Süddeutsche Zeitung

Schwimmen bei Olympia:Die Medaillen weisen den Weg

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Nach den Enttäuschungen 2012 und 2016 haben die deutschen Becken-Schwimmer in Tokio teilweise wieder den Anschluss gefunden. Hat man sich nur für Olympia zusammengerauft - oder hält der Friede?

Kommentar von Claudio Catuogno, Tokio

Der Kopf war diesmal nicht im Weg, wenn die Deutschen in Tokio in den Olympiapool sprangen. Das war schon mal ein Fortschritt. Das Problem bei deutschen Schwimmern liege oft "zwischen den Ohren", hatte ihr früherer Cheftrainer Örjan Madsen vor mehr als zehn Jahren festgestellt, 2012 in London und 2016 in Rio hatte sich das bestätigt, als seien Madsens Worte gar keine Analyse gewesen. Sondern ein Fluch.

Wobei die jeweilige Führungsebene an der Kollektivblockade nicht unbeteiligt war. 2012 hatte man den eigenwilligen Bundestrainer Dirk Lange kurz vor den Spielen sogar freigestellt - besser ohne Bundestrainer in so ein sensibles Turnier gehen als mit diesem. 2016 war die Stimmung um Langes Nachfolger Henning Lambertz so angespannt, dass viele im Team sich fürchteten anstatt sich zu freuen. Wie man die mentale Seite in den Griff bekommen habe, wurde in Tokio der jetzige Teamchef Bernd Berkhahn gefragt. Man habe da "gar nicht so viel gemacht", antwortete er, man habe aber die Entwicklung jedes Einzelnen "auch nicht unterbunden".

Alleine das ist angesichts der jüngeren Geschichte fast eine Heldentat gewesen: es nicht wieder zu vermasseln. Dass die Schwimmer nach 13 Jahren des Wartens mit zwei Becken-Medaillen zurückfliegen, hat auch damit zu tun: Sarah Köhler und Florian Wellbrock hatten diesmal die Chance, die Nerven zu behalten. Und sie waren nicht die Einzigen: Isabel Gose mit einem deutschen Rekord über 400 Meter Freistil, Henning Mühlleitner mit Rang vier über die gleiche Strecke. Zumindest auf den mittleren und langen Strecken gibt es Talente, ist der Anschluss gewahrt.

Die Trennung von Leistungssport-Direktor Kurschilgen könnte für den Verband noch teuer werden

Die neue Harmonie war bemerkenswert, weil es vor Olympia noch heftig gekracht hatte: zwischen Trainern und der Athletensprecherin Köhler auf der einen Seite und dem neuen Vorstand des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) auf der anderen. Dieser hatte unter dem neuen Präsidenten Marco Troll keinen glücklichen Start: Die Suche nach einem Leistungssportdirektor lief chaotisch, Personalentscheidungen wurden ohne Konzept und Rücksprache fixiert; man wusste oft nicht, ob aus Überforderung oder Machtgehabe. Hat man sich nur für Olympia zusammengerauft - oder hält der Friede?

Die Weichen im DSV-Leistungssport stellt auch jetzt wieder eine Handvoll Ehrenamtler - ein Anachronismus, den der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nicht mehr befürwortet, den sich der DSV aber leistet. Darin steckt immer die Gefahr, dass für komplexe Herausforderungen nicht die beste, sondern die naheliegendste Lösung gefunden wird. Die Schlüsselpersonalie ist weiter ungeklärt: der Direktor Leistungssport. Bewerbungen gibt es offenbar - bloß keine geeigneten. Die Haushaltslage ist ernst, das reduziert den Handlungsspielraum. Und weil man den bisherigen Amtsinhaber Thomas Kurschilgen fristlos vor die Tür gesetzt hat, steht noch ein Arbeitsgerichtsprozess an, der erneut teuer werden kann.

Und die offene Flanke ist in Tokio dramatisch sichtbar geworden: Auf den kurzen Strecken sind die Ergebnisse enttäuschend, deutsche Staffeln spielen keine Rolle mehr. Was unter anderem an Berkhahns Langstrecken-Stützpunkt in Magdeburg schon gelebt wird - konsequente Arbeit mit Daten, internationale Vernetzung - funktioniert anderswo nicht. Es wird also Zeit brauchen. Auch deshalb sind die Medaillen wichtig: Sie verschaffen die Legitimation, den begonnenen Weg weiterzugehen.

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