Schwimmen:Im Kleinbus nach Budapest

Schwimmen: Deutsche Meisterschaft

Schwimmer Marco Koch könnte es doch noch zur WM packen.

(Foto: dpa)
  • Bei den deutschen Meisterschaften im Schwimmen zeigt sich, dass der Verband kurz vor der WM noch arge Schwierigkeiten hat, seine Athleten in Form zu bekommen.
  • Selbst Weltmeister Marco Koch verfehlt die WM-Norm.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Auf Seite neun im Programmheft der deutschen Meisterschaften in Berlin stand ein Satz, der seine volle Schönheit erst auf den zweiten Blick entfaltete. "Zur Nominierung für Einzelstrecken können grundsätzlich die zwei zeitschnellsten Athleten vorgeschlagen werden, die die Qualifikationszeiten im Rahmen der DM 2017 erreicht haben", stand da. Ein übliches Kriterium, okay. Aber es zeichnete auch ein ebenso hübsches wie unrealistisches Szenario: Dass sich gleich zwei Schwimmer in einer Disziplin mit erfüllten Normen für die Weltmeisterschaften Mitte Juli in Budapest qualifizieren könnten, versprühte in seiner Ausformulierung schon fast einen höhnischen Ton.

Zehn Monate nach dem traurigen Abschneiden bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro lieferten die Wettbewerbe pointenreiche Erkenntnisse. Am Sonntagnachmittag um 15.03 Uhr schritt der Brustschwimmer Marco Koch zum Startblock, der Noch-Weltmeister ist nach dem Karriereende von Paul Biedermann die größte Projektionsfläche für hohe Erwartungen beim Deutschen Schwimmverband (DSV). Doch als Koch nach 2:08,69 Minuten an der Beckenwand anschlug, stand fest: Er hatte die WM-Norm verpasst.

Was darin begründet lag, dass sich der DSV besonders harte Qualifikationskriterien auferlegt hatte, härtere als sie der Weltverband Fina verlangt. Bundestrainer Henning Lambertz wollte damit ein Zeichen setzen, dass er nach den trostlosen Spielen Maßnahmen für eine erfolgreichere Zukunft ergreift. Abgesehen von weicheren Normen für U23-Schwimmer mussten die Athleten in Berlin so schnell schwimmen, dass es in Rio für den Finaleinzug gereicht hätte.

Koch vermisst sein Gleitgefühl

"Wir haben die Normen extra so aufgestellt, um sie wirken zu lassen", erklärte Lambertz, "es ist wichtig einzuordnen: Was sind tolle Leistungen hier international wert?" Für Marco Koch und viele andere bedeutete das: nicht genug, um momentan vorne mitzuschwimmen. Das Ergebnis in den Einzelwettbewerben: Nur drei Schwimmer dürften nach der harten Norm zur WM fahren, unterstützt durch vier U23-Athleten. Es geht also im Kleinbus nach Budapest.

Auf 15 bis 20 Athleten inklusive Staffelschwimmer hatte Lambertz gehofft, "das wird sich nicht halten lassen, eher zehn bis 14", sagte er in ersten Bilanz am Sonntagmittag. Ausnahme-Nominierungen hält sich der Verband offen, für Marco Koch ohnehin, "er hat bei uns einen besonderen Status, es macht immer Sinn, ihn mitzunehmen".

Über die Normen war vor den Meisterschaften heftig debattiert worden, manch einer war demotiviert durch die Maßgabe, plötzlich fast unerreichbare Zeiten schwimmen zu müssen - zehn Monate nach Olympischen Spielen gehören Leistungsexplosionen nicht zum erwartbaren Szenario. Es ist eher die Zeit für Veränderungen. Was auch Lambertz mit einer weiteren Maßnahme anstieß, von der er sich einen schnellen Schub erhoffte: Er stellte einen 100-seitigen Leitfaden zum Krafttraining zusammen, weil er in Sachen Muskelkraft großen Nachholbedarf sieht.

Vor allem in der Ausbildung der Maximalkraft, also möglichst hohe Gewichte stemmen zu können. Etliche Schwimmer setzten sich damit auseinander, doch die Ergebnisse sind individuell verschieden. Während der junge Poul Zellmann davon profitierte und per U23-Norm über 400 Meter Freistil zur WM darf, plagte sich Koch, die neuen Muskelberge im Wasser gewinnbringend einzusetzen.

Es bleiben große Rätsel

Er fühle sich wie "ein Bodybuilder im Wasser", sagte er, vermisse aber sein Gleitgefühl, das ihn stets ausgezeichnet hat: Keiner taucht so lange ab wie der 27-Jährige. Zu Beginn der Wettbewerbe zeigte sich seine Unsicherheit in folgendem Bild: Auf seiner Nebendisziplin über 100 Meter Brust stand er dieses Mal ganz rechts auf dem Treppchen, nur Dritter. Im vergangenen Jahr hatte er auch hier dominiert.

Selbst der qualifizierte Heintz kritisiert

Koch rätselte in Berlin über seine Form, sagte Sätze wie: "Ich fühle mich okay, aber ich bin noch nicht schnell." Über seine Paradedisziplin 200 Meter Brust war er 2015 in Kazan Weltmeister geworden. Mit seinem Abschneiden in Berlin war er trotz verpasster Norm zufrieden. "Mehr ging heute nicht", sagte er, die Nase tropfte noch, "ich bin noch nicht so oft so eine Zeit geschwommen."

Für ihn selber ist es eine Saison der Experimente. "Ich kann auch vier Jahre so weiter machen und immer die gleichen Zeiten schwimmen", sagte er nach seinem Rennen in Berlin, "und dann bin ich in vier Jahren bei Olympia wieder nur dabei." Das ist dann doch nicht sein Anspruch, "jetzt muss man riskieren, dass man auch mal ein bisschen auf die Schnauze fällt". Ob er die WM in Budapest bei einer Ausnahme-Nominierung mitnimmt, ließ er offen.

Lagen-Schwimmer Philip Heintz und Schmetterling-Spezialistin Franziska Hentke schwammen jeweils Weltjahresbestzeit, mit Rückenschwimmerin Lisa Graf sind sie die einzigen, die die harten Normen erfüllt haben. Heintz wurde von Lambertz als "Highlight schlechthin" bezeichnet, er war über 200 Meter Lagen in Vor- und Endlauf famose Zeiten geschwommen, hatte den deutschen Rekord zweimal unterboten. Doch auch Heintz ist ein Kritiker des harten Norm-Konzepts, er fühlt sich nicht gut dabei, fünf Wochen vor der WM volle Kraft aufbringen zu müssen und fürchtet einen spürbaren Kräfteverschleiß, wenn es um die Medaillen geht.

"Das ist keine leichte Aufgabe, das zu konservieren", gab auch Lambertz zu, verwies aber auf Erfahrungswerte, die seine Maßnahme bestätigten. Im U23-Bereich hatte er sich mehr Qualifikanten erhofft, "da gab es Zeiten, die sind kaum eineinhalb Wochen alt und hätten für die Norm gereicht". Die Ursachen werde man nun analysieren. Zeit genug ist erstmal: Unnötiger Reisestress kommt ihnen nicht dazwischen.

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