Schwimmerin Köhler bei Olympia:21 Hundertstelsekunden fehlen

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Vergoss nach ihrem vierten Platz Tränen der Enttäuschung: Angelina Köhler. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Weltmeisterin Angelina Köhler landet über 100 Meter Schmetterling auf Platz vier. Ausgerechnet hinter Zhang Yufei – die zu jenen 23 Chinesen gehört, die 2021 positiv auf ein Herzmittel getestet, aber nicht sanktioniert wurden.

Von Sebastian Winter, Paris

Als Angelina Köhler sich am Sonntagabend vor 17 000 Zuschauern in der Défense-Arena von Startblock Nummer sechs abstieß, da war ihre Lieblingssängerin ganz woanders. Taylor Swift gab in München im Olympiastadion ihre Vorstellung, in einem ähnlichen Ambiente also. Die bekennende Swiftie Köhler hatte es vor den Sommerspielen in Paris tief bedauert, dass sich ihr Auftritt im Becken mit jenem ihres Musikidols in Deutschland überschneidet. Allzu gerne wäre sie zu einem ihrer Konzerte gegangen. Swifts Hit „Cruel Summer“ hatte Köhler bei der Weltmeisterschaft in Doha, bei der sie überraschend Gold über 100 Meter Schmetterling gewann, zum Aufwärmen gehört.

In Paris reichte es für Köhler nun über die Schmetterlingsstrecke allerdings nicht zur ersehnten Medaille, nach den zwei Bahnen kam sie auf Platz vier ins Ziel. Hinter den US-Amerikanerinnen Torri Huske, die Gold gewann, und Gretchen Walsh, die erst vor sechs Wochen auf dieser Strecke einen neuen Weltrekord aufgestellt hatte. Aber auch hinter der drittplatzierten Chinesin Zhang Yufei. Ausgerechnet Zhang: Die heute 26-Jährige war 2021 in Tokio Olympiasiegerin auf dieser Strecke geworden. Sie ist zugleich eine der 23 chinesischen Athletinnen und Athleten, die nach Recherchen der ARD und der New York Times nur Monate zuvor positiv auf das Herzmittel Trimetazidin getestet worden waren – und ohne Strafe davonkamen.

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Bei der Siegerehrung umarmten sich beide US-Amerikanerinnen auf dem obersten Podest, Zhang ließen sie auf dem Bronze-Treppchen stehen. Nur für die Fotografen reihten sich alle zusammen auf. Köhler fehlte bei dieser Zeremonie, sie kam in 56,42 Sekunden 21 Hundertstelsekunden hinter Zhang ins Ziel. Und lief nach dem Rennen erst einmal wortlos und weinend durch die Katakomben des für die Olympischen Spiele zur Schwimmhalle umfunktionierten Rugbystadions. Später kam sie noch einmal zurück und stellte sich den Fragen: „Vierter ist doof und ärgerlich, aber ich habe mir nichts vorzuwerfen und alles gegeben.“ Über die Bronzegewinnerin sagte Köhler: „Solche Geschichten haben einen miesen Beigeschmack. Ich hoffe, dass da noch mal was kommt, dass es da Aufklärung geben wird. Ich stehe für sauberen Sport und für Gerechtigkeit. Erst mal gehört die Medaille ihr.“

Am nächsten Morgen stellte sich Köhler im Deutschen Haus vor, wieder prasselten Fragen auf sie ein, auch zu Zhang. Erneut forderte Köhler Aufklärung, „es ist viel Verwirrung aufgekommen in den letzten Monaten. Das Dopingthema ist ein schwieriges Thema, für jeden Athleten, der immer sauber war und für sauberen Sport steht“. Dennoch gelte die Unschuldsvermutung.

Womöglich hat auf der Weltmeisterin doch ein wenig zu viel Druck gelastet

Die untröstliche Köhler ist eines der deutschen Gesichter bei diesen olympischen Schwimmwettbewerben; neben Lukas Märtens, der am Samstag das erste Gold für das Team D gewann, galt sie als weitere Medaillenhoffnung. Es war allerdings viel auf die 23-Jährige eingeprasselt nach ihrem WM-Sieg. Sie konnte sich vor Interviewanfragen kaum retten, wurde ins ZDF-Sportstudio eingeladen (wo sie das Torwandschießen mit einem Treffer oben links gewann). Ein Management, das all diese Dinge steuert, hatte sie bis dahin nicht. Zugleich gab sie viel von sich preis, bereits kurz nach dem WM-Gold berichtete sie über Mobbing, Schusseligkeit und dass sie früher eher eine Außenseiterin war.

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Ihr Credo daher: Man muss nicht perfekt sein. Später machte ihr bester Freund Ole Braunschweig, der als Rückenspezialist auch in Paris startet, ihre ADHS-Diagnose eher nebenbei öffentlich. Er selbst hat dieselbe Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Köhlers Aussagen sind authentisch, sie möchte sich nicht verbiegen lassen. Aber, so hatte es ihr Trainer Lasse Frank kurz vor dem Start der Sommerspiele in Paris gesagt: „Wir müssen sie halt punktuell auch mal schützen.“

Womöglich hat auf der Weltmeisterin nun doch ein wenig zu viel Druck gelastet, auf den ersten 50 Metern, ohnehin nicht ihre Stärke, verlor sie schon zu viel Zeit. Zeit, die sie nicht mehr aufholen konnte auf jenes Trio, dem Köhler bei den ersten Olympischen Spielen ihres Lebens den Vortritt lassen musste.

Im Deutschen Haus bekannte sie im weißen Deutschland-T-Shirt, dass sie das Rennen noch lange nicht verarbeitet hat: „Man sieht mich hier und ich wirke gefasst, aber innerlich sieht es noch nicht ganz so toll aus bei mir. Ich bin froh, dass meine Familie gestern da war.“ Zugleich hob sie an zu einem kleinen Plädoyer für jene, die wie sie nun im Schatten des Podests schwimmen: „Man sieht ja immer nur die ganzen Medaillen. Man sollte auch diese vierten Plätze würdigen, sie sind nicht minderwertig. Es steckt genauso viel Leid und Schweiß dahinter.“

Köhler hat nun noch die Staffeln vor sich, im Mixed haben die Deutschen vielleicht sogar noch einmal die Chance auf Edelmetall. Aber Köhler hat bereits Sehnsucht – nach Bora-Bora. Sie wird nach Olympia mit dem Zug nach Hause zurückfahren, wird von ihrer Oma und zwei Cousinen abgeholt, wie sie am Montag erzählte. Dann ist ein „Mädelsurlaub“ auf Sardinien geplant. Und danach wird einer ihrer großen Lebensträume in Erfüllung gehen. Köhler reist in die Südsee, sie möchte am Atoll Bora-Bora die Unterwasserwelt erkunden. „Und vielleicht kann ich dort mal mit einem Buckelwal tauchen.“ Was für ein Bild wäre das: die Swiftie und der Wal, der ja auch wunderschön singen kann.

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