Leonie BeckErstmal raus aus dem Wasser

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Leonie Beck (rechts) gibt im Müller’schen Volksbad Schwimmtipps.
Leonie Beck (rechts) gibt im Müller’schen Volksbad Schwimmtipps. (Foto: Christian Penning/oh)

Schwimmerin Leonie Beck hat nach ihrem enttäuschenden neunten Platz von Paris eine Entscheidung getroffen: die Karriere zu unterbrechen. In ihrem Sabbatical blüht die 27-jährige Freiwasser-Weltmeisterin auf – und vergisst den Druck des Leistungssports.

Von Sebastian Winter

Leonie Beck hat es sich bequem gemacht am Beckenrand, im Schneidersitz schaut sie den Laien zu, wie sie ihre Bahnen ziehen. Es ist kurz nach 7 Uhr morgens, der Donnerstag vor den Osterferien, und das Ambiente ist herausragend. Denn die dreimalige Freiwasser-Weltmeisterin hält ihre Schwimmstunde im Müller’schen Volksbad in München ab, einem wunderschönen Jugendstilbau, der 1901 bei seiner Fertigstellung als größtes und modernstes Schwimmbad der Welt galt. Genauer sind Beck und ihre Gruppe im kleinen Damenbecken, das bis 1989 tatsächlich nur den Frauen vorbehalten war. Die Männer schwammen im größeren Herrenbecken.

Unter der Stuckdecke sagt Beck neben dem Wasserspeier nun zu einem der Teilnehmer, die gerade mit Schnorchel üben: „Das Wasser darf kein Feind sein, mache es dir zum Freund.“ Filmaufnahmen werden gemacht, Fotos geschossen, für die 27-Jährige vom SV Würzburg 05, weiße Cargohose, schwarzes Shirt, ist es auch ein Werbetermin, zu dem ihr Sponsor geladen hat. Sie wirkt frei, auch später, als es bei einem kleinen Frühstück um Ernährung geht.

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SZ PlusInterview von Sebastian Winter

Seit Jahren ist die gebürtige Augsburgerin die beste deutsche Freiwasser-Schwimmerin, neben ihren drei WM-Titeln hat sie auch drei Goldmedaillen bei Europameisterschaften gewonnen und weiteres Edelmetall. Nur bei Olympischen Spielen hatte sie bislang eher Pech. 2016 in Rio wurde sie – damals noch im Becken mit 19 Jahren – über 800 Meter Freistil 25. 2021 in Tokio erreichte sie Platz fünf über 10 Kilometer im Freiwasser.

Dann kam der 8. August 2024. Beck reiste als Mitfavoritin nach Paris, kam aber mit der starken Strömung in der dreckigen Seine nicht zurecht – und wurde Neunte. „Es war sehr, sehr kompliziert, so eine krasse Strömung habe ich noch nie erlebt“, sagt Beck rückblickend im Café des Müller’schen Volksbads: „Es waren überhaupt nicht meine Bedingungen.“ Die Seine als Austragungsort war ohnehin umstritten, auch wegen der Gesundheitsgefahr durch Bakterien. Beck wurde einen Tag nach dem Wettkampf tatsächlich krank, im SZ-Interview sagte sie damals, dass es ihr richtig elend ging: „Insgesamt habe ich mich neunmal übergeben.“

Danach schwamm sie vier Monate lang nicht mehr.

Beck brauchte eine Auszeit, „eine mentale Pause“, wie sie es nennt, schon vor Paris hatte sie das gespürt: „Ich war an einem Punkt angekommen, wo ich froh war, dass das Rennen rum ist. Ich konnte mich nur erholen, als ich geschlafen habe.“ Der innere Druck, jahrelang alles auf diesen 8. August, dieses eine Rennen in der Seine, auszurichten: Er hatte ihr den Spaß am Schwimmen genommen. Und nach dem Doppelerfolg bei der WM 2023 in Fukuoka kamen auch noch diese Fragen: und jetzt, Frau Beck, Olympiagold in Paris?

Leonie Beck im Müller’schen Volksbad bei der Trainingsstunde.
Leonie Beck im Müller’schen Volksbad bei der Trainingsstunde. (Foto: Christian Penning/oh)

Als Leonie Beck die Seine hinter sich gelassen hatte, drückte sie einfach auf den Knopf: vorzeitiges Saisonende, bloß kein Wasser mehr. Sie war dann auf Malta im Kurzurlaub, besuchte danach insgesamt 17 Städte, war im Dezember in Australien. Sie hält Vorträge, engagiert sich sozial, ist Botschafterin des Schwimm-Weltverbands für ein Projekt, das in Afrika Kinder vor dem Ertrinken bewahren soll. Und sie schnuppert gerade bei TV-Sendern hinein, um zu schauen, ob das etwas wäre für ihre berufliche Zukunft.

Im Müller’schen Volksbad sagt sie: „Ich will diese Saison einfach entspannen, den Leistungsdruck komplett rausnehmen.“ Sie liebt es, sich sozial zu engagieren, all die Termine, die sie gerade hat. Beck war schon immer eine, die gerne über den Tellerrand hinausblickt. Während Corona schrieb sie im Lockdown ausländische Verbände an, ob sie dort bei Wettkämpfen starten dürfe, in Deutschland gab es ja keine. Italien meldete sich, Beck war sofort angefixt. „Mir hat das Land schon immer gefallen, die Leute sind offen, witzig, herzlich.“

„Ich wollte meine Komfortzone verlassen, konnte kein Wort Italienisch.“ Inzwischen spricht sie es fließend.

2021 zog sie also in den Badeort Ostia bei Rom und schloss sich der Trainingsgruppe von Weltmeister und Olympiasieger Gregorio Paltrinieri an. Sie fühlte sich am Anfang wie in einem studentischen Auslandsjahr, das sie bislang nie erlebt hatte. „Das erste halbe Jahr war alles neu und toll, Aperitivo, Pizza, Nudeln, Sonne, Strand“, sagt Beck. Auch wenn der Zauber seither ein wenig verflogen ist, weil sie auch dort letztlich sehr hart trainieren muss, ist sie immer noch da. „Ich wollte meine Komfortzone verlassen, konnte kein Wort Italienisch.“ Inzwischen spricht sie es fließend.

Gerade wohnt Beck im Norden von Rom, nahe am Flughafen, was praktisch ist bei ihren vielen Reisen durch Europa und die Welt. Am Mittwoch kam sie aus Hamburg nach München, bald steht ein Vortrag in Mailand auf dem Programm, dann wieder Hamburg, im Mai ein Schwimm-Workshop in Köln und später die Challenge in Roth, wo sie den Schwimmpart in einer Staffel übernimmt. Und eben das Afrika-Projekt. Beck, so wirkt es, hat gerade ihre Mitte gefunden.

„Viele sagen: Du musst jetzt angreifen für Los Angeles“, für die nächsten Olympischen Spiele also, voller Fokus auf 2028, erzählt sie, und erwidert: „Es gibt keine Garantie, dass es dort dann klappt.“ Sie hat bestimmt bald wieder Lust darauf, es nochmal zu versuchen. Ohne den ganz großen Druck, sie hat ja schon so viel erreicht.

Aber zurzeit ist das alles weit weg, im ersten Sabbatjahr ihres Lebens.

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SZ PlusVon Sebastian Winter

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