Süddeutsche Zeitung

Schwimmen:Peinlicher als ein Bild im Whirlpool

Einen Tag nach der Einstellung beruft der Deutsche Schwimm-Verband seinen neuen Leistungssport-Direktor wieder ab. Es geht um alte Werbe-Fotos mit Prostituierten - blamiert hat sich aber wieder mal der Verband.

Von Claudio Catuogno

Das Internet vergisst nichts, auch nicht jenes Foto, auf dem der ehemalige Wasserball-Nationalspieler Dirk Klingenberg mit anderen Ex-Wasserballern sowie drei barbusigen Frauen vor einem Schwimmbecken posiert. Dass es sich bei den Frauen wohl um Prostituierte handelt, geht nicht nur aus dem Gesamtarrangement hervor. Auf dem Frotteestoff eines Bademantels prangt auch das Logo des Berliner Großbordells Artemis.

Das Foto erschien im September 2014 in der Boulevardzeitung B.Z.; Klingenberg und die Kollegen machten sich seinerzeit auf den Weg zur Oldie-WM nach Split, der Berliner Puff stellte für den Ausflug zwar nicht die "kurvigen Mädels", wie die Zeitung mit schlüpfrigem Unterton feststellte, aber die "flauschigen Bademäntel". Das sorgte auch international für einiges Aufsehen; die ungarische Website Nemzeti Sport veröffentlichte noch weiteres Material des Fototermins, da sitzen die Herren vor der nackten Kulisse auch im Whirlpool. Und in der B.Z. wird Klingenberg mit dem Satz zitiert: "Erst gewinnen wir den Oldie-Titel, danach feiern wir unseren Sieg im Artemis-Pool."

3000 Euro Reisekostenzuschuss gab es nach Klingenbergs Erinnerung für die Aktion. "Das war ein Werbefoto, um die Mannschaftskasse aufzubessern" - eines, auf das er sich heute "so nicht mehr einlassen würde". Als im Nachhinein peinlich erwies sich das Bild am Dienstag aber weniger für Klingenberg selbst, als für das Präsidium des Deutschen Schwimm-Verbands.

Erst am Montag hatte der neue DSV-Präsident Marco Troll bekannt gegeben, man habe "wichtige Beschlüsse getroffen, um den Verband strategisch und strukturell zukunftssicher aufzustellen". Klingenberg, 51, sollte in diesem Prozess interimsweise das Amt des Direktors Leistungssport bekleiden. Dazu kommt es nun nicht. Am Dienstag wurde eilig die nächste Pressemitteilung formuliert, um aus der Sache irgendwie wieder rauszukommen.

"Kurswechsel bei der Suche nach Interimsmanager", hieß es nun vom DSV-Präsidenten. Nach Bekanntgabe der Personalie sei "ein frivoler Bericht aus der Vergangenheit Klingenbergs" bekannt geworden, "welcher - obwohl kein juristisches Fehlverhalten vorliegt - mit den hohen moralischen Ansprüchen des Spitzenverbandes nicht vereinbar ist". Man habe sich daher "gemeinsam mit Herrn Klingenberg offen zu den entstandenen Diskussionen ausgetauscht" und sei "gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass er den Posten des Sportdirektors nicht antreten wird". Ganz so gemeinsam, wie Troll es darstellt, wird es allerdings kaum gewesen sein. Klingenberg jedenfalls findet die Reaktion übertrieben. In keinem Fall, sagte er der SZ, liege "irgendein juristisches Vergehen vor, das solch ein Handeln durch den DSV legitimieren würde".

Weshalb wurde dem bisherigen Sportdirektor fristlos gekündigt? Der DSV weicht Fragen aus

Auslöser für den "Kurswechsel" war offenbar auch ein rasch aufgesetztes Protestschreiben von Schwimmerinnen und DSV-Mitarbeiterinnen, die einen - überspitzt formuliert - aus dem Artemis-Pool heraus gecasteten Leistungssportchef als Zeugnis von "Respektlosigkeit gegenüber Frauen" erachteten. Aber nicht nur das. Noch problematischer für den DSV wird der als "frivol" bezeichnete Kontext, wenn man das Gesamtbild betrachtet.

Dass die Position des Leistungssportchefs überhaupt vakant ist, hatte der Verband zuvor wochenlang weder bestätigt noch dementiert. Erst in der Mitteilung vom Montag wurde eher nebenbei mitgeteilt, dass Thomas Kurschilgen seit Ende Februar "freigestellt" sei: Kurschilgen war im DSV seit 2018 auch "Besonderer Vertreter" nach Paragraph 30 BGB, er verantwortete alle leistungssportlichen Prozesse. Über die Gründe für seinen Rauswurf hüllt der DSV sich weiter in Schweigen. Hintergrund soll der Vorwurf sein, Kurschilgen sei Hinweisen einer Schwimmerin auf sexualisierten Missbrauch durch einen (inzwischen zurückgetretenen) Bundestrainer nicht ausreichend nachgegangen.

Kurschilgen war am Dienstag für die SZ nicht erreichbar, hat die Vorwürfe allerdings in der Vergangenheit vehement bestritten. Tatsächlich bestätigen mehrere im Jahr 2019 mit dem Vorgang befasste Personen der SZ, Kurschilgen sei seinerzeit in enger Abstimmung mit dem damaligen Vorstand und entsprechend des festgelegten Protokolls vorgegangen. Kurschilgens Anwalt Jan Friedrich Beckmann wiederum teilte der SZ mit, sein Mandant sei, anders als vom DSV behauptet, gar nicht "freigestellt" - ihm sei vielmehr fristlos gekündigt worden. Und: "Es ist nicht ansatzweise zu erkennen, welche Pflichtverletzung eine Freistellung oder die außerordentliche Kündigung durch den DSV-Vorstand rechtfertigen könnte."

Prüfte der DSV Rechnungen, um Kurschilgen belasten zu können?

Viele im DSV-Umfeld fragen sich inzwischen: Ist das sensible Thema des sexualisierten Missbrauchs letztlich für Troll und seine Präsidiumskollegen nur der Hebel gewesen, den mächtigen und manchmal unbequemen Fachmann Kurschilgen loszuwerden? Dazu passt zumindest, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Montag berichtete: Schon vor Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Bundestrainer und der Frage, wie Kurschilgen damit umging, sollen in der DSV-Zentrale Rechnungen geprüft worden sein - um etwas zu finden, was sich gegen Kurschilgen verwenden ließe? Marco Troll, der am Dienstag nicht zu sprechen war, hatte auf eine entsprechende SZ-Anfrage schon im Februar eher ausweichend geantwortet: Sein Präsidium überprüfe unabhängig von Personen die Führungsstrukturen des Verbands.

Dabei braucht das im November gewählte DSV-Präsidium nun offenbar externe Unterstützung: Neben der schon wieder stornierten Personalie Dirk Klingenberg war am Montag auch eine Zusammenarbeit mit dem Unternehmensberater Michael Rosenbaum verkündet worden. Am Montagabend hatten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verbands in einer Zoom-Schalte ein erstes Bild des neuen Führungsteams machen können: Teilnehmern zufolge sollen Klingenberg und Rosenbaum dort ziemlich selbstbewusst aufgetreten sein. Nun steht die Zusammenarbeit schon zu Beginn unter keinem guten Stern, denn Rosenbaum war es, der Klingenberg dem DSV vorschlug. Von dem sieben Jahre alten B.Z.-Bericht und den Artemis-Bademänteln habe er gewusst, sagte Rosenbaum der SZ am Dienstag. "Aber ich habe die Brisanz des Personalvorschlags nicht erkannt."

In der DSV-Mitteilung vom Dienstag wird Rosenbaum so zitiert: "Um die geplanten Prozesse möglichst wirkungsvoll und reibungslos in Gang zu setzen, sollte jeder Schuss sitzen. Deswegen wollen wir uns noch einmal etwas Zeit nehmen und Alternativen zum ersten Personalvorschlag prüfen." Ein Schuss, der auf Anhieb sitzt: Das täte auch dem DSV-Präsidium mal wieder gut.

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