun im Pressezelt hinter der Schwimmhalle: "Bis zum heutigen Tag hätte ich gesagt, ja, das war das Rennen meines Lebens. Aber jetzt hoffe ich schon, dass es noch ein bisschen schneller geht."

Bernd Berkhahn, zu dem Köhler 2018 aus Heidelberg gewechselt war, sagte das auch: "Wir sind noch nicht fertig!" Sie haben an allem Möglichen gearbeitet in den vergangenen zwei Jahren, an den Wenden, an der Stabilität des Schwimmstils, an der Laktattoleranz, damit Köhler weiter in die Grenzbereiche ihres Körpers vordringen kann. Ihre Muskelmasse hätte Berkhahn gerne auch noch etwas erhöht, aber da war sie skeptisch. Vielleicht ist das jetzt das nächste Projekt.

War ihr Freund Florian Wellbrock in der Halle? Köhler weiß es nicht. "Hier ist Wettkampf, hier ist nicht Kuscheln."

Vor allem ist das Medaillengewinnen aber auch eine Einstellungssache. Und wie fokussiert Sarah Köhler da ist, das merkt man immer dann, wenn die Journalisten ihr nach ihren Rennen die Frage stellen, ob denn "der Flo in der Halle war": Florian Wellbrock, 23, der Doppel-Weltmeister und Medaillenkandidat am Donnerstagmorgen über 800 und am Sonntag über 1500 Meter Freistil, ihr Freund. Oft sagt sie dann: "Ich weiß es gar nicht." Der Fokus geht ganz auf sich selbst, "bei mir bleiben", das war auch ihr Motto für dieses Finale gewesen. Oder, wie Köhler es am Mittwoch formuliert: "Hier ist Wettkampf, hier ist nicht Kuscheln."

Dann muss sie los, im Olympischen Dorf mit den Teamkolleginnen die Medaille ein bisschen feiern, die jetzt im deutschen Schwimmen den Knoten lösen soll. Und Britta Steffen anrufen.

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