Studien zufolge können 20 Prozent aller Sechs- bis Zehnjährigen in Deutschland nicht schwimmen. Damit fehlt ihnen eine elementare Fähigkeit: sich über Wasser zu halten, ob nun im Schwimmbad, im See oder im Meer. Zugleich sind viele Schwimmkurse überbucht, Bäder schließen wegen der roten Zahlen oder aus Personalmangel, auch viele Schulen und Eltern sind überfordert, den Kindern Schwimmen beizubringen. Die Münchner Olympiateilnehmerin Alexandra Wenk, 29, hat auch deshalb ihre eigene Schwimmschule gegründet. Ein Gespräch darüber, warum es so wichtig ist, sich im Wasser fortbewegen zu können – und wann es zur Last wird.
SZ: Frau Wenk, Sie galten als eines der größten deutschen Schwimmtalente, gewannen mit 13 Ihren ersten deutschen Meistertitel, später wurden Sie als Teil der Frauen- und Mixedstaffel Europameisterin und holten WM-Bronze. Gehen Sie eigentlich noch ins Becken, um Ihre Bahnen zu ziehen wie früher?
Alexandra Wenk: Ganz ehrlich? Gar nicht mehr, seit ich meine Karriere 2021 beendet habe. Mir macht das Trainieren von anderen Menschen mittlerweile mehr Spaß, als selbst zu schwimmen. Wenn man so lange so intensiv und oft trainiert hat wie wir damals, mit bis zu zehnmal Wassertraining und viermal Krafttraining pro Woche, dann hat das nicht mehr viel mit Nur-Spaß-Haben zu tun. Es ist eher Beruf, Lebensinhalt, mit all dem Konkurrenzkampf und -denken.
Sie sind nach langwierigen Schulter- und Knieverletzungen vor den Olympischen Spielen in Tokio eher leise zurückgetreten.
Ich wollte kein so großes Fass aufmachen, erstmal für mich persönlich damit klarkommen, nicht mehr Leistungsschwimmerin zu sein. Eigentlich hatte ich geplant, nach den Sommerspielen 2020 aufzuhören. Nach der coronabedingten Verschiebung auf 2021 war mir klar, dass ich ein weiteres Jahr nicht mehr machen möchte.
Was bleibt mit Blick auf Ihre Karriere neben den vielen Medaillen? Sie halten immer noch den deutschen Rekord über 200 Meter Lagen. Bei Olympia 2012 und 2016 waren Sie dagegen eher enttäuscht, kamen nicht in die Finals.
Ich musste schon lernen, damit umzugehen, dass es 2012 in London und vor allem 2016 in Rio nicht geklappt hat, meine Leistung abzurufen. Diese Niederlagen zu verarbeiten, das hat seine Zeit gebraucht. Inzwischen kann ich sagen, dass ich meinen Frieden damit geschlossen und auch genügend Abstand zum Leistungsschwimmen gefunden habe.
Ist das die Schattenseite – der ständige Erfolgsdruck?
Es gibt viele Dinge im Spitzensport, die prägen einen für sein Leben. Man lernt, sich Ziele zu setzen, den Weg dorthin Schritt für Schritt zu gehen. Aber die Dinge, die man tut, sollten einem auch Freude bereiten. Und bei mir kam, kurz bevor ich aufgehört habe, dieser Punkt, an dem ich gespürt habe: Der Leistungssport bereitet mir keine Freude mehr, er ist für mich nicht mehr bereichernd.
Mit 25 Jahren waren Sie noch vergleichsweise jung für ein Karriereende.
Ich hatte damals aber auch schon 15 Jahre lang Hochleistungssport betrieben, mit allem, was dazugehört. Und habe mein Studium extra auf Teilzeit angelegt und auf viele Dinge verzichtet. Die Freude am Sport, egal in welcher Form, ist mir trotzdem geblieben. Nur eben ohne den extremen Ehrgeiz und Druck, den ich mir selbst gemacht habe und der auch teils von außen kam.

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Inzwischen haben Sie zusammen mit drei Freundinnen die Schwimmschule Swimunity gegründet, die in München Kurse in Giesing-Harlaching und in der Olympia-Schwimmhalle anbietet. Warum?
Während meines Studiums hatte ich noch einen Minijob bei einer Schwimmschule hier in München – und habe gemerkt, dass es verdammt wichtig ist, Kindern das Schwimmen beizubringen. Ich habe da einfach mitbekommen, wie wenig Kinder schwimmen können, auch qualitativ gut schwimmen können. Kinder müssen das lernen, weil es schlicht überlebenswichtig ist. Ich habe mal aus der Zeitung erfahren, dass eine 15-Jährige im Eisbach ertrunken ist. Oder da war der Vater, dessen Tochter bei mir in einem privaten Schwimmkurs war. Er erzählte mir, dass sie ganz dolle Angst hat vor dem Wasser, weil sie im Pool im Urlaub als Siebenjährige gesehen hat, wie ein anderes Kind ertrunken ist. Da dachte ich, krass, wie wenig Verantwortung zeigen eigentlich manche Eltern, die ihrem Kind offenbar nicht ermöglicht haben, sich über Wasser zu halten.
Wie war das bei Ihnen in der Familie? Man darf annehmen, dass Ihre Mutter, die für Rumänien einst EM-Silber im Becken gewann, sehr darauf geachtet hat, Ihnen das Schwimmen beizubringen.
Meine Mutter und auch mein Vater haben sehr darauf gepocht, dass mein Bruder und ich schnell schwimmen können, da gab es keine Diskussion. Einfach auch, damit wir mal alleine am Pool rumspringen können im Urlaub, ohne dass sie sich ständig Sorgen machen müssen. Ich habe mich allerdings mit Händen und Füßen gewehrt, bei meiner Mutter schwimmen zu lernen. In einer Schwimmschule habe ich es dann gelernt, aber erst im Verein habe ich gemerkt, was es bedeutet, richtig gut schwimmen zu können. Denn die anderen waren erstmal viel, viel schneller als ich.
Laut Forsa-Umfrage von 2022 können hierzulande 20 Prozent aller Kinder zwischen sechs und zehn Jahren nicht schwimmen.
Ja, und selbst wenn sie das Seepferdchen gemacht haben, können sie sich zwar über Wasser halten, aber vom richtigen Schwimmen brauchen wir da noch nicht zu reden. Schwimmen kann das Kind meiner Meinung nach frühestens nach dem Bronze- oder dem Silberabzeichen. Das kontinuierliche Üben ist so wichtig. Schwimmen lernt man nicht innerhalb von einer oder zwei Stunden, das wird dauern. Auf den Leistungssport bezogen, den ich früher ausgeübt habe: Es hat einen Grund, warum Olympische Spiele nur alle vier Jahre stattfinden. Weil man Dinge nicht von heute auf morgen verbessern kann.
Welche Steine werden den Kindern denn in den Weg gelegt, sich im Wasser zu verbessern?
Die Nachfrage nach Schwimmkursen ist durchaus da. Aber oft sind die Kurse überfüllt, die Wasserflächen gerade in Städten wie München fehlen – und durch die Corona-Pandemie gab es viele Monate lang überhaupt keine Möglichkeit, schwimmen zu lernen. Auch deshalb habe ich mich im Februar 2024 mit meinen drei früheren Trainingspartnerinnen Janina Banse, Paulina Böger und Anna Reger-Reisinger zusammengesetzt und ihnen mein Projekt vorgestellt.
Wann geht es los?
Sehr bald. Am 13. Januar fangen wir mit unseren Kinderschwimmkursen an, haben aber auch Personal Training im Angebot. Tatsächlich sind die Kinderschwimmkurse bisher weniger gut gebucht. Wir fragen uns: Woran liegt das? Am Preis? Die Energiepreise sind einfach gestiegen, entsprechend höher sind die Kosten. Der BLSV bezuschusst Schwimmkurse für Vorschulkinder weiterhin mit 50 Euro. Das sollte man vielleicht auch mal erwähnen, dass es diesen Zuschuss überhaupt gibt.

War es generell schwierig, das Projekt umzusetzen?
Man muss ja erstmal dazusagen, dass wir vier Mädels das alle nebenberuflich stemmen. Aber wir hatten wirklich, wirklich Glück mit den Stadtwerken München, dass sie uns die Zeiten in den Bädern gegeben haben. Es hat zwar bis Ende 2024 gebraucht, Wasserflächen zu finden, die GmbH zu gründen, aber es hat dann funktioniert. Andere haben da, glaube ich, nicht so viel Glück, denn es ist so schwer, überhaupt freie Wasserflächen zu finden. Und es gibt so viele Schulschwimmbäder in München, die ungenutzt bleiben an den Wochenenden, die dann leer stehen, obwohl die Energiekosten trotzdem gezahlt werden müssen. So etwas verstehe ich nicht.
Sie ziehen nicht mehr selbst Ihre Bahnen, aber sind nun mit Kindern im Wasser und bringen ihnen das Schwimmen bei. Kommt damit vielleicht auch der Spaß zurück, den Sie im Leistungssport verloren hatten?
Ich finde es so cool, den Fortschritt bei den Kindern zu sehen. Es ist viel faszinierender, Trainerin zu sein, anderen Menschen sein Wissen zu vermitteln und sie dadurch besser zu machen. Wenn ein Kind acht Einheiten macht und kann dann idealerweise schwimmen und tauchen, dann macht mich das selbst glücklich.