Deutscher Schwimm-Verband:Im Zweifel gegeneinander

FINA Swimming World Cup Singapore - Day 1; Schwimmen

Wer wie schnell schwimmt (hier Henning Mühlleitner im August in Singapur), das ist im deutschen Verband gerade eher Nebensache.

(Foto: Yong Teck Lim/Getty Images)

Der Deutsche Schwimm-Verband braucht eine neue Führungsspitze, eine Kommission um Ex-Präsidentin Thiel sollte Konsenskandidaten finden. Das Ergebnis: ein Schreiben wie eine Anklage und offener Streit.

Von Claudio Catuogno

Die Idee, die jetzt den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) zu zerreißen droht, entsteht am 4. Mai in einem Hotel in Düsseldorf. Im DSV-Hauptausschuss taucht "die Frage nach einer Findungskommission für das neu zu besetzende Präsidentenamt" auf, notiert das Protokoll. Dann folgt eine Debatte, wie man das Vakuum füllen könne, das Präsidentin Gabi Dörries und Vizepräsidentin Andrea Thielenhaus dem DSV im Dezember 2018 hinterließen. Beide waren beim Verbandstag in Bonn überraschend zurückgetreten.

DSV-Vizepräsident Uwe Brinkmann ist es dann, der für die Findungskommission einen Namen ins Spiel bringt: Christa Thiel. Jene Frau, die den DSV bis 2016 selbst 16 Jahre lang führte. Inzwischen ist sie Ehrenpräsidentin. "Beschluss", wird schließlich notiert: "Das Gremium spricht sich einstimmig dafür aus, die Ehrenpräsidentin Frau Dr. Thiel zu bitten, eine Findungskommission, der sie auch selber angehören soll, zusammenzustellen."

Eine Findungskommission also. Aber was sollte die finden? Zwei Kandidaten für die vakanten Posten neben den Vizepräsidenten Brinkmann und Wolfgang Hein, so wie die beiden es sehen?

Ob es zur Wahl kommt, ist völlig unklar

Oder ein komplett neues Vorstandsteam? Jetzt, da das Kind nicht nur mit dem Bade, sondern gleich mit dem ganzen Pool ausgeschüttet ist, jetzt beruft sich jeder auf eine andere Formulierung. Steht im Protokoll nicht: "das Präsidentenamt"? Ja - aber an anderer Stelle ist auch von einem "Team" die Rede, das man benötige. Und so hat es Thiel auch aus einer Mail herausgelesen, in der Brinkmann sie bittet, "Personen und Persönlichkeiten für die vielfältigen Positionen, vor allem aber den Vorstand/das Präsidium zu finden". Neben Thiel gehörten der Kommission zwei ehemalige DSV-Funktionäre an sowie die einstige Schwimmerin Britta Kamrau-Fiedler, der frühere ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz und der Basketball-Präsident Ingo Weiss. Auch aus diesem Kreis heißt es, man habe nie Zweifel daran gehabt, dass man einen neuen Gesamt-Vorstand suche.

Am 3. Oktober soll in Kassel bereits gewählt werden. Doch ob es dazu kommt, ist völlig unklar. Denn seit sich Thiel und ihre Mitstreiter auf die Suche nach Konsenskandidaten gemacht haben, ist von einem nicht mehr viel zu spüren: von Konsens.

Schwimmen - Christa Thiel; Christa Thiel

Macht dem aktuellen DSV-Vorstand schwere Vorwürfe: Ex- und Ehrenpräsidentin Christa Thiel, 65.

(Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

Am Dienstag hat die Kommission den "Vorschlag zur Besetzung der Vorstandsämter" an die Gremien verschickt; er liegt der SZ vor. Es werden darin vier Namen vorgeschlagen, ein Team. Neuer Präsident soll der Unternehmer Peter Obermark, 53, aus Schleswig-Holstein werden. Daneben empfiehlt die Kommission drei Kandidaten, mit denen Obermark schon vor zwei Wochen seinen Hut in den Ring geworfen hatte, vorbehaltlich des Kommissionsvotums: für Finanzen Kai Morgenroth, den langjährigen Vorsitzenden der Deutschen Schwimmjugend, für Leistungssport Anne Poleska-Urban, die als Schwimmerin 2004 in Athen Bronze gewann, als weiteren Vizepräsidenten den Juristen Klaus Woryna.

Auf den nächsten Seiten liest sich das Schreiben dann wie eine Anklage, und der Zorn der Kommission richtet sich gegen ihre Auftraggeber: Brinkmann und Hein. Die beiden klebten an ihren Ämtern, wird unterstellt: "Die offenbar bestehende Sorge, bei einer Abstimmung (...) alternativen Kandidaten zu unterliegen, verstellt dem amtierenden Vorstand augenscheinlich den Blick auf das Wohl des Verbandes." Und weiter: Der amtierende Vorstand stelle "seine persönlichen Interessen nachhaltig vor die Interessen des Verbandes" und nehme dabei "bewusst die Gefahr einer Spaltung des Verbandes in Kauf".

Das sind die spannenden Fragen beim DSV: wer spaltet ihn? Und warum? Ist man es bei den Schwimmern einfach nicht anders gewöhnt, als dass im Zweifel gegeneinander statt miteinander gearbeitet wird?

Von Unruhe, Angst, schlechter Stimmung ist die Rede

Die Schärfe des Kommissions-Schreibens irritiert jedenfalls viele. Frank Rabe, der Generalsekretär des Schwimmverbandes Nordrhein-Westfalen, ist sicher, dass das Urteil "nicht das Meinungsbild der DSV-Mitgliedsorganisationen widerspiegelt". Aus seiner Sicht "sehen wir gegenwärtig eine transparentere und nachvollziehbarere Handlungsweise im DSV-Vorstand als in den Jahren zuvor". Ergo: unter Thiel. Marco Troll, Schwimm-Präsident in Baden, sagt, er finde es sogar "beachtlich", wie durch die derzeitige DSV-Spitze "zuletzt auch personelle Veränderungen durchgeführt wurden, die lange notwendig waren". Personelle Veränderungen sind tatsächlich unübersehbar, und sie sind wohl ein Teil der Erklärung für die angespannte Atmosphäre. Vor allem Brinkmann und Thomas Kurschilgen, der neue Direktor Leistungssport, bauen im Eiltempo um. Von 42 Personalentscheidungen in einem Jahr berichten Leute, die mitgezählt haben. Von Unruhe, Angst, schlechter Stimmung ist die Rede. Andererseits hatte Thiel ihren Nachfolgern 2016 einen ziemlich heruntergewirtschafteten Verband übergeben. Muss man da jetzt nicht radikal vorgehen?

In jedem Fall haben Hein und Brinkmann, die nicht zurücktreten wollen, die juristischen Argumente auf ihrer Seite. Es war nämlich Thiel selbst, die im Dezember, im Chaos nach Gabi Dörries' Rücktritt, laut Protokoll beantragte, "dass am heutigen Tag kein/e Präsident/in gewählt" sowie "die Wahl des Vizepräsidenten/der Vizepräsidentin Finanzen" verschoben wird. Zwei Posten. Heins Mandat verlängerte sich ohne Wahl bis 2022. Brinkmann wurde neu dazu gewählt, um handlungsfähig zu bleiben, auch bis 2022. Gemeinsam mit Kurschilgen leiten sie seitdem den DSV.

Kann man vier Vorstände neu wählen, wenn zwei noch im Amt sind? Mehrere Gutachten verneinen das. Also haben Hein und Brinkmann für den 3. Oktober nur die Wahl von Präsident/in und Vizepräsident/in Finanzen auf die Tagesordnung gesetzt. Nicht nur Thiel findet dieses Vorgehen empörend. Mehrere Verbände haben den Antrag gestellt, alle vier Posten zu wählen. Derzeit prüft eine Kommission, ob das zulässig wäre. NRW teilte bereits mit: "Satzungswidrige Vorgehensweisen werden wir ggfs. juristisch klären lassen." Es droht Streit - und wieder Führungschaos. Was wäre, wenn die Neuen gewählt werden, die Alten zurücktreten - und dann ist alles ungültig? Auch aus Angst davor könnte sich eine Mehrheit für den Antrag aus Sachsen finden, die Wahlen zu verschieben.

Die Juristin Thiel scheint das alles aber weniger juristisch, sondern eher moralisch zu sehen. Will man nun einen Neuanfang oder nicht? Alles andere als eine komplette Neuwahl, schreibt sie im Namen der Kommission, "erscheint mit Blick auf das Interesse des gesamten Verbandes und seiner Mitglieder kaum nachvollziehbar".

Der Wunsch nach dem Neuanfang. Darum dreht sich jetzt alles. Womit man bei Peter Obermark wäre.

Obermark polarisiert

Der SZ sagt Obermark, es hätten ihn Vertreter aus Landesverbänden zur Kandidatur ermutigt, "die mit der Führung so nicht einverstanden sind". Anstatt "zu meckern", wolle er "eine Alternative darstellen". Obermark will die neue Satzung weiterentwickeln, den DSV in Berlin aktiver vertreten und manches mehr. Vor allem aber wolle er "die soziale Kompetenz" in der Führung "verbessern", sagt er. Wobei er, das ist ihm wichtig, die Arbeit des Sportchefs Kurschilgen "hervorragend" finde.

Dass er selbst nicht für einen Neuanfang steht? "Das kann man so sehen", sagt Obermark, "das gilt aber zum Beispiel für Herrn Hein, der mit mir schon ab 2012 im Präsidium war, auch."

Obermark, das macht die Sache noch komplizierter, ist ein Vertrauter von Thiel. Lange führte er die Fachsparte Synchronschwimmen. Von 2012 bis '16 war er unter Thiel Vizepräsident Finanzen. 2016 wurde er von den Mitgliedern nicht entlastet; das wurde erst 2018 nachgeholt, was Obermark "einen normalen Vorgang" nennt. Viele, die damals gegen ihn stimmten, erinnern sich anders: "Das war klar gegen ihn und seine Amtsführung gerichtet", sagt einer, der damals die Hand hob.

Ob es ernsthafte Alternativen zum Vorschlag Peter Obermark gab, dazu macht die Kommission keine Angaben. Die Bude hat man ihr sicher nicht eingerannt. Und nun also: die Rollwende rückwärts?

Fortsetzung in Kassel. Am Tag der Deutschen Einheit

Obermark polarisiert jedenfalls. Dazu passt womöglich, dass die Konfrontation zwischen Vorstand und Kommission sich ausgerechnet seit August zuspitzt, als Obermarks Kandidatur durchsickerte - samt der Befürchtung, Thiel könne ihren ehemaligen Vize protegieren. Prompt schrieben Hein und Brinkmann an Thiel, es sei bei der Suche nach Präsident und Finanz-Vize "jeder Eindruck zu vermeiden, der den Anschein von Hinterzimmerpolitik hat". Thiel wiederum konterte, sie brauche "keine Handlungsanweisungen". Und im Übrigen suche sie natürlich vier Kandidaten.

Wenn man Uwe Brinkmann um eine Stellungnahme zu den harten Vorwürfen der Kommission bittet, teilt er mit: "Es ist die Aufgabe der Mitgliederversammlung - und nur die der Mitgliederversammlung -, die Arbeit des Vorstands zu beurteilen und zu bewerten. Ich traue der Mitgliederversammlung zu, dass sie diese Aufgabe nicht in die Hände derjenigen legt, die schon vor Jahren vom Bundesverwaltungsamt (BVA) bescheinigt bekommen hatten, dass ihnen eine ordnungsgemäße Geschäftsführung nicht gelungen ist."

Das geht gegen Thiel - und gegen Obermark. Fortsetzung in Kassel. Am Tag der Deutschen Einheit.

Zur SZ-Startseite
Florian Wellbrock

Schwimm-WM
:"Der Abwärtstrend ist gestoppt"

Das historische Double von Florian Wellbrock steht für die Aufbruchstimmung bei den deutschen Schwimmern. Bei der WM geben weitere Nachwuchskräfte Anlass zu Hoffnung.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: