Süddeutsche Zeitung

Schwimmen:Ironie am Beckenrand

Der Schwimm-Verband wählt Marco Troll zum neuen DSV-Präsidenten. Vor zwei Jahren hatten ihn manche noch als "Totengräber des Verbands" geschimpft. Nun will er "offensiv auf alle zugehen".

Von Claudio Catuogno

Fast zwei Jahre lang war das Präsidentenamt im Deutschen Schwimm-Verband (DSV) nicht besetzt. Doch am Samstagnachmittag klatschten dann jede Menge blaue Hände Applaus, nachdem ein Nachfolger der Ende 2018 zurückgetretenen Präsidentin Gabi Dörries ins Amt gehoben war - blaue Hände, weil die DSV-Mitgliederversammlung als Zoom-Konferenz stattfand. Marco Troll, 58, der neue DSV-Präsident, musste die Glückwünsche pandemiebedingt im virtuellen Raum entgegennehmen, womit die größten Herausforderungen der kommenden Monate schon vorweggenommen waren: Wie lassen sich die 580 000 im DSV organisierten Schwimmerinnen und Schwimmer bei der Stange halten, wenn überall die Bäder zu sind? Und was bedeutet das für die Finanzen?

Dass es nun Troll richten soll, ein Polizeibeamter aus Freiburg, der seit acht Jahren dem Badischen Schwimm-Verband vorsteht, ist nicht ohne Ironie. Sein Verband war 2018 Wortführer gegen eine Beitrags-Erhöhung gewesen - Präsidentin Dörries warf daraufhin das Handtuch. "Totengräber des Verbands" nannten Troll damals einige. Nun, als Chef, will er "offensiv auf alle zugehen".

Um den trudelnden DSV zu stabilisieren, hat es die 60 Cent mehr pro Mitglied und Jahr, um die der Streit damals entbrannte, tatsächlich nicht gebraucht; ebenso wenig wie einen Präsidenten. Das bewerkstelligte der Notvorstand, insbesondere Vize Uwe Brinkmann und Thomas Kurschilgen, der Direktor Leistungssport. Die DSV-Finanzen sind im Plus, selbst im Corona-Jahr 2020. Der Verband, so sehen das viele, wurde vom Kopf auf die Füße gestellt. Dass es bei der Frage nach der Entlastung der beiden dennoch viele Nein-Stimmen gab, muss man wohl so werten, dass es manchen Delegierten aus den Landesverbänden um etwa anderes ging. Um Macht?

Es sind nun die großen Verbände Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden und Württemberg, die den neuen Vorstand tragen, sie stellen mehr als die Hälfte der Stimmen. Troll erhielt 76 Prozent Zustimmung. Claudia Boßmann aus NRW wird Vizepräsidentin Finanzen, zwei weitere Vizepräsidenten führen wie Troll auch einen Landesverband: Harald Walter in Bayern, Wolfgang Rupieper in Brandenburg. Dafür war eine Satzungsänderung nötig: Die Regel, dass DSV-Spitzenpersonal nicht zugleich in den Landesverbänden verantwortlich sein darf, wurde gekippt. Das wirft Fragen nach Interessenskonflikten auf, die auch formuliert, von Troll aber eher vage beantwortet wurden.

Was sich nun ändert? Es ließ sich heraushören, dass der DSV wieder stärker zum Dienstleister der Landesverbände werden solle. Zulasten des Leistungssports? Wenn man sich dort umhört, etwa an den Stützpunkten, ist die Sorge jedenfalls groß, dass ein Teil der gerade professionalisierten Strukturen wieder kassiert werden. Manch einer, der nun das Erstarken der Landesverbände feiert, dürfte dann aber feststellen, dass im DSV der überwiegende Teil des 10-Millionen-Euro-Etats als Bundesmittel zweckgebunden sind - für den Spitzensport. Wobei die Ziele, die Marco Troll formulierte, da kein Widerspruch sein müssen: mehr Fokus auf Breitensport, Bildung und Gesundheit, auf den Kampf um Wasserflächen für den Nachwuchs. "Uns geht es wirklich um die Sache", versprach Troll. Die Frage wird halt sein, wo für die hehren Pläne das Geld herkommen soll. Troll - noch so eine Ironie der Geschichte - hat eine Gebührenerhöhung im Blick.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2020
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